SeereisenMagazin Logo klein 347 65NORDSEEKREUZFAHRT · AUSGABE 5/2019hr

19506 30 AidaPerla Rotterdam59 2018 Kai OrtelDie AIDAperla an der Wilhelminakade in Rotterdam. Der innenstadtnahe Anleger ist einer der großen Pluspunkte der niederländischen Hafenstadt. Fotos: Kai Ortel, Berlin

Kai Ortel

Freibier, Fisch und Alpenglühn –
Herbstliche Impressionen von einer Nordseekreuzfahrt mit der AIDAperla
Teil 2

Der nächste Morgen beginnt mit einer surrealen Szene auf dem Kabinenkorridor. Eine Dame fragt einen Kabinensteward auf Deutsch nach dem Weg in ihre Kabine. Der Steward versteht sie aber nicht. Zwar ist die Bordsprache bei Aida Deutsch, aber das bedeutet natürlich nicht, dass jedes Besatzungsmitglied die Sprache fließend spricht. Er entschuldigt sich genauso freundlich wie wortreich auf Englisch, aber die Dame wird immer ungehaltener. „Darum habe ich aber Aida gebucht”, endet ihr wütender morgendlicher Wortschwall, der beim zunehmend hilflosen Steward unverstanden abprallt. Dabei hätte es ein Blick auf einen der gefühlt fünftausend Deckpläne und Wegweiser an Bord auch getan.

Brügge auf eigene Faust
Das belgische Zeebrügge erreichen wir am Vormittag – laut Bordprogramm um 11 Uhr, laut Durchsage um 10 Uhr, tatsächlich am Ende aber sogar schon gegen 9 Uhr. Liegezeit ist auch heute wieder bis 20 Uhr, das reicht für Ausflüge nicht nur nach Brügge, sondern auch nach Brüssel und Antwerpen und zurück. Nur das Wetter will nicht so recht mitspielen. Der Himmel ist wolkenverhangen, das Herbstwetter bestenfalls mittelprächtig. Und Zeebrügge selber bekanntermaßen keine Schönheit. Der Hafen wurde Anfang des 20. Jahrhunderts angelegt, um dem benachbarten Brügge wieder zu Aufschwung zu verhelfen, nachdem dessen eigener Hafen seit dem Spätmittelalter immer mehr versandet und für größere Schiffe unbrauchbar geworden war. Ein 12 Kilometer langer Schifffahrtskanal verbindet die beiden Städte seit 1905 miteinander, die Rolle von Belgiens zweitgrößtem Hafen nach Antwerpen hat aber längst das junge Zeebrügge selber eingenommen. Im Hafen liegen die üblichen Englandfähren und Autotransporter, links und rechts davon erstreckt sich ein langer Sandstrand, der bis Oostende im Süden und bis Breskens im Norden reicht.
Wir nehmen die Vorortbahn von Zeebrügge-Dorp nach Brügge. Das Schöne an Kreuzfahrten in Mittel- und Nordeuropa ist ja, dass man sich auf den öffentlichen Personennahverkehr einigermaßen verlassen kann, so dass auch längere Tagesausflüge auf eigene Faust meist kein Problem sind. Die Bahnfahrt von Zeebrügge nach Brügge dauert 20 Minuten, und dann ist man auch schon (fast) mitten im Zentrum einer der laut Bordprogramm schönsten Städte Europas. Das Problem nur: Diese Idee hatten viele. „Overtourism” ist aktuell eines der meistgebrauchten Schlagworte in der Touristik, und wer gedacht hätte, das Phänomen beschränke sich auf Hotspots wie Barcelona, Venedig oder die norwegischen Fjorde, der irrt. Denn auch in der malerischen Metropole Flanderns geht es rund um den Grote Markt selbst Ende Oktober nur im Schritttempo vorwärts, von spontanen Besuchen in Schokoladengeschäften oder Fritterien ganz zu schweigen. Erst wenn man von den Haupt- in die Seitenstraßen einbiegt, wird es ein bisschen ruhiger.
Sehenswert ist Brügge jedoch auch dort. Die in beiden Weltkriegen von deutschen Truppen besetzte Stadt hat nämlich in den dunkelsten Stunden Europas kaum Schäden davongetragen, weshalb ein Großteil der spätmittelalterlichen Bausubstanz nicht nur erhalten geblieben ist, sondern auch liebevoll gepflegt wird. Im Jahr 2000 brachte ihr dies den Status einer UNESCO-Weltkulturerbestätte ein, 2002 war Brügge zudem Europäische Kulturhauptstadt. Dabei ist die Bedeutung Brügges heute überwiegend eine touristische. Ihre Glanzzeit hatte die Stadt im Spätmittelalter, als die heimische Tuch- und Textilindustrie in voller Blüte stand; auch Malerei und Kultur siedelten sich damals an. 1409 eröffnete in Brügge die erste Börse der Welt, und sogar die italienischen Seestädte Genua, Venedig und Florenz hatten in der flandrischen Stadt Vertretungen. Als im 15. Jahrhundert das Flüsschen Zwin zu versanden begann, war Brügge jedoch plötzlich vom Fernhandel abgeschnitten und musste seine Führungsrolle an Antwerpen abtreten. Die Stadt stand fortan unter spanischem, französischem und niederländischem Einfluss, erst als Belgien 1830 unabhängig wurde, entwickelte sie neues Selbstbewusstsein. Heute gilt Brügge als „Welthauptstadt der Schokolade”, sogar ein eigenes Schokoladenmuseum findet sich hier. Das Stadtbild prägen aber nach wie vor die vielen großen und kleinen gotische Kirchen sowie edle Handels- und alte Kaufmannshäuser, bei denen kein Giebel und kein Erker dem anderen gleicht. Außerdem sehenswert: die kleinen Kopfsteinpflastergassen, die unzählige Reien (kleine schiffbare Kanäle) und die Überreste der alten steinernen Stadtmauer, die bis auf das 13. Jahrhundert zurückgeht. Stadtrundfahrten werden hier vornehmlich per Boot und per Pferdekutsche angeboten, das allein sagt schon viel über den Charme Brügges aus. Und wer seinen Brügge-Besuch typisch belgisch abschließen will, darf natürlich weder an dem Nationalgericht der Belgier, den Pommes Frites, Halt machen noch die lange belgische Brauereitradition außer Acht lassen. Schließlich genießt sogar das belgische Bier seit 2016 UNESCO-Weltkulturerbe-Status. Na dann Prost!
Zurück in Zeebrügge, führt der Weg zur AIDAperla am Seafront Museum vorbei, einem „Themenpark über das Meer und die Seefahrt, den Fisch und die Fischerei”. B-143 kann man hier besichtigen, ein sowjetisches U-Boot aus der Zeit des Kalten Krieges, sowie die WEST HINDER, ein 1972 außer Dienst gestelltes Feuerschiff. Die meisten Tagesausflügler zieht es aber am späten Nachmittag direkt zurück an Bord oder zumindest in den Souvenir-Shop des kleinen Kreuzfahrtterminals – die letzte Gelegenheit, belgische Pralinen und Schokolade zu kaufen.
Das Theatrium an Bord füllt sich unterdessen mit den Kreuzfahrern von morgen (und ihren Eltern). Um 16:30 Uhr ist Kinder-Fragestunde mit dem Kapitän, und es sollen schlaue Fragen gestellt werden. Wie viele Fenster, Türen, Lampen und Besteck es auf dem Schiff gebe, könne der Kapitän nämlich nicht erschöpfend beantworten, doch natürlich kommen genau diese Fragen. Kapitän Janauschek nimmt es mit Humor und überschlägt die Anzahl im Kopf, auch dies ist Job des „Master next God” an Bord. Wobei er die Lacher ein weiteres Mal auf seiner Seite hat, als die Frage kommt, wo er denn selber Urlaub mache, wenn er nicht an Bord Dienst habe. „Da bin ich auf meinem Schiff”, plaudert er aus, nicht ahnend, dass das Publikum des aktuellen Aida-Flaggschiffes den Begriff „Mein Schiff” anders assoziiert als er selbst, nämlich mit der Flotte der Konkurrenz …
Wenig später findet man dieselben Kinder in und an der Wildwasserbahn wieder. Aber wo lernt die Jugend von heute eigentlich, Wasserkanonen genau auf die Augen anderer Leute zu richten? Wir flüchten, bevor Schlimmeres passiert. (Dieselbe Jugend ist jedoch ohne weiteres in der Lage, in ihrem besten Schul-Englisch bei philippinischen Barkeepern für sich selber eine Virgin Colada zu bestellen.) Dabei ist es selbst auf einem riesigen Schiff wie der AIDAperla mit ihren vielen Restaurants und Bars mitunter nicht ganz einfach, ein Plätzchen zu finden, wo es so ruhig ist, dass man sich dorthin in Ruhe zum Lesen oder Spielen zurückziehen kann. Die Hemingway Lounge, einer der schönsten Räume auf der kleinen AIDAaura, ist auf der großen Schwester nur noch ein Anhängsel des unruhigen Theatriums, und Disco bzw. Nightfly Bar tagsüber dunkel und ohne Charme. Man vermisst z. B. eine Piano-Bar, vielleicht wäre sie auf einem Schiff wie diesem aber auch deplatziert.
Stattdessen ist die AIDAperla am frühen Abend noch während der Hafenliegezeit schon wieder im Party-Modus. Um 19 Uhr kündigt die Entertainment-Managerin mit chronisch heiserer Stimme die Rock-Show „Addicted to Love” an, die im Theatrium stattfindet. Den Vergleich zur Live-Band „Wonderland” hält sie aber nicht stand. Es gibt nur einen Sänger, der Rest des Ensembles besteht aus Tänzern, die überwiegend Luftgitarre spielen, und die Musik kommt vom Band. Letzteres dafür so laut, dass man im halben Schiff sein eigenes Wort nicht mehr versteht. Auch die Auslaufmusik ertönt nicht nur an Deck, sondern auch innen im Schiff, wenn man abends eigentlich nur gemütlich beim Essen sitzen möchte. Vor allen Dingen gibt es an Bord der AIDAperla einfach kein Entkommen. Dazu zählt leider auch das Team der Bordfotografen, das seinem Job nachgeht, egal wie passend oder unpassend die Gelegenheit gerade ist. Das gilt auch für den Höhepunkt des Bordprogramms, das Offiziers-Shaken, das um 22 Uhr im proppevollen Beach Club stattfindet. Die Zusammensetzung der Cocktails ist dabei Nebensache, die Aida-Stammgäste kennen sie aber sicher auswendig. Die Offiziere treten in Teams gegeneinander an, wer am Ende gewinnt und warum und wie hoch, erschließt sich aber nicht. Hauptsache der Alkohol (und der Euro) fließt in Strömen.

Rotterdam or anywhere
Früh am nächsten Morgen läuft die AIDAperla in Rotterdam ein, mit 134.000 Schiffsbewegungen und 430 Millionen Tonnen Warenumschlag pro Jahr immer noch Europas größter Seehafen. Zur Frühstückszeit ist es Ende Oktober noch dunkel draußen, doch das heißt nicht, dass es nichts zu sehen gäbe. An Backbord ist der Euromast, seit 1960 eines der Wahrzeichen der zweitgrößten Stadt der Niederlanden, in grünes Licht getaucht, und auch die beiden Verbindungsadern Rotterdams, die Erasmusbrug und die Willemsbrug sind nachts hell erleuchtet. Irgendwo zwischen diesen beiden Brücken mündet das längst überbaute und daher unterirdisch fließende Flüsschen Rotte in die Maas, dem die Stadt vor fast 800 Jahren ihren Namen zu verdanken hatte.
Die AIDAperla macht um 8 Uhr an der Wilhelminakade fest. Zentraler geht es nicht, denn unter der Erasmusbrug gleich dahinter passen nur noch Binnenschiffe und Hafenfähren hindurch. Trotzdem bietet der Hafen seinen Kreuzfahrtgästen noch einen kostenlosen Bus-Shuttle zur Metrostation Blaak an, Zeit verschwenden soll in Europas Kulturhauptstadt von 2001 offenbar niemand. Dabei liegt unser Schiff ganze 24 Stunden in Rotterdam; wer diese ausgedehnte Zeit nicht nutzt, die Stadt für sich zu entdecken, ist wirklich selber Schuld.
Wir beginnen unser selbst zusammengestelltes Programm mit einem Besuch des Zoos, der mit fast 1,5 Millionen Besuchern pro Jahr zu den zehn populärsten seiner Art in Europa zählt. So richtig zentral liegt er aber nicht, worüber wir die Kinder jedoch im Dunkeln lassen, als wir uns von den berühmten Kubushäusern des Architekten Piet Bloom zu Fuß in Richtung Blijdorp aufmachen. Denn auf den drei Kilometern durch die Innenstadt lernt man hervorragend die Stadt kennen, die sich als quirlig und laut, aber in ihrem Erscheinungsbild auch als faszinierend abwechslungsreich präsentiert. Was natürlich nicht von ungefähr kommt, denn wie Le Havre lag auch Rotterdam Ende des Zweiten Weltkriegs (genaugenommen schon im Mai 1940) in Trümmern. Nach dem Krieg mühsam wieder aufgebaut, sucht man daher historische Bausubstanz auch in Rotterdam fast vergeblich. Das macht am frühen Nachmittag auch unser Rückweg vom Zoo in die Innenstadt deutlich, der uns über den Kruisplein und Westersingel zum Eendrachtsplein führt. Moderne Hochhäuser von erstaunlicher Höhe ragen an beiden Straßenseiten empor, davor schlängeln sich quietschrosa Straßenbahnen am Verkehr vorbei. Auch auf der belebten Einkaufsstraße Binnenwegplein kombiniert Rotterdam die Anmutung des modernen Londons mit dem Charme Amsterdams, eine höchst reizvolle Mischung. Zwar verfügt Rotterdam nicht über die Grachten von letzterem. Gerade im westlichen Stadtteil Delfshaven, wo auch die Architektur wieder traditioneller wird, durchziehen aber kanalisierte Seitenarme der Maas die Stadt, was diesem Teil davon ein ganz besonderes Flair verleiht.
Dasselbe gilt auch für das Hafenviertel zwischen Schifffahrtsmuseum und Erasmusbrücke. Am Schiedamsedijk eröffnet sich das Panorama über den alten Hafen Rotterdams, ganz ähnlich wie in Hamburg, wenn man vom Baumwall in Richtung Speicherstadt blickt. Unzählige Schiffe und Boote sind hier vertäut, denen man im Einzelfall nicht immer ansieht, ob sie zu den Ausstellungsstücken des Museums gehören oder tatsächlich noch im Einsatz sind. Ganz am Ende ragen hinter Masten, Kränen und Brücken auch die Aufbauten der AIDAperla hervor, während unmittelbar davor Motoryachten, Schubschiffe und Wassertaxis verdeutlichen, wie nahe Rotterdam noch immer buchstäblich am Wasser gebaut ist.
Dies wird natürlich nirgendwo besser erlebbar als auf einer der Hafenrundfahrten, die man sich in Rotterdam nicht entgehen lassen sollte. Zwar finden diese Ende Oktober nicht mehr ganz so häufig statt wie im Sommer und dauern auch „nur” 75 Minuten. (Lohnenswerter sind die großen zweieinhalbstündigen Touren, die Spido aber nur im Juli und August anbietet.) Einen ersten Eindruck von der schieren Größe des Hafens und dessen Bedeutung vermitteln sie aber allemal.
Schon kurz nach der Abfahrt der JAMES COOK am Nachmittag weiß man nämlich nicht, wohin man zuerst gucken soll. Während wir an Backbord die AIDAperla und das Jugendstil-Gebäude des Hotel New York passieren (den ehemaligen Hauptsitz der Holland America Line), fällt der Blick an Steuerbord auf den Veerhaven mit seinen historischen Segelschiffen. Unter uns verläuft der 1942 fertiggestellte Maas-Tunnel, dann folgt auch schon der Parkhaven mit dem Euromast, der Schiehaven, wo an historischer Stelle seit über 15 Jahren an dem Nachbau des Kriegsschiffes DE DELFT von 1783 gewerkelt wird, und der Voorhaven mit der berühmten Turmwindmühle „Distileerketel” (Destillierkessel). Und das ist nur der alte Hafen Rotterdams. Der moderne Teil erstreckt sich am südlichen Maas-Ufer und ist nicht weniger interessant, auch wenn unsere JAMES COOK schon am Maasboulevard wieder umkehrt, um mit Abstechern in den Eemhaven und den Waalhaven zurück in die Innenstadt zu fahren. Das Beste hebt sich aber jede Spido-Tour bis zum Schluss auf. Denn im Maashaven auf der Halbinsel Katendrecht hat 2008 für immer die ROTTERDAM festgemacht, jenes 1959 unweit von hier gebaute große Passagierschiff, das wie kein zweites mit der Geschichte der Holland America Line und der Stadt, deren Namen es trägt, verbunden ist. Seit 2010 dient sie als stationäres Hotel- und Museumsschiff und könnte mit ihren eleganten Linien keinen größeren Kontrast zu Schiffen wie der AIDAperla bieten, die nur ein paar Hundert Meter weiter zeigen, welch unglaubliche Entwicklung die internationale Kreuzfahrt seit den Tagen einer ROTTERDAM (die im Jahr 2000 außer Dienst gestellt wurde) genommen hat.
Wieder auf unserem „Zuhause auf See” (Aida Cruises) steht am Nachmittag ein Besuch des Hochseilgartens auf dem Programm, einen solchen zumindest (und noch vieles mehr) konnten Schiffe wie die ROTTERDAM seinerzeit natürlich nicht bieten. Was Größe und Angebotsvielfalt betrifft, scheint es in der modernen Kreuzfahrt des 21. Jahrhunderts jedenfalls keine Grenzen zu geben. Auch bei Aida sind Schiffe im Bau, die selbst die riesige AIDAperla mit ihren 17 Decks noch an Größe übertreffen: Die AIDAnova und ihre Schwestern werden über 19 Decks verfügen und nicht 4.350, sondern bis zu 6.600 Passagiere fassen können. Tagesgespräch ist das neue Flaggschiff heute aber aus einem ganz anderen Grund: Am Nachmittag macht die Meldung die Runde, die Meyer Werft könne die AIDAnova nicht pünktlich abliefern, so dass die ersten Reisen des Schiffes abgesagt werden müssen. Die AIDAperla wird also noch ein paar Wochen länger als geplant, nämlich bis kurz vor Weihnachten, das Flaggschiff der Aida-Flotte bleiben.
Am frühen Abend probieren wir ein weiteres Restaurant aus, das intime Ristorante Casa Nova auf Deck 6. Hier werden „venezianische Köstlichkeiten stilvoll unter silbernen Servierglocken” serviert, und tatsächlich: Das Ambiente stimmt. Und nicht nur das. Das Spezialitätenrestaurant ist zuzahlungsfrei, das Fünf-Gänge-Menü großartig, und allein schon beim Salat und beim Pasta-Gang vorab haben die Portionen die Größe von Hauptspeisen. Allerdings dürften auch hier die Gerichte mutiger gewürzt sein, und die anderthalb Stunden, die wir in dem halbleeren Restaurant verbringen, kommen uns unnötig lang vor. Trotzdem: Die Vielfalt allein an Restaurants auf den großen Aida-Schiffen ist einer der Pluspunkte der AIDAperla und ihrer älteren Schwester AIDAprima. Ein weiterer, zumindest auf dieser Reise, sind die langen Liegezeiten. Niemand muss schon am Nachmittag gestresst auf Armbanduhr oder Handy gucken, um ja pünktlich um 17:30 Uhr wieder zurück an Bord zu sein, wenn die Festmacher am Kai schon ungeduldig an den Leinen stehen. Stattdessen heißt es in Rotterdam sogar: Auf ins Nachtleben, denn zurück gen Hamburg geht es erst morgen früh.
Auch ich nutze die Gelegenheit und gehe am Abend ein zweites Mal von Bord. Um 19 Uhr treffe ich mich mit einem holländischen Freund und Kollegen vor dem Terminal, um den Abend gemeinsam mit ihm bei Bier und Chips im „Ballentent” zu verbringen, einer urigen Hafenkneipe direkt an der Parkkade. Dort könnte die Sicht auf die AIDAperla grandios sein, wenn es inzwischen nicht nur stockdunkel wäre, sondern auch noch wie aus Eimern schütten würde. Aber egal, das Ballentent ist ein Kleinod maritimer Gemütlichkeit, denn hinter der Theke und an den Wänden wimmelt es nur so vor historischen Schiffsfotos, -modellen und nautischen Artefakten aller Art. Auch die ROTTERDAM darf darunter natürlich nicht fehlen, genauso wie unzählige andere Schiffe der Holland America Line. Und der Pub ist beliebt, freie Tische entdeckt man kaum irgendwo. Hatte die englische Band The Beautiful South ihr bittersüßes Klagelied über die Einsamkeit 1996 „Rotterdam or anywhere” genannt, könnte nichts ferner der Wahrheit liegen. In Rotterdam muss niemand einsam sein!
Eine ganz besondere Form der Einsamkeit zelebriert man dafür am späten Abend auf der AIDAperla. Nachdem ich schon die maritime Adaption von „Wer wird Millionär” (20:15 Uhr im Theatrium) verpasst habe, komme ich um 21:30 Uhr wenigstens in den Genuss, als stiller Beobachter der „Silent Party” auf dem Pooldeck beizuwohnen. Die ist insofern angenehm, als sich ihr Lärmpegel anders als sonst zu dieser Tageszeit im Beach Club in Grenzen hält. Anders ausgedrückt: Es ist fast totenstill. Leer ist die Tanzfläche aber dennoch nicht, im Gegenteil. Denn die Musik kommt bei der Silent Party über Funk-Kopfhörer. Jede/r tanzt, singt, summt oder brummt einzeln vor sich hin, je nachdem, welche Musik er/sie gerade hört. Das ist nur leider weder optisch noch akustisch ein Genuss, auch wenn sich die Partygänger selber dabei zu amüsieren scheinen. Ich glaube, ich habe noch nie in meinem Leben etwas so Groteskes gesehen.
Geradezu konventionell nimmt sich dagegen der kollektive „XXL-Spieleabend” aus, der zur selben Zeit im Brauhaus stattfindet. Die Idee ist schön: analoge Familien-Unterhaltung wie zu Omas und Opas Zeiten. Keine Handys, keine Nintendos, keine Tablets, nur „Mensch ärgere dich nicht”, „Malefiz” & Co. Sogar die Spiele selber werden von Aida bereitgestellt, eigentlich kann sich also niemand drücken. Und Bekanntschaften zu seinen Mit-Passagieren schließt man wahrscheinlich auch nirgendwo schneller als über Würfeln, Karten und Spielsteinen. Allein: Auch dies untermalt Aida mit einer penetranten Hintergrundmusik, die ausschließlich aus deutschen Schlagern besteht und damit leider doch wieder abschreckend wirkt. Ein Jammer.

Hafenrundfahrt Teil 2
Der vorletzte Kreuzfahrttag beginnt mit einem seltenen Schauspiel: einer Abfahrt in der Morgendämmerung. Die verfolgen an Bord zunächst nur wenige, doch wer zeitig frühstückt, wird in Rotterdam mit einer „Hafenrundfahrt XXL” belohnt. Darüber hinaus überlässt Kapitän Janauschek die Brücke den Lotsen und seinen Offizieren und spricht sämtliche Ansagen während der zweistündigen Revierfahrt bis zur Nordsee selber. Auch dort lohnt das Zuhören, denn der Kommandant erläutert kenntnisreich und mit Begeisterung, was es an den Ufern der Maas zu sehen gibt.
Und das ist einiges. Nachdem wir dem Euromast, der alten ROTTERDAM und dem Delfshaven „Vaarwel” gesagt haben, passieren wir um 8:45 Uhr mit Damen Shiprepair an Steuerbord (Wiltonhaven) zunächst einen der größten Werftbetriebe Europas. Kurze Zeit später überqueren wir dann den Beneluxtunnel (1967/2002), ehe an Backbord riesige Ölraffinerien und Chemiewerke bzw. an Steuerbord der Fährhafen Vlaardingen in Sicht kommen. Neue und Alte Maas fließen hier zusammen, um bis zur Nordsee den Nieuwe Waterweg zu bilden, auch darüber und wie der Rotterdamer Hafen immer mehr an Fläche zunahm, berichtet der Kapitän sozusagen live. Von 1962 bis 2004 war Rotterdam der größte Hafen der Welt, erst in den letzten 15 Jahren haben ihm Shanghai, Singapur und Hongkong in Sachen Containerumschlag den Rang abgelaufen. Schiffe aller Art verteilen sich aber auch heute noch über ein riesiges Areal, auch die geschäftige Verolme Werft mit dem gigantischen Arbeitsschiff SAIPEM 7000 darin ist ein beeindruckender Anblick. Der größte und gleichzeitig jüngste Teil des Rotterdamer Hafens folgt jedoch erst ganz am Ende. Um 9:30 Uhr passieren wir die Stadtteile Rozenburg und Maassluis, dann geht es auf die Zielgerade, und die Nordsee kommt in Sicht. Der Europoort (an Backbord) wurde zwischen 1958 und 1964 angelegt und beherbergt den Chemie- und den RoRo-Frachthafen der Stadt, während im Küstenort Hoek van Holland (an Steuerbord) nach wie vor die großen Autofähren nach England ablegen. Regelrecht in die Nordsee hineingebaut hat man dagegen die Hafenteile Maasvlakte (1972) und Maasvlakte 2 (2014), wo hauptsächlich Öl, Kohle und Erz bzw. Container umgeschlagen werden. Um kurz nach 10 Uhr, als die AIDAperla den Leuchtturm und Strand von Hoek van Holland hinter sich gelassen hat, ist Teil 2 der Hafenrundfahrt dann beendet. 317 Seemeilen sind es von hier aus noch bis Hamburg, und damit reichlich Zeit für einen letzten entspannten Tag auf See.
Den starten die Kinder im Magnum Pleasure Store, denn für ein selbst zusammengestelltes Eis ist trotz Frühstück und drei bis vier weiteren Mahlzeiten pro Tag selbstverständlich immer noch Platz im Bauch. Zeitgleich findet im Brauhaus am späten Vormittag ein „deftiger Frühschoppen” statt (ohne uns). Dort gibt es Brezeln, Weißwürste und halbe Hähnchen und dazu natürlich das eine oder andere frisch gezapfte Aida Zwickel. Der starke bajuwarische Einfluss an Bord ist übrigens umso bemerkenswerter, wenn man bedenkt, wie lange es nach der Indienststellung der ersten AIDA (heute AIDAcara) 1996 gedauert hat, die Marke Aida überhaupt erstmal deutschlandweit bekannt zu machen.
Darüber hinaus mangelt es an Beschäftigungsmöglichkeiten an Bord bei weitem nicht; wer sich auf diesem Schiff langweilt, will es vermutlich nicht anders oder ist einfach selber schuld. Vormittags kann man z. B. an einer Küchenführung teilnehmen, seine Kochkünste in einem Workshop in der Sushi Bar erweitern oder im Four Elements zusammen mit Jung und Alt dem Familienkino („Die Schöne und das Biest”) beiwohnen. Wieder andere strecken buchstäblich alle Viere von sich, wobei es etwas befremdlich ist, zu sehen, wie viele Passagiere in den zugegeben ziemlich gemütlichen Sesseln und Sofas des Theatriums tagsüber ein Nickerchen halten. Immerhin ließen sich die Sitzgelegenheiten weitaus sinnvoller (nämlich für ihren eigentlichen Zweck) nutzen, wenn jeder zum Schlafen seine Kabine aufsuchen würde. Ein schöner Anblick sind untote deutsche Kreuzfahrer am letzten Tag ihrer Reise jedenfalls nicht.
Dominiert im Brauhaus bajuwarische Lebensart, erinnert einen anderswo an Bord ein besserer Kasernen-Ton („Sie haben reserviert?”) bisweilen an die Gepflogenheiten in der deutschen Hauptstadt. Unsere vorsichtige Anfrage, ob man im French Kiss Restaurant auch eine zweite vegetarische Option bestellen könne, wird jedenfalls mehr oder weniger brüsk abgebügelt. „Et gibt ja Salat.” Sprach der Herr am Eingang und ließ uns stehen, um den nächsten Kunden zu bedienen.
Am Nachmittag verwöhnt uns beim Deckspaziergang ein Regenbogen über der Nordsee, wo der Schiffsverkehr zunimmt, je näher die AIDAperla der Elbmündung kommt. Sind eigentlich die „Achtung: Starker Wind”-Schilder permanent an den Türen zu den Außendecks angebracht, damit man ja nicht zu oft nach draußen geht? Fast sieht es so aus. Rund um die Lanai Bar am Heck auf Deck 7 hat man es sich unterdessen in Strickjacken und mit Wolldecke auf dem Schoß gemütlich gemacht, auch das macht ein großes Schiff wie die AIDAperla möglich. Nur der FKK-Bereich auf Deck 18 ist verwaist, dafür ist es Ende Oktober auf der Nordsee dann doch etwas zu frisch. Oder hat die Besatzung des Schiffes einfach nur alle 4.000 Passagiere vollauf beschäftigt? Auf der Aida Plaza spielt man (etwas suboptimal, da für alle anderen mitten im Weg) Boccia, im Brauhaus findet ein Brau-Seminar statt, es gibt „Malen & Meer” mit Rebekka sowie jede Menge Sport- und Spa-Aktivitäten. Kein Wunder also, dass auch dieser Tag wie im Flug vergangen ist, als sich um 17:30 Uhr schon wieder das Theatrium füllt, wo der Kapitän und sein Erster Offizier zur nautischen Fragestunde geladen haben. Überziehen dürfen aber selbst die beiden nicht, denn um 19 Uhr wird die Bühne schon wieder für die Abschluss-Show „Let’s get loud” gebraucht. Dabei legen die Aida Dance Stars ein furioses Finale hin, als bei einer Disco-Version von „Those were the Days” das Parkett unter ihren Sohlen erzittert. Später am Abend spielt auch die fabelhafte Live-Band „Wonderland” noch einmal im Beach Club auf, als gäbe es kein Morgen. Dies alles ist weder besonders leise noch für Menschen gedacht, die auf See einfach nur mal abschalten wollen. Aber das sollte man bei einer Aida-Kreuzfahrt vorher wissen. Und was das leidige Thema Essen an Bord betrifft, kann ich nur hoffen, dass mein Körper auf den langen Fußmärschen der letzten Tage zumindest ein paar überschüssige Kalorien verbraucht hat. Reisetag Nr. 6 endet jedenfalls bei einem letzten Stück Kuchen im Fuego Restaurant, jetzt spielen eventuelle Diät-Vorsätze auch keine Rolle mehr.

Get well home
Pünktlich um 8 Uhr am nächsten Morgen liegt die AIDAperla wieder am Kai in Hamburg-Steinwerder. „We have made fast” nennt das die Ansage von der Brücke, was das deutsche Empfinden am ehesten mit „Wir haben schnell gemacht” übersetzt, in der englischen Seemannssprache aber tatsächlich „Wir haben festgemacht” bedeutet. Auch das „Get well home” des Kapitäns klingt vermutlich nur in den Ohren seiner deutschen Passagiere nach dem Wunsch, man möge gut nach Hause kommen. „Werden Sie zu Hause gesund” wird er ja wohl kaum gemeint haben. Aber egal, seine drei Hauptpflichten sind ja auch Ablegen, Anlegen und Hinlegen, wie er gestern noch spitzbübisch in der Fragestunde im Theatrium erklärt hatte.
Am Ende haben wir in den sieben Tagen nicht alles geschafft, was dieses riesige Schiff zu bieten hatte. So waren wir nicht in der Tapas Bar und leider auch kein einziges Mal in der Scharfen Ecke (und das, wo die Dame des Hauses bei ihrem Stamm-Vietnamesen als „die scharfe Lady” bekannt ist). Auch das Rossini, das Steak House und das French Kiss müssen wir uns für das nächste Mal aufheben. Dass unsere Innenkabine auf See geknarrt hat, als hätten sich über und unter uns die Balken gebogen, verbuchen wir dagegen genauso als Sympathiepunkt wie das Quietschen der Balkontür, das den Lauten der Dinosaurier aus „Jurassic Park” zur Ehre gereicht hätte. Fabelhaft waren dafür die Tagesprogramme – ausführlichere gedruckte Bord- und Hafeninformationen haben wir bisher auf keinem anderen Kreuzfahrtschiff bekommen. Und die Unterhaltung? Erstklassig, vor allem die intime Nightfly Bar ist ein Gewinn, während es im Theatrium traditionell eher unruhig zugeht. Vielleicht führt man in Zukunft noch den einen oder anderen Lektoren-Vortrag an Bord ein? Eine Route wie die „Metropolen ab Hamburg” gibt dies auf jeden Fall her. Auch ein kleines Kino würde dem Schiff als Alternative zu den Kinderfilmen im Four Elements und den eher kurzen Shows im Theatrium gut tun. Ansonsten schließen wir uns den Wünschen der Besatzung an und freuen uns auf ein Aidasehen! www.aida.de

Technische Daten und Steckbrief MS AIDAperla
Bauwerft: Mitsubishi Heavy Industries, Nagasaki (Japan), 2017; Im Dienst: seit dem 01.07.2017; Flagge: Italien; Heimathafen: Genua; Tonnage: 125.572 BRZ; Länge: 299,95 Meter; Breite: 37,65 Meter; Tiefgang: 8,25 Meter; Passagiere: 3.300 (4.350); Kabinen: 1.643; Besatzung: 963; Leistung: 74.800 kW; Höchstgeschwindigkeit: 22,5 Knoten.

 

10506 33 Buegge35 2018 Kai OrtelAuf dem Marktplatz in Brügge ist der Andrang von Einheimischen und Touristen auch an einem bedeckten Oktober-Tag gewaltig.

19506 32 Bruegge29 2018 Kai OrtelAm Grote Markt in Brügge gleicht keines der historischen Kaufmannshäuser dem anderen.

19506 34 Bruegge43 2018 Kai OrtelZahlreiche kleine Kanäle (Reien) durchziehen die Innenstadt Brügges und verleihen ihr ein einmaliges verträumtes Flair.

19506 35 Bruegge59 2018 Kai OrtelDer 83 Meter hohe Belfried aus dem 13. Jahrhundert überragt alle anderen Gebäude in Brügge. Noch heute darf ihn kein Hochhaus in der Stadt an Höhe übertreffen.

19506 41 Rotterdam04 2018 Kai OrtelDas Stadtbild Rotterdams ist erstaunlich abwechslungsreich und kann mit viel moderner Architektur aufwarten.

19506 42 Rotterdam22 2018 Kai OrtelAm Fuße des Schifffahrtsmuseums mit seinen vielen Museumsschiffen bekommt man einen Eindruck vom Rotterdam vergangener Tage.

19506 43 Rotterdam35 2018 Kai OrtelIm Veerhaven unweit der Anlegestelle der Hafenrundfahrten dominieren Segelboote und -yachten das Bild.

19506 44 Rotterdam Rotterdam63 2018 Kai OrtelUnverwechselbare Linien: Seit 2010 hat der alte Holland-Amerika-Liner ROTTERDAM aus dem Jahr 1959 für immer in seinem alten Heimathafen festgemacht.

19506 50 Rotterdam Ausfahrt01 2018 Kai OrtelDamen Shiprepair zählt nach dem Niedergang der britischen und deutschen Werftindustrie zu den letzten verbliebenen Großwerften Mitteleuropas.

19506 55 AIDAperla Lanai Bar03 2018 Kai OrtelDie Lanai Bar achtern auf Deck 7 ist ein beliebter Rückzugsort abseits des mitunter trubeligen Geschehens im Innern des Schiffes.19506 58 AIDAperla Beach Club außen04 2018 Kai OrtelÜber eine Öffnung in der Glaswand ist der Innen-Swimmingpool des Beach Clubs mit dem Außenbereich verbunden.

19506 59 AIDAperla Hamburg03 2018 Kai OrtelZurück in Hamburg: Die AIDAperla an ihrem angestammten Liegeplatz am Kreuzfahrtterminal Steinwerder.