SeereisenMagazin Logo klein 347 65SÜDSEE · AUSGABE 4/2018hr

18405 Suedsee 2018 P1120759 Foto Petra BromundDie MS NOORDAM der HAL ist noch in Rotterdam registriert, obwohl sie vor allem in der Südsee und im Nordpazifik kreuzt
und schon seit Jahren zur amerikanischen Carnival Corporation gehört. Holländische Atmosphäre ist an Bord weiter zu spüren. Und die Nationalflagge der Niederlande wird auch auf Tenderbooten gesetzt.
Fotos: Petra Bromund, Bremen

 

Dieter Bromund (Text) · Petra Bromund (Fotos)

Mit MS NOORDAM in der Südsee – Von Zielen der Sehnsucht

Das Auslaufen geschah so, wie man es sich wünscht: pünktlich an einem warmen Abend um die Zeit des Sonnenuntergangs auf einem einladenden Achterdeck vor einer atemberaubenden Kulisse stehend, ein Glas sehr kalten Champagner in der Hand – Sydney Harbour. Schlepper hielten sich in der Nähe auf, doch die MS NOORDAM brauchte ihre Hilfe nicht. Drei kurze Schallsignale, rückwärts laufend drehen, dann den Tonnen voraus folgend, bis der Lotse von Bord ging. Auf den Kurs einschwenken, der zwei Tage und Nächte der gleiche blieb, Nord mit einem deutlichen Schlag Ost. Voraus lag das erste Ziel: Noumea, die Hauptstadt Neukaledoniens, französischer Besitz im südwestlichen, dem melanesischen Teil des Pazifiks. Von Noumea würde es weiter nach Vanuatu gehen und auf die Fiji Inseln.

Holländisches Flair
Die MS NOORDAM ist überschaubare 285 Meter lang, komfortabel, eher gemütlich als smart. Sie gehört zur HAL, der Holland America Line, die Teil der amerikanischen Carnival Corporation ist. Eine Crew von 811 betreut maximal 1.972 Passagiere auf elf Passagierdecks. Weitere Kennzeichen: sechs Restaurants und Cafés, zehn Lounges und Bars, sieben Veranstaltungsorte, zwei Außenpools, ein Spielkasino, eine Bibliothek und einige rührige Duty-Free-Geschäfte.
Kapitän Peter Voss ist Holländer. Für ihn war dies die letzte Reise. Der Mann, der seine Karriere auf Tankern begonnen hatte, ging nach North Carolina, um nie wieder ein Schiff zu betreten, wie er beim Dinner sagte. Er ist schlank geblieben und spöttelt gern mal über Route und Reederei. Doch er weiß seine Punkte durchzusetzen: Häufiges Waschen und Desinfizieren der Hände beim Betreten des Schiffs und der Restaurants sind keine Marotte des Alten. In der HAL Flotte hatten seine Schiffe immer die wenigsten meldepflichtigen Brechdurchfälle bei Passagieren. Blitzblanke Sauberkeit gehört zu den holländischen Tugenden, die auch auf der MS NOORDAM zu spüren waren.

Seetage, kontemplativ oder geschäftig
Sechs der dreizehn Tage dieser Reise waren reine Seetage, für aus Europa eingeflogene Gäste Erholung und Eingewöhnung zugleich. Vom Balkon der eigenen Kabine aus war die leere blitzblaue See zu genießen, die nachts von einem Himmel mit unbekannten Sternen überwölbt war. An das leise Surren der Belüftung gewöhnte man sich schnell. Damit sie ihre Pflicht erfüllen konnte, erträgliche Temperaturen in der Kabine zu bieten, musste die Tür nach draußen geschlossen bleiben. Das Rauschen des Wassers drang also nicht in die Träume.
Wer kontemplatives Beschauen von Wellen und Wolken nicht mochte, fand an den Seetagen ein Programm, das von seefahrtsfernen Angeboten überquoll. Man konnte in Kursen kochen lernen, in einer Bar Cocktails mixen, seine Digitalkamera oder den Umgang mit Laptops gründlich studieren. Line Dance war einzuüben, Kunstsachverstand zu erwerben, in Turnieren konnte man pokern, sein Glück am Spieltisch oder an einarmigen Banditen versuchen. Man musste einige Kraft aufwenden, um den Verlockungen eines Juweliers zu widerstehen, der Perlen, Uhren und Schmuck zu Preisen anbot, die nicht nur australischen Kunden gefielen.

Hören und reden, essen und trinken
Viele Abende begannen mit klassischer Musik eines Streichquartetts, live auf der Lincoln Center Stage, vor dem Abendessen. Und nach dem Speisen stand Unterhaltung vom Besten auf dem Programm – in der gewaltigen Vista Lounge oder etwa im B.B. King’s Blues Club. Wer ruhige Gespräche vorzog, musste nicht lange suchen. Ruhige Ecken fanden sich überall. Tropische Nächte haben auch an Deck eines großen Schiffes ihren Reiz.
Wie nicht anders zu erwarten, war das Essen auf der MS NOORDAM vorzüglich. Man hatte die Wahl zwischen einem festen Tisch zu festen Zeiten im Vista Dining Room auf Deck 3 oder je nach Laune ein Deck tiefer ohne Reservierung. Ganz unkonventionell ging es oben im Lido Market zu. Vom Frühstück bis zum Abendessen konnte man sich dort in sehr lässiger Atmosphäre selber vom Buffet bedienen. Und wer noch mehr wollte, konnte einen Tisch in zwei Spezialitätenrestaurants buchen.
Dresscode, täglich auf dem Programm ausgedruckt, war an den meisten Tagen „smart casual”. Im Restaurant trug man Jackett, Krawatte nur zu Gala-Ereignissen. Dann wurden auch vereinzelt Smokings gesehen.
Umgangssprache an Bord war Englisch, doch das Tagesprogramm wurde für die wenigen Deutschen an Bord auch in Deutsch verteilt. Sie gehörten zu den 96 Europäern, der drittgrößten Gruppe. Die größte mit 875 Passagieren bildeten Australier, gefolgt von 184 US-Amerikanern. 67 kamen aus Kanada und je gut 30 aus Neuseeland und Asien.

Was es an Land zu sehen gab
Wie sehen Ausflüge aus, wenn sie das Interesse so vieler Nationalitäten treffen sollen? Angefahren wurden sechs Inseln mit Stopps in Häfen und auf Reede.
Jeder Gast fand zu Beginn der Reise in seiner Kabine ein zwölfseitiges Heft vor, etwa im DIN A 4 Format. In ihm fanden sich 57 Ausflugsvorschläge detailliert beschrieben und mit Schwierigkeitsgraden bewertet, viele von ihnen mit mehreren Startterminen. Natürlich waren exakte Preise angegeben und die Dauer. Hingewiesen wurde auf Besonderheiten: Air conditioning in Bussen ist in den USA etwas anderes als in Neukaledonien, und in Toiletten auf einer Insel gibt es manchmal keine Sitze.
Man musste also nur noch buchen, das Ticket wurde in die Kabine geliefert. Auf ihm war auch gedruckt, wann man sich wo für den Ausflug einzufinden hatte. Und so erlebte der Gast, was er sehen wollte, zumeist aus Bussen, gelegentlich auch zu Fuß oder von Booten aus.

Warum dorthin?
Warum waren wir in die Südsee gefahren? Weil in Jugendjahren Sehnsucht sich meldete nach der Lektüre eines weltbekannten Buches „Die Meuterei auf der Bounty”. Weitere Bücher ließen die Sehnsucht weiterflackern und dann hell lodern. Ich las die Logbücher des James Cook und seiner französischen Kollegen, entdeckte Robert Louis Stevenson und Jack London als Erzähler, war mit Melville auf der Jagd nach dem Weißen Wal, folgte atemlos Thor Heyerdahl auf seiner KONTIKI und las schließlich fast alles, was über den großen Ozean geschrieben worden war, in Deutsch oder Englisch. Von James Micheners Geschichten aus der Südsee konnte ich nicht genug bekommen. Sie waren seinerzeit auch in ein erfolgreiches Musical verwandelt worden. So vielen Lockungen kann niemand widerstehen. Wir flogen nach Sydney und gingen dort an Bord.
Entsprechend sahen unsere Ausflüge aus. Wir suchten uns vor allem die Ausflüge aus, die in die Geschichte führten. Wie lebte man auf den Inseln, ehe die Europäer kamen? Wie in einer Kultur, die keine Schrift kannte und kein Metall? Wie eroberten diese Menschen alle Inseln im größten Ozean der Welt? Was änderte sich, als die Südsee als Handelsgebiet entdeckt wurde und europäische Nationen, darunter auch das deutsche Kaiserreich, ganze Inselgruppen für sich in Besitz nahmen? Und was brachten christliche Missionare den glücklichen Heiden?
So fuhren wir durch Sehnsuchtsziele in Neukaledonien, Vanuatu und den Fiji Inseln. Mit neugierigen Augen und hungrigen Kameras. Wir brachten ein Tagebuch und einige tausend Fotos mit, die wir zu Hause ordneten und auswerteten.

Ziel erreicht?
Hat sich also die weite Reise für uns gelohnt? Konnten wir nachvollziehen, wie der größte Ozean der Welt erschlossen wurde und warum seine Inseln bis heute für viele noch immer ein Paradies darstellen? Die Fiji Insel Viti Levu laufen jährlich dreihundert Kreuzfahrtschiffe an.
Auf den Inseln, die wir besuchten, ist die Neuzeit so zu Hause wie auf anderen Inseln der Weltmeere – mit Asphaltstraßen, Flughäfen, Autos, Strom und allem, was man mit ihm anfangen kann. Der politischen Gegenwart der Südsee wird in europäischen Medien nicht viel Platz eingeräumt, parlamentarische Demokratien gibt es auf allen drei Gruppen. Vanuatu ist seit 1980 selbständig, die Fiji Inseln sind es seit 1970, gehören aber weiterhin zum britischen Commonwealth. Neukaledonien muss in diesem Jahr entscheiden, ob es bei Frankreich bleiben will.
Doch wenn die Insulaner das Habit wechseln und Vergangenes präsentieren, tauchen Sitten und Gewohnheiten auf, die der Besucher als längst überholt einschätzt. Auf Inseln haben noch immer Häuptlinge und Unterhäuptlinge viel zu sagen, denen man mit Ehrfurcht begegnet und die z. B. eigene Eingänge in dörflichen Versammlungshäusern haben. Ihre Entscheidungen sind oft gewichtiger als die ferner Parlamente. Land kann man nicht kaufen, nur erheiraten. Also ist die Dorfgemeinschaft schon interessiert, welche Frau aus dem Nachbardorf ein junger Mann sich aussucht. Eine deutlich sichtbare Zahnlücke ist Zeichen für einen Verlobten. Ein Tattoo am Arm zeigt ebenfalls eine beabsichtigte Bindung an. Für seine Braut zahlt man – mit Schweinen. Wird ein Junge geboren, beginnt man schon bald, Ferkel für seine Herde aufzuziehen, denn landreiche Frauen sind viele Schweine wert. Zu fremden Göttern wird nicht mehr gebetet, aber Gemeinschaftshäuser werden z. B. immer noch mit hölzernen Köpfen mächtiger Geister geschmückt. Was an heidnischen Objekten noch vorhanden ist, wird sorgsam aufbewahrt.
Natürlich hat auch die ferne Südsee ihre Probleme mit angeschwemmtem Plastikmüll, schwindenden Korallen, überfischten Seegebieten und Qualm, wo Erze oder seltene Erden gefördert und Schiffe beladen werden. Es soll sogar traffic jams geben.
Doch dann sitzt man am Strand, heller Sand rinnt zwischen den Zehen, das Wasser wogt kristallklar über einem weißen Grund, Wind bewegt die Palmenblätter, Hühner tapsen durch dichtes kurzes Gras, ein Hund döst im Schatten. Ein Erdofen verströmt einladenden Duft, Männer sitzen rauchend unter einem Dach um eine Schale, der Kavabecher kreist. Ganz weit weg rauscht leise Brandung und spritzt hohe Gischtfahnen in den heißen Himmel. Da ist man dann sicher, dass die eigene Sehnsucht ihr Ziel gefunden hat.

 

18405 Suedsee 2018 1040328 Foto Petra BromundNiemand weiß, wie viele Schiffe an Riffen in der Südsee scheiterten. Riffe sind aus einiger Höhe an ihrer Brandung leicht zu entdecken und selten harmlos. Auch moderne Schiffe haben Respekt vor ihnen und brauchen fürs Ein- oder Auslaufen
häufig die Hilfe Ortskundiger, wenn Lotsen nicht zur Verfügung stehen.

18405 Suedsee 2018 1040349 Foto Petra BromundAuch das ist Südsee. In Noumea in Neukaledonien stapeln sich Container wie in jedem europäischen Hafen. Die örtlichen Behörden verbieten Besuchern, das Hafengelände zu Fuß zu durchqueren. Selbst wer nur das Marinemuseum in Sicht-
weite besuchen wollte, musste auf einen Shuttle Bus warten, der von der Gangway bis ins Stadtzentrum fuhr.

18405 Suedsee 2018 1040388 Foto Petra BromundFremde Kulturen brauchen jemanden, der sie dem Besucher näherbringt. Der Guide, der durch das Tjibao Cultural Centre in Neukaledonien führte, wusste alles über die Südsee und ihre Geschichte. Besonders angetan hatten es ihm und seiner
Gruppe die Totempfähle einzelner Inseln, die hier gesammelt sind.

18405 Suedsee 2018 P1120571 Foto Petra BromundTjibao Cultural Centre hieß das Freilichtmuseum, das in Neukaledonien traditionelle und moderne Architektur präsentierte. Renzo Piano hatte es konzipiert. Auch Ausstellungsstücke der ganzen Inselwelt sind in ihm zu besichtigen.

18405 Suedsee 2018 1040494 Foto Petra BromundNur in der Regenzeit und zum Schlafen braucht man Hütten. Ansonsten findet das Leben draußen statt unter Palmen und anderen Bäumen. Wenn ein Kreuzfahrtschiff auf Reede liegt, werden Tische aufgestellt, um Tücher oder Souvenirs
anzubieten. In improvisierten Lauben werden müde Touristen massiert.

18405 Suedsee 2018 1040454 Foto Petra BromundWie kocht man in einer Kultur, die kein Metall kannte? Ein Huhn wird zerlegt und mit Früchten und Gemüsen in große Blätter eingewickelt.

18405 Suedsee 2018 1040436 Foto Petra BromundUnd plötzlich war da ein Dorf. Die Hütte, in dem die Dorfgemeinschaft sich treffen kann, ist aus Blättern und Zweigen gebaut, das Dach hält jeden Regen aus. Ein Zaun schützt es vor profanem Brauch.

18405 Suedsee 2018 1040495 Foto Petra BromundWenn die Fremden kommen, wird gern gesungen – auch ohne Instrumente. Die Musik klingt vertraut, die Sprache ist unverständlich, der Rhythmus lädt ein.

18405 Suedsee 2018 1040544 Foto Petra BromundSonnenschutz für die Kapelle. Gitarren sind preiswert, ein Kontrabass als Rhythmusgeber kaum bezahlbar. Also wird improvisiert. Aus einer Teekiste, einem Besenstiel und einer Juteschnur wird gebastelt, was den Takt angibt:
ein Bass made in Fiji.

18405 Suedsee 2018 1040618 Foto Petra BromundZum Abschied tanzten die Männer. Frauen waren im Ekasup Cultural Village in Vanuatu kaum zu sehen, den Tag gestalteten Männer. Ihre Kleidung bestand aus dem, was Palmen und Gräser liefern. Was wie kleine Paddel aussah, waren Waffen aus Hartholz.

18405 Suedsee 2018 1040683 Foto Petra BromundKava ist das Getränk der Südsee. Es wird aus den Wurzeln eines Pfefferstrauchs gewonnen, betäubt die Geschmacksnerven ein wenig und beruhigt. Wenn sich Männer zum Kavatrinken treffen, herrschen strenge Regeln, wer den Becher aus der
Schale füllen darf und wie er weiter gereicht wird.

18405 Suedsee 2018 1040789 Foto Petra BromundFeuerlaufen kam erst mit den Indern auf die Fiji Inseln. Die eingeborenen Melanesier übernahmen im vorletzten Jahrhundert den Ritus der Zuwanderer, mit dem sie immer wieder Besucher anlocken.

18405 Suedsee 2018 P1120783 Foto Petra BromundDiese Siedlung auf Neukaledonien liegt am Meer an der Leeseite der Insel. Moderne Häuser herrschen vor, eine Schule ist für die Jugend da. Die Straßen zur Siedlung sind asphaltiert, Strom ist überall zu haben.

18405 Suedsee 2018 P1130154 Foto Petra BromundLautoka liegt auf Viti Levu und ist die Hauptstadt der Fiji Inseln. Ein Hochhaus am Ufer und das beeindruckende Parlamentsgebäude in einem Hain zeigen, dass auch hier die Neuzeit längst eingekehrt ist.

18405 Suedsee 2018 P1130581 Foto Petra BromundSo siedeln und leben Melanesier heute. Die europäischen Entdecker der Inseln fanden Hütten unter Palmen am Meer und würden staunen, wie sich die Szene heute verwandelt hat. Doch noch immer wachsen Mangrovenwälder am Meeresrand.