SeereisenMagazin Logo klein 347 65EDITORIAL · AUSGABE 5/2018hr

Das Pendel schlägt zurück – das Ende des Booms?
Immer mehr Kreuzfahrthäfen machen nicht mehr mit

Manchmal schreibt ein Eisbär Geschichte. Dieser von einem deutschen Schiffsoffizier auf einem arktischen Eisfeld erlegte Bär hat mit seinem Tod die Wende eingeläutet. Der Bär hat seine Heimat verteidigt. 300 Kreuzfahrer von Hapag-Lloyd Cruises wollten seine weiße Welt erobern. Mit Kameras und Selfie-Gestellen und frostfester Kleidung. Sie wollten die weiße Wildnis nicht nur von Bord aus beobachten und bestaunen. Nein, die gutzahlenden Expeditions-Reisenden nahmen sich auch das zweifelhafte Recht, die weiße Wüste unbedingt selbst zu betreten, eine Wüste, die ja seit zehntausend Jahren dem Eisbär und seiner Familie gehört (und nun im Begriff ist, abzuschmelzen). Der Schock sitzt tief – in der bisher erfolgsverwöhnten Branche.
Dieser Schuss auf einen wildlebenden Eisbären ist wie ein Menetekel. Zwar jubeln die Veranstalter von Kreuzfahrten immer noch über zweistellige Zuwachsraten. Aber in Wirklichkeit wissen sie nicht mehr, wohin mit all den Menschenmassen. Immer mehr Häfen machen dicht. Die Einwohner der Hafenregionen haben den Andrang satt, sie lassen sich die Eroberung durch Seetouristen nicht mehr bieten. Der Schaden für diese „Destinationen” hat den Nutzen längst überholt. Die Bevölkerung der betroffenen Häfen hat nichts von den maritimen Überfällen. Der Einmarsch der Touristenmassen bringt ihnen nur Müll und Dreck und sehr viel Arbeit. Die Besucher von Bord lassen kaum etwas Zählbares an Land. Ein paar Postkarten vielleicht, ein paar Strohhüte, hier ein Eis und dort ein Bier. Sonst nichts als Pustekuchen für die „Gastgeber”, die auf solche Gäste gern verzichten. Kaum jemand isst irgendwo an Land (das Essen an Bord ist ja im Voraus bezahlt!) – kaum jemand geht in die normalen Geschäfte, kaum jemand lässt mehr als 10, 20 Euro in einem der total überlaufenen „hotspots” der internationalen Kreuzfahrt.
Die Folge ist eine immer leidenschaftlichere Gegenbewegung. Die Bevölkerung in Dubrovnik, Venedig, Barcelona, Riga, Kopenhagen, aber auch viele „Gastgeber” in Warnemünde haben „die Schnauze voll” – wie es jüngst einer der Demonstranten formulierte. Die schöne Ägypterin AIDA hat an der Rostocker Warnow-Mündung längst nicht mehr so viele Verehrer wie noch vor zehn Jahren. Und aus „Mein Schiff” wird an Land verächtlich „Dein Schiff” – die Bewunderung für die blaubunten Riesenschiffe und die überdimensionalen Kuss-Münder hat spürbar nachgelassen – bei den Leuten im Schatten der Giganten. Amerikanische Cruise-Liner legen mittlerweile an eigenen künstlichen Inseln an, weil die Bevölkerung von immer mehr karibischen Inselstaaten gegen die touristische Okkupation wachsenden Widerstand leistet. In Mexiko und Ecuador wurden Schiffsreisende schon regelrecht angefeindet, weil sie an der Gangway einsteigen in ihre Buskolonnen, und nach drei Stunden wieder aussteigen, ohne den Boden des Landes betreten zu haben, das sie vorgeben zu besuchen.
Schuld in meinen Augen ist die Gigantomanie. 6.000 Fahrgäste und 3.000 Mann Besatzung auf einem einzigen Schiff, das muss allein schon wegen der Masse Mensch, der Menschenmasse, Phobien an Land auslösen. Früher war Kreuzfahrt die angenehmste und schönste Art und Weise, Land und Leute, Sehenswürdigkeiten und Attraktionen anderer Länder kennenzulernen. Auch jetzt kann man noch kleinere Schiffe, kleinere Veranstalter und reizvolle Routen entdecken. Aber das schöne Ideal der Seereise, dieser Symbiose von See und Seele, von Wogen und Weite, ist mit den Riesenschiffen ein Stück Vergangenheit geworden. Das ist wie mit den amerikanischen Magnum-Kürbissen, die wachsen und wachsen, dann nicht mehr schmecken und nur noch als Fratze im Halloween dienen dürfen.
Nachdenklich macht auch die Unersättlichkeit der beiden größten amerikanischen Touristik-Konzerne, die rund 80 Prozent der Welt-Tonnage bereedern und den kapitalistischen Hals nicht vollkriegen können. Immer mehr Passagiere, immer größere Dampfer, immer mehr Umsatz – aber der Globus wächst nicht mit. Unsere kleine Erdkugel im Universum hat keinen Platz für solch irre Expansionen. Diese neue Generation von Riesenschiffen – die wirken wie quergelegte schwimmfähige Trump-Tower auf Eroberungsfahrt. Mit Seefahrt im traditionellen Sinne hat das nichts mehr zu tun. Auch die beiden größten deutschen Reedereien sind ja Teil dieser amerikanisch dirigierten Welt-Kreuzfahrt-Flotte: AIDA gehört gemeinsam mit acht weiteren Gesellschaften zur Carnival Corporation, die zwar von Miami aus operiert, ihren Sitz aber ins Steuerparadies Monrovia/Liberia verlegt hat. (17,5 Milliarden Dollar Umsatz, 62.000 Mitarbeiter an Bord und an Land). Und TUI Cruises mit ihren sieben Schiffen gehören zu Royal Caribbean Cruises, die ebenfalls von Miami aus gesteuert werden und annähernd ähnliche Umsätze machen.
Weltweit sind zur Zeit über 40 weitere dieser Riesendampfer auf chinesischen, amerikanischen, finnischen, italienischen, französischen, koreanischen, japanischen und deutschen Werften im Bau. Ich habe versucht, in Berlin und Miami und Bonn herauszubekommen, ob denn die maritimen Großkonzerne all diese Schiffsgiganten tatsächlich ausschließlich selbst finanzieren, oder ob – wie in früheren Spannungszeiten – auch staatliche Gelder in den Schiffbau fließen. Als Gegenleistung mussten sich die Reedereien damals verpflichten, im sogenannten Ernstfall ihre Schiffe als Truppentransporter zur Verfügung zu stellen. Wie ist das heute? Niemand konnte oder wollte mir Auskunft geben.
Vielleicht ist es ja so, dass man im Drohnen-Zeitalter und angesichts von Cruise-Missiles und Interkontinental-Raketen künftig gar keine Truppen mehr zu transportieren braucht? Warum sollten GI’s in der Wüste herumturnen, wenn sich ihr Ziel auch per Joystick aus weiter Ferne in die Luft jagen lässt? Ich bin kein Militär, aber mache mir Gedanken um das globale Spiel von Macht und Einfluss. Über Riesenschiffe auf den Ozeanen, über die Kosten-Nutzen-Rechnung des wuchernden Kreuzfahrt-Schiffbaus. Wo sind die Grenzen dieses Wachstums? Die Kosten kennt man, aber den Nutzen? Ich stehe an der Reling, schaue in die See und denke nach über Kettensägen, Bohrtürme und Gewehre. Über die Sehnsüchte der Menschheit nach ihrem eigenen Suizid. Über das Abholzen, Ausbeuten und Auftauen unseres Globus. Der Eisbär in der Arktis kann das ja nicht mehr …
Einen schönen Herbst Ihnen allen! Der Indian Summer wartet auf Sie. Der ist auch von der Reling aus zu bewundern. Halifax, Montreal, gleiten Sie an den riesigen kanadischen Wäldern entlang. Oder bewundern Sie die Blue Mountains. Oder genießen Sie auf der Donau und dem Rhein einen Goldenen Herbst. Gleiten Sie auf der Rhône dem Lavendel entgegen. Entre deux mères der Weinlese im Bordelaise zuzuschauen, welch ein herbstliches Vergnügen! Genießen Sie Ihre Zeit an Bord. Es muss ja nicht die Mickymaus-Rutsche auf Deck 14 sein. Herzlich, Ihr Herbert Fricke