SeereisenMagazin Logo klein 347 65GROSSER MICHEL · AUSGABE 3/2018hr

18313 01 Grosser Michel Hamburg Elbfest02 2016 Kai OrtelDie GROSSER MICHEL in ihrem Element – in voller Fahrt auf der Elbe. Fotos: Kai Ortel, Berlin

Kai Ortel

Von der Hafenfähre zum Minikreuzfahrtschiff
Aus dem bewegten Leben des Event- und Hotelschiffes GROSSER MICHEL

Hotelschiffe sind dünn gesät an der deutschen Küste. Zu teuer der Unterhalt, zu gering die Nachfrage, zu begrenzt die Saison, heißt es oft. Doch es gibt auch Gegenbeispiele. Die umgebaute Hafenfähre GROSSER MICHEL ist Hamburger Institution und Geheimtipp zugleich. Und große Pläne haben die Inhaber für das Schiff auch.
„Du wirst es nicht glauben, aber auf dem Wasser kann es leicht schaukeln. Wir erleben immer wieder mal Gäste, die das überrascht.” Mit einem Augenzwinkern weisen bereits die Gäste-Informationen auf der Homepage des Eventschiffes GROSSER MICHEL darauf hin, dass es an Bord des kleinen schwimmenden Hotels anders zugeht als bei den Hiltons und Steigenbergers dieser Welt. Mit seinen Gästen, potenziellen wie reellen, ist man im Übrigen per du, und wenn man Landratten dazu bringen möchte, auf einem Schiff zu übernachten, muss man eben erklären, worauf sie sich einzustellen haben. Wasser zu sparen z. B., immerhin ist das jederzeit fahrbereite Schiff ein geschlossenes System und nicht an das öffentliche Wassernetz Hamburgs angeschlossen. Und dass die Duschen klein seien und der Stauraum der Kabinen gering, was man aber als „echte maritime Erfahrung” betrachten solle. Kein Problem auch das, schließlich kann die GROSSER MICHEL dafür mit einem Vorzug punkten, den ansonsten kein noch so nobles Hotel an Elbe oder Alster bietet: ihrem einzigartigen Standort. Denn ihr Liegeplatz befindet sich am Sandtorhöft, im Herzen des Hamburger Hafens also, genau zwischen City-Sportboothafen und Elbphilharmonie. Zur Überseebrücke sind es zu Fuß keine zehn Minuten, zu den Landungsbrücken keine fünfzehn. Ideal für alle, die morgens einen Termin im Hafen haben und sich die Menschenmassen in Hochbahn und S-Bahn bzw. die Staus auf den Straßen Hamburgs ersparen wollen. „Schlafen im Hafen” könnte man es auch nennen.

Von der Hafenfähre zum Eventschiff
Dabei war die GROSSER MICHEL einst selbst Bestandteil dieser wuseligen Hamburger Hafen-Infrastruktur, in der Autos und LKWs, Busse und Bahnen sowie Alster- und Elbfähren mühelos ineinandergriffen. 1955 auf der Hamburger Werft Johann Oelkers in Wilhelmsburg gebaut, war sie eine von insgesamt 16 Typ III bzw. Typ IIIc-Fähren, die zwischen 1952 und 1962 von diversen Hamburger Werften an die HADAG abgeliefert wurden. Einige davon sind inzwischen verschrottet, weitere in alle Winde verstreut, ein paar aber immer noch im Hamburger Hafen anzutreffen, darunter die BERGEDORF und die KIRCHDORF. 600 Passagiere konnten die Typ IIIc-Fähren befördern, kuschelig muss es also an Bord zugegangen sein, als die jährliche Beförderungsleistung der HADAG in den 1950er Jahren nicht nur wie heute sieben oder acht, sondern über 20 Millionen Personen betrug. Außerdem hatte man insbesondere die GROSSER MICHEL besonders robust gebaut, so dass sie im Winter auch als Eisbrecher und als Ponton-Schlepper eingesetzt werden konnte. 1975 in MOORBURG umbenannt und zu diesem Zeitpunkt bereits leicht umgebaut, diente das Schiff insgesamt mehr als 35 Jahre lang als Hafenfähre auf der Elbe, ehe die HADAG es nach der Inbetriebnahme neuerer und modernerer Einheiten 1991 ausmusterte und zum Verkauf ausschrieb.
Ein Käufer fand sich Ende 1991 in dem Hamburger Geschäftsmann Martin Doose, der große Pläne mit dem kleinen Schiff hatte. Für 2,8 Millionen DM ließ er die MOORBURG innen komplett entkernen, um eine neue und hochwertige Inneneinrichtung einzubauen; federführend beim neuen Interieur war der Hamburger Designer Frank Theuerkauf. Einen Multimedia-Konferenzraum („Oval Office” genannt) erhielt das Schiff, eine Bar nebst Restaurant, dazu 6 Zweibettkabinen mit Dusche und WC. Auf 120 Passagiere wurde die Kapazität des Schiffes begrenzt, das Sardinendosen-Feeling aus HADAG-Zeiten gehörte nun definitiv der Vergangenheit an. Auch erhielt die MOORBURG ihren alten Namen GROSSER MICHEL, denn, so Doose, „Umbenennungen bringen kein Glück”. Ab 1994 war der Oldie dann wieder auf der Elbe unterwegs – als Hotel-, Restaurant- und Veranstaltungsschiff der gehobenen Kategorie. Von „Luxus wie auf einer königlichen Jacht” sprach das „Hamburger Abendblatt” im Jahr der Wieder-Indienststellung sogar – die Hafenfähre aus dem Jahr 1955 hatte die vielleicht bemerkenswerte Transformation aller Typ IIIc-Schiffe der HADAG vollzogen.
Und das erfolgreich. 13 Jahre lang betreibt Doose seine GROSSER MICHEL in der Elbmetropole, ehe er die Verantwortung für das „Event-, Hotel- und Charterschiff” 2007 in die Hände seines Sohnes übergibt, Martin Doose (jr.). Dieser lässt weitere kleinere Umbauten vornehmen und verhilft dem Schiff 2008 auch zu einem weiß-blauen Anstrich. Die Tageskapazität ist nun auf 80 Gäste begrenzt, die Bettenkapazität auf 8 reduziert worden. Zwei Einzel- und drei Doppelbettkabinen gibt es dort, wo sich 50 Jahre zuvor Dutzende von Werftarbeitern dicht an dicht gedrängt auf dem Weg zur Arbeit befunden haben. Buchen kann man sie für 119 € (Einzelkabine) bzw. 179 € Doppelkabine). Die GROSSER MICHEL ist dadurch noch ein bisschen exklusiver geworden, auch wenn man ihr das von außen zunächst nicht ansehen mag. „Außen dezentes Understatement und innen elegantes und gemütliches Interieur”, wie es die Homepage des Schiffes ausdrückt. Denn auch eine solche gehört natürlich dazu, wenn man im 21. Jahrhundert auf sich und sein touristisches Angebot aufmerksam machen möchte. Genauso wie eine gewisse Flexibilität, doch auch in dieser Hinsicht macht der umgebauten HADAG-Fähre so schnell kein anderes Schiff an der Küste etwas vor. Ob „gesetzt dinieren oder ausgelassen feiern” ob als „Cabrio” im Sommer (bei geöffnetem Salondach) oder als gut beheiztes und sogar eisgängiges Partyschiff im Winter, ob nur für eine oder zwei Stunden oder gleich für mehrere Tage am Stück mit Übernachtung an Bord – Martin Doose macht mit seinem kleinen Schiff so ziemlich alles möglich. Besonders beliebt: Hochzeiten und Geburtstagsfeiern an Bord, aber auch Kundenevents, Meetings, Pressekonferenzen und Aftershow-Partys. Dass ihm die Schiffsdame inzwischen genauso ans Herz gewachsen ist wie einst seinem Vater, versteht sich dabei fast von selbst. „Es ist für uns mehr als ein Schiff – es ist uns ein Zuhause”, schreibt er auf der Homepage des Schiffes, wobei sich das „uns” auf seine Frau Jessica bezieht, die seit 2016 als „Mädchen für alles” den Bordbetrieb zusammen mit ihrem Mann aufrechterhält.

Eine Nacht an Bord
Wir gehen an einem Samstagabend im September an Bord. Am nächsten Morgen soll früh um 08:00 Uhr das Kreuzfahrtschiff NORDSTJERNEN von der Überseebrücke ablegen, da kommt der zentrale Liegeplatz des kleinen, aber feinen Hotelschiffes, das ja in Blickweite liegt, wie gerufen. Für die GROSSER MICHEL war dieser Tag übrigens ereignisreich: Zum ersten Mal hatte man in Hamburg das „Elbfest” gefeiert, eine Hafenparty mit Veranstaltungen rund um die vielen Schiffe, die inzwischen mehr oder weniger permanent im Sandtorhafen und im Museumshafen Övelgönne festgemacht haben – Segler, historische Schlepper, aber auch Küstenpassagierschiffe wie der ehemalige Helgolandfahrer SEUTE DEERN, das Feuerschiff ELBE 3 oder der Dampfeisbrecher STETTIN. Und die GROSSER MICHEL mittendrin, Seite an Seite mitunter mit ihren Schwesterschiffen KIRCHDORF und BERGEDORF. Der Schiffskonvoi ist daher am Abend auch Gesprächsthema Nr. 1 an der Bar. Welcher Kapitän die festgeschriebene „Paradedisziplin” wie ausgelegt hat und wann und warum davon abgewichen ist. Klönschnack aus erster Hand, und das bei einem frisch gezapften Bier und mit Blick auf Überseebrücke, Michel und Speicherstadt gleichzeitig. Bei einem weiteren Bier stößt im Verlauf des Abends noch ein Freund des Inhaber-Pärchens dazu, ein kurzer Anruf auf dem Handy und lautes Klopfen gegen die robuste Schiffstür genügten. Familiär geht es zu, auch hier ist man schnell per du und fühlt sich bald eher wie auf einem Hausboot als auf einem Hotelschiff.
Ach ja, da war doch noch was: die Kabinen. Schick sind sie, das „Hamburger Abendblatt” hat nicht übertrieben. Der kurze Korridor in dezentem Ocker gehalten und der Boden mit edlem Holz ausgelegt, erkennt man die alte Hafenfähre ein Deck tiefer tatsächlich fast nicht wieder. Innen auch keine Spur von den kargen Kammern, die man einige Stunden zuvor noch auf der (übrigens gleich alten) NORDSTJERNEN gesehen hatte. Das Bett ist breit, eine kleine Tüte Gummibärchen liegt auf dem Kopfkissen. Daneben sogar ein Bücherregal, selbstredend mit einem gerahmten Foto der GROSSER MICHEL darin. Vor dem großen Fenster ein Schreibtisch mit Lampe, Schminkspiegel, Wasserkocher und Tee-Bar. Sogar einen Fernseher gibt es, Dusche und Toilette nicht zu vergessen. Dagegen sieht so manches Hotel alt aus, die ehemalige HADAG-Fähre ist ein echtes Schmuckstück. Schade nur, dass ich morgen früh raus muss und von all dem am Ende nicht viel mehr als das Bett brauche.
Ein weiterer Pluspunkt bei einem familiären Betrieb wie diesem: Flexibilität. Vor dem Frühstück für einen Morgenspaziergang von Bord gehen? Kein Problem, einfach den Schlüssel mitnehmen, leise das Schiff abschließen und den Schlüssel nicht verlieren. Das Frühstück steht dafür bereits auf dem Tisch, wenn man wiederkommt. Nur Schiffshund Pino (genannt „Terrier”) war schneller. Angeblich Langschläfer, sitzt er schon erwartungsvoll im Bordrestaurant, als der Tee erst noch ziehen muss. Bezahlt wird anschließend an der Bar, die gleichzeitig auch Rezeption und DJ-Pult ist. Denn ein Schiff der kurzen Wege ist die GROSSER MICHEL ebenfalls, und das bis zum Schluss. Kostenloses Parken direkt am Schiff ist nämlich für Übernachtungsgäste kein Problem, die Formalitäten mit der Schranke übernimmt man für die Gäste an Bord. Schnell noch einen Blick auf Hans Albers geworfen, der von einem Foto an der Wand grüßt, welches ihn vor der CAP ARCONA zeigt, und dann heißt es auch schon wieder Abschiednehmen vom kleinen, großen Michel. „Tschüss” steht da an der Tür, hamburgisch kurz. Ausgeruht, satt und rundum zufrieden können wir in den Tag starten. Geschaukelt hat es übrigens überhaupt nicht!

Die Zukunft
Bereits Martin Doose sr. hatte in einem Prospekt über sein damals neu erworbenes Schiff „Erholungsreisen auf Elbe, Nordsee, Ostsee und Mittelmeer” versprochen, immerhin ist die GROSSER MICHEL bis heute voll seetüchtig. Geworden ist daraus allerdings nichts, auch wenn Martin Doose jr. den Traum vom „echten Minikreuzfahrtschiff” weiterträumt. Vielleicht nicht mehr im Mittelmeer, aber „bis Kopenhagen oder Amsterdam” möchte er fahren. Hierzu hat er eine Fundraising-Kampagne gestartet, deren Einnahmeziel 150.000 € waren. Zertifiziert ist die GROSSER MICHEL bislang nämlich als nationales Binnenschiff, darf also trotz bester technischer Voraussetzungen nicht wesentlich über die Elbmündung hinaus. Eine Änderung des Zertifikats würde bedeuten, dass man in Zukunft weit mehr bieten könnte als „langweilige Hafenrundfahrten”, wie Doose bei der Vorstellung der Kampagne unumwunden schreibt. Allerdings seien hierzu auch Investitionen in die Maschine und in die nautische und die Sicherheitsausstattung des Schiffes nötig. Die Fundraising-Kampagne soll helfen zu erreichen, dass die GROSSER MICHEL nach 63 Dienstjahren tatsächlich ebenfalls endlich jene weite Welt kennenlernt, in die es ihre Schwesterschiffe (wenn auch nur als schnöde Hafenfähren) längst verschlagen hat. Kurzkreuzfahrten zu den deutschen Nordseeinseln oder in die Dänische Südsee möchte Doose anbieten, als „Botschafter Hamburgs”, wie er schreibt. Spätestens da darf es dann natürlich auch ein bisschen schaukeln. www.grossermichel.de 

Technische Daten MS GROSSER MICHEL
Bauwerft: Johann Oelkers, Hamburg-Wilhelmsburg, 1955; Im Dienst: seit dem 20. Dezember 1955; Flagge: Deutschland; Heimathafen: Hamburg; Tonnage: 299 BRT; Länge: 30,18 Meter; Breite: 7,52 Meter; Tiefgang : 2,87 Meter; Passagiere: 80; Betten: 8; Kabinen: 5; Besatzung: 2 – 4; Leistung: 279 kW; Höchstgeschwindigkeit: 10,5 Knoten.

18313 02 Grosser Michel Hamburg Elbfest01 2016 Kai OrtelBeim „Elbfest” im Hamburger Hafen fahren die Schwesterschiffe BERGEDORF und GROSSER MICHEL in Kiellinie.

18313 03 Grosser Michel Hamburg06 2016 Kai OrtelDer beste Liegeplatz weit und breit: am Sandtorhöft am Fuß der Elbphilharmonie.

18313 04 Grosser Michel Hamburg10 2016 Kai OrtelDer obere Salon der GROSSER MICHEL ist mit viel Liebe zum Detail eingerichtet.

18313 05 Grosser Michel Hamburg11 2016 Kai OrtelDer Salon der GROSSER MICHEL ist morgens auch Frühstücksraum.

18313 06 Grosser Michel Hamburg12 2016 Kai OrtelBar und Mischpult in einem. Auf einem kleinen Schiff wie der GROSSER MICHEL sind kreative platzsparende Lösungen gefragt.

18313 09 Grosser Michel Hamburg03 2016 Kai Ortel

Ein kleines Raumwunder: Bad und Dusche in der Außen-kabine an Bord.

18313 08 Grosser Michel Hamburg01 2016 Kai Ortel

Besser als auf einem Kreuzfahrtschiff: Außenkabine mit Bücherregal.

18313 10 Grosser Michel Hamburg01 2018 Kai OrtelIm Frühjahr 2017 erhielt die GROSSER MICHEL ihren aktuellen roten Anstrich.