SeereisenMagazin Logo klein 347 65SAVOIR VIVRE · AUSGABE 6/2018hr

18607 4 Foto Petra BromundDas Welterbe Mont Saint Michel in der Normandie ist dank einer Brücke jetzt leicht zu erreichen. Mehr als 3 Millionen Besucher werden jährlich auf dem Felsen gezählt. Fotos: Petra Bromund, Bremen

Dieter Bromund (Text) · Petra Bromund (Fotos)

Savoir Vivre: Das Leben genießen
Mit der MS ASTOR zur Küste der Biscaya

Diesmal war alles anders. Die Leuchttürme entlang des Fedderwarder Fahrwassers hielten sich im Spätsommerdunst scheu zurück, auch der Rote Sand war am Fahrwasser Neue Weser kaum auszumachen. Die MS ASTOR lief am frühen Nachmittag unter heißer Sonne aus Bremerhaven aus, da war noch alles aufregend neu: Tonnen, Türme und das Schiff auf der Fahrt in die Biscaya. „Savoir Vivre” war das Thema der Reise, „Leben wie Gott in Frankreich” stand als Unterzeile dazu im Katalog.
Die Fahrt begann mit einem ganzen Tag auf See – unter der englischen Küste. „The Channel”, die See, die den Kontinent von England trennt, ist in Fahrwasser geteilt, die streng überwacht werden und nur rechtwinklig, auf kürzestem Wege also, gequert werden dürfen. In den Atlantik hinaus fahren Schiffe unter der englischen Küste, in die Nordsee hinein an der Küste von Frankreich, Belgien und Holland entlang. Die MS ASTOR hatte auf dem Weg zum ersten Halt in St. Malo in der Bretagne die Fahrwasser dieses Meeresteils also zweimal zu queren.

Unbekannte Näherung an ein bekanntes Land
Die Reise hatte uns gelockt, weil Hafenzeiten und Seetage ausgewogen waren. Und wir liebten und kannten Frankreich, hatten aber das Land noch nie vom Meer aus erkundet. St. Malo lag trutzig direkt an der salzigen See, Bordeaux, Nantes und Rouen und (das spanische) Bilbao waren Städte, die sich in weiser Entfernung von den Gefahren des Meeres an Flussufern entwickelt hatten. Die MS ASTOR konnte diese Flüsse bis zur ersten festen Brücke befahren, ein Abenteuer der besonderen Art, kleineren Kreuzfahrern vorbehalten. Die Planer der Reise hatten daraus etwas gemacht. In Bordeaux lag das Schiff fast zwei volle Tage, und fast so lange auch in Nantes. Eine eher geruhsame Reise kündigte sich also an.
Zwar sind Biscaya und der Ausgang des englischen Kanals gefürchtet wegen starker Winde und rauer See. Doch immer, wenn wir sie durchquert hatten, als Segler oder als Kreuzfahrer, hatten wir freundliches Wetter gehabt. Würden wir Sturm und ruppigem Wasser auch diesmal entgehen?

Vertraute Gesichter und Namen
Wir kannten die MS ASTOR von einigen Reisen, mussten sie also nicht neu erkunden. Das Schiff ist inzwischen 34 Jahre alt, gehört dem britischen Unternehmen Cruise & Maritime Voyages (CMV) und wurde umfangreich das letzte Mal 2009 auf der Lloyd Werft in Bremerhaven in sieben Monaten modernisiert.
Unsere Koffer standen um 12.45 Uhr vor unserer Kabine. Wieder freuten wir uns über unser Bad, eine der am besten geschnittenen Nasszellen, die wir in aller Welt auf vielen Schiffen erprobt hatten. Wir bekamen im Restaurant unseren Wunschtisch in der ersten Sitzung um 18.00 Uhr.
Und wir konnten Vertraute begrüßen, die an ihren Uniformen auf Namensschildern auf dieser Reise nur ihre Vornamen zeigten. Maximilian, Saskia, Alyona, Uli und später an der Bar Pavel und Liam und als Weinkellner Sükrü. Und ein, zwei Tage später gehörten I Nyoman, der Kabinensteward, und San, unser Oberkellner mit der gelben Fliege, auch dazu. Sergiy Strusevych war wieder Kapitän, inzwischen – wie er uns beim Kapitänsempfang sagte – Großvater eines zweiten Enkels.
Auf dem Tisch unserer Kabine stand zu unserem Empfang eine Flasche Rotwein griechischer Provenienz, und als wir vor dem Abendessen die Weinkarte studierten, waren französische Weine eher selten. Sollte, wer in Frankreich das Leben genießen will, vor allem fremde Tropfen trinken?

Wege zum Ziel
Wir hatten Ausflüge vorab gebucht, fanden die Tickets in unserer Kabine, und sofort auch das Tagesprogramm. Als wir am zweiten Reisetag auf dem Programm „Erholung auf See” lasen, stand am Fuß der Titelseite ein Logo, das uns die ganze Reise begleiten würde: ARD Buffet. Leben wie Gott in Frankreich – braucht man dazu ein Erfolgsprogramm des Ersten Deutschen Fernsehens? Wir ließen uns überraschen. Schließlich war schon unsere Anreise zur MS ASTOR ganz anders als sonst verlaufen. Als Bremer hatten wir diesmal in Bremerhaven übernachtet, um ein neues Hotel kennenzulernen, „The Liberty”, gleich neben dem Deutschen Auswandererhaus. Wir genossen Bad und Bett, Abendessen (aus kleiner Karte) und ein ausuferndes Frühstück mit aufmerksamem Service. So lässt sich der Abschied von Land gut begehen, abends in der Bar im 5. Stock, wenn die Sonne in der Nordsee versinkt.
Unser morgendlicher Weg zur MS ASTOR am Columbus Cruise Center in Bremerhaven war auf dieser Reise also besonders kurz. Direkt aus dem Kofferraum konnten wir noch vor der Parkplatzfindung unser Gepäck am Laufband loswerden und hatten zum Einchecken nur ein paar Meter zu laufen. Bequemer geht’s kaum. An Bord fuhren 426 Gäste, viele Einzelreisende mit eigener Kabine, 173 Männer, 253 Frauen. Das Durchschnittsalter aller lag bei 73 Jahren.

Präzises Ausflugsprogramm
Zwölf Tage, fünf Häfen, fünf Seetage, ein Geburtstag, unser Hochzeitstag: Unser Programm war in der Tat voll. Wir hatten schon lange vorab sechs Ausflüge gebucht, nur in Nantes verzichteten wir auf eine Führung.
Sehr hilfreich erwies sich bei der Planung eine ausführliche Broschüre, die mit den Reiseunterlagen verschickt worden war. Sie stellte nicht nur die jeweiligen Tourenziele vor, sondern auch die Schwierigkeiten, die den Fußgänger erwarteten, wie etwa beim Ausflug zum Mont St. Michel von St. Malo aus mit hunderten von Stufen, die keineswegs nach DIN Normen in Stein gehauen waren.
Der Ablauf des Aufrufens und Einsteigens bei Ausflügen hatte sich schnell eingespielt. Stefanie Peters als kompetente Ausflugsleiterin musste kaum korrigierend eingreifen. In den Bussen übernahmen meist junge Damen die Führung und zeigten und erläuterten den deutschen Gästen, wie man in Frankreich als Bürger einst lebte und Denkmale sakraler oder profaner Art hinterließ. Wer sich außer für historische Immobilien und Museen auch für die genüsslichen Seiten des heutigen Lebens interessierte, kam ebenfalls auf seine Kosten. In St. Emilion in den Weinbergen des Médoc konnte man weltberühmte Weine erstehen, in einem Chateau im Gebiet Entre-deux-mers erfuhr man, wie man sie macht. In der Normandie war bei Busnel zu prüfen, welcher normannische Käse zu welchem Calvados am besten passt. Austern waren in allen Häfen zu haben, vermutlich war das der Grund, sie an Bord nicht anzubieten.

Lernen und Genießen
Über das und mit dem Fernsehprogramm „ARD Buffet” hatten fast 200 Gäste zur MS ASTOR gefunden, die nun live genossen, was sonst nur am Bildschirm erlebbar war. Rainer Klutsch kochte auf kleiner Flamme in der Astor-Lounge, Barbara Bjarnason sprach über Lebensmittel und Gesundsein, Holger Wienpahl moderierte. Und so lernten die Gäste in vielen Auftritten, wie man etwa Maultaschen auf schwäbische Art zubereitet oder wie man mit Tafelspitz umgeht. Leben wie Gott in Frankreich bedeutete also keineswegs Konzentration auf französische Küche. Werner Eckert gab nach Bilbao bei Proben an Bord den Weinen der Loire die ihnen zustehende Ehre.
Zu dem vollen Programm während der Seetage gehörten ein Schreibworkshop in mehreren Sitzungen mit Anke Gebert und Vorträge von Lektor Frank Müller zu Schiffen, Seezeichen und Seeleuten. Abends sorgten das Astor Showensemble und die Astor Showband für Unterhaltung und Tanzmusik und das Lucky Duo manchmal auch fürs Mitsingen. Am vorletzten Abend gab der Kapitän einen aus, Freibier auf Deck 8 ab 21 Uhr, mit Weißwurst, süßem Senf und Brezeln. Freibier vom Herrn des Schiffes gehört also immer noch zu einer zünftigen deutschen Kreuzfahrt – auf jedem Meer.

Von Auf- und Untergängen
Was genießt man eigentlich bei einer solchen Seereise von der See selber? Wir hatten eine Kabine an Backbord, „in Fahrtrichtung links”, und sahen damit bis Bilbao auf dem Meer die Sonnenaufgänge, wenn wir rechtzeitig wach waren: von grau über rot und gelb bis zum hellen Blau eines sonnigen Vormittags.
Wir lieben es, ungehindert aufs Meer zu blicken, und fanden immer ein windgeschütztes Plätzchen. Immer wieder verschlägt es uns den Atem, wenn der Wind zunimmt oder dreht und ein wechselnder Himmel das Wasser neu tönt. Wieviel Formen haben eigentlich Schaumkronen?
Um Liegen gab es nie und nirgendwo Streit, nötige Decken standen zur Verfügung, und auf den Achterdecks sorgten Stewards für heiße und kalte Getränke.
Ein Tag auf See bietet bei freiem Himmel und wenig Wind den meisten Gästen Gelegenheit, sich liegend bräunen zu lassen. Was auf dem Wasser geschieht, wird wenig beachtet. Selbst Schiffe, ob sie nah vorbeiziehen oder nur den fernen Horizont durchstoßen, interessieren kaum. Also wurden sie auch nicht über Lautsprecher angekündigt. Was zweimal am Tag der Kreuzfahrtdirektor an Informationen durchsagte, stand schon im Programm – bis auf die exakte Schiffsposition. Die gab auch der Kapitän um 12.00 Uhr Schiffszeit bekannt – nach acht Glasen.
Sonnenuntergänge gleichen sich und sind doch jeden Tag anders. Wir erlebten sie gern nach dem Abendessen der ersten Sitzung. Und erfreuten uns am Aufgang der Sterne, der nur auf See so überwältigend klar ist. Das geräumige Vorschiff auf dem Sonnendeck indes war meistens leer. Der Fahrtwind konnte hier ungehindert zupacken und erlaubte auch kaum Gespräche.
Schweigen also bei einer Meerfahrt? Warum nicht, wenn die Nacht groß ist und die Ferne grenzenlos.

Köche, Küche und Käse
Bliebe von der Küche zu reden. Auf der MS ASTOR kann man bei freier Tischwahl im Übersee-Club auf Deck 7 speisen, sich am Büffet selber bedienen und bei dienstbaren Geistern Getränke ordern. Oder man nutzt das Waldorf Restaurant auf Deck 6 mit fester Sitzordnung, abends zu zwei Tischzeiten, 18.00 Uhr und 20.00 Uhr. Küchenchef war auf dieser Reise Harold Mandumpala, der ein erfahrenes indisches Team leitete. Immer standen Fleisch, Fisch, Vegetarisches und eine so genannte Gesunde Wahl auf dem Programm.
Großes Lob galt den Köchen, Kritik der Auswahl oder Präsentation von Käsen. Frankreich soll, so Charles de Gaulle, unregierbar sein, weil es mehr als 400 verschiedene Käsesorten herstellt. Drei bis vier wurden morgens und abends angeboten, meist immer die gleichen und fast immer zu kalt. Da hatte wohl der Einkauf gehandelt, ohne die Reiseroute zu kennen.
Auf den Tischen stand häufig ein Olivenöl, wohlduftendes, leicht grünliches, in das man hingebungsvoll sein Brot stippen konnte. Französisches Lebensgefühl? Zum Wissen, wie man leben soll, gehören ganz sicher ein großes Herz und ein weiter Horizont. Denn das Öl war auf der Insel Lesbos aus heimischen griechischen Oliven gepresst worden. Es gefiel so, dass man es am Ende der Reise nicht mehr in der Boutique kaufen konnte.

Auf ein Neues
In der Biscaya und im Ausgang des „Channels” kann es nicht nur kräftig wehen, auch weit vor der französischen Küste kann eine gewaltige Brandung entstehen, da wo der Schelf des Kontinents in die Tiefen des Atlantiks abbricht. Doch wir erlebten auf dieser Reise nichts davon. Die Biscaya und der „Channel”, zweimal durchquert, zeigten sich friedlich und glänzten in der Sonne.
Zwölf Tage, fanden manche, sei für eine Seereise zu kurz. Und so blieben in Bremerhaven ein paar Dutzend Gäste an Bord, die gleich die anschließende Reise der MS ASTOR gebucht hatten. Sie begann am Tag unserer Rückkehr in Bremerhaven und führte in acht Tagen ins Swinging London, an zauberhafte Kanalinseln und dann nach Bremerhaven zurück. www.transocean.de

 

18607 1 Foto Petra BromundBeim Auslaufen in Bremerhaven passiert die MS ASTOR die längste Kaje aller deutschen Seehäfen.

18607 3 Foto Petra BromundDie MS ASTOR liegt in St. Malo auf Reede. Die Stadt ist eine Hochburg für Segler, berühmte Hochseerennen starten oder enden hier.

18607 5 Foto Petra BromundDie Ursprünge des Klosters liegen im Jahr 966. Populär und zu einer Kultstätte wurde es im 15. und 16. Jahrhundert. Um den Mont St. Michel ranken sich viele Legenden.

18607 6 Foto Petra BromundTrotz Brücke, Straßen und Wagen gibt es immer noch Besucher, die bei Niedrigwasser den Weg übers Watt vorziehen, um den Klosterfelsen auf der Granitinsel zu erreichen.

18607 7 Foto Petra BromundDinan in der Bretagne – weit im Binnenland – hat über den Fluss Rance Verbindung zum Meer. Die Altstadt liegt, von Wallanlagen geschützt, hoch am Ufer.

18607 9 Foto Petra BromundFranzosen lieben Brücken. Diese Hebebrücke in Bordeaux erlaubt auch größeren Schiffen das Anlaufen der Stadt weit im Binnenland.

18607 11 Foto Petra BromundDie MS ASTOR hat im Herzen der Stadt Bordeaux festgemacht. Das meiste Sehenswerte ist leicht zu Fuß zu erreichen.

18607 12 Foto Petra BromundWer die Cité du Vin besucht, wird mit einem Glas Wein belohnt. Lange Schlangen bilden sich am Ausschank unter einem Himmel, der aus leeren Weinflaschen besteht.

18607 13 Foto Petra BromundKlein, aber weltberühmt und am Kirchturm zu erkennen ist St. Émilion im Medoc, von Bordeaux aus leicht zu erreichen. Wer hier einen bekannten Wein zu einem erschwinglichen Preis erwirbt, erhält fast immer den Rat, die Flasche zu Hause noch einige Jahre ruhen und reifen zu lassen.

18607 14 Foto Petra BromundBilbao in Spanien ist berühmt geworden wegen seines Guggenheim Museums im Herzen der Stadt, das der amerikanische Star-Architekt Frank O. Gehry entwarf und baute.

18607 17 Foto Petra BromundAuch in Bilbao weiß man gut zu leben. In der Markthalle drängen sich Stände, Restaurants und Bistros. Tapas, Pinchitos und Albondigas gibt es in Spanien in unendlicher Vielfalt.

18607 18 Foto Petra BromundDas raue Klima der Biscaya verlangt besonderen Schutz der Stadthäuser. Erkerbalkons bringen in Sommer Kühle und bieten im Winter Wärme.

18607 21 Foto Petra BromundBrücken auch über die Mündung der Loire. Die Bögen sind so hoch, dass selbst Kreuzfahrtriesen die Werften am Fluss anlaufen können. Auf ihnen wurden viele bekannte Kreuzfahrtschiffe gebaut.

18607 22 Foto Petra BromundDrei Mann in der Nock. Der Lotse berät den Kapitän, der beim An- und Ablegen das Schiff selber steuert. Der Kapitän gibt seine Befehle an den Staff Captain, der Rudergänger und Festmachergangs führt.

18607 23 Foto Petra BromundDas Schloss in Nantes war einst Sitz der adligen Landesherren. Heute beherbergt es ein Museum, das gern von Schulklassen besucht wird.

18607 24 Foto Petra BromundDie große Uhr in Rouen zeigt, wie reich diese Stadt einst war. In Rouen wurde 1431 Jean d’Arc verbrannt, 24 Jahre später zur Märtyrerin erklärt und 1920 heiliggesprochen.

18607 25 Foto Petra BromundDie Markthalle in Rouen bietet alles, was in Frankreich auf einen Tisch kommen kann, wie etwa die berühmten Austern aus Cancale in der Bretagne.

18607 26 Foto Petra BromundDer Thunfisch wurde dicht unter der Küste gefangen, in der Markthalle von Rouen kochgerecht zerlegt und wartet hier bestimmt nicht lange auf Käufer.

18607 28 Foto Petra BromundHonfleur an der Mündung der Seine hat einen malerischen alten Hafen für Segler. Im Hafenwasser spiegeln sich die Giebel alter Häuser, auf den Piers locken dicht an dicht Restaurants. Sie sind immer sehr gut besucht.

18607 31 Foto Petra BromundFarbige Anhänger markieren und separieren Hunderte von Koffern, die ein Kran an Land heben wird. Der „turnaround” der MS ASTOR dauert in Bremerhaven nur wenige Stunden, dann sind alle Gäste mit ihrem Gepäck unterwegs nach Hause und die neuen an Bord. Wieder kann eine Reise beginnen.