SeereisenMagazin Logo klein 347 65KADETRINNE · AUSGABE 4/2018hr

18417 PSW 023 Gruppenfoto der CrewGruppenfoto der gesamten Crew der NORDISLE. Fotos: Dr. Peer Schmidt-Walther, Stralsund


Dr. Peer Schmidt-Walther

Auf der „Tango-Route”durch die Kadetrinne
Per Supertanker durch das gefährlichste Nadelöhr der Ostsee

Das Seegebiet südlich des dänischen Fährhafens Gedser und nur wenige Seemeilen nördlich der Halbinsel Darß, einer mecklenburg-vorpommerschen Tourismus-Hochburg, ist nach wie vor gefährlich. Schifffahrts-, Tourismus- und Umweltexperten fordern daher schon lange eine Lotsenpflicht für Schiffe mit Gefahrgut und über zwölf Metern Tiefgang. Unser Autor ist als erster Journalist während einer Supertankerreise durch das gefährlichste Nadelöhr der Ostsee, die Kadetrinne, nach Tallinn und zurück dabei gewesen.
Nach rund 3.700 Seemeilen Atlantikfahrt taucht die NORDISLE wie verabredet weit draußen vor dem kleinen dänischen Fischereihafen Grenaa an der Nordostküste Jütlands auf. Seelotse und Kapitän Finn E. Jensen – in Diensten von DANPILOT, der Königlich-Dänischen Lotsenbrüderschaft – steht in den Startlöchern. Er hat nur auf die letzte Positionsmeldung gewartet. „Auf geht’s!”
Mit hoher Fahrt prescht das signalrote Lotsenboot aus dem Hafen. Ein paar Seemeilen vor der Küste sind undeutlich die Konturen „unseres” Schiffes erkennbar.

Zylmann Welcome Aboard 470Schwierige Navigation
„Wir haben noch Zeit”, meint Jensen und drückt mir erst mal die Info-Broschüre von DANPILOT in die Hand. Wegen der Schaukelei kann ich nur die fettgedruckten einleitenden Worte lesen: „Bezahle die Lotsengebühren, denn für Schutz und Bewahrung der Umwelt empfiehlt die Internationale Maritime Organisation (IMO) in ihrer Resolution 620 A (15), dass Schiffe von 13 Meter Tiefgang oder mehr einen Lotsen an Bord nehmen, denn die Navigation an mehreren Stellen ist schwierig.”
Jensen ist in seinem Element: „Die gemessene Tiefe auf der Großschifffahrtsroute T wie ‚Tango’ durch den Großen Belt in die Ostsee liegt bei 17 Meter. Allerdings ist sie für Schiffe von über 40.000 Tonnen tdw nur bis 15 Meter freigegeben.” Die Begründung liefert er prompt nach: „Wegen ungünstiger meteorologischer Bedingungen, Sandwanderungen am Grund und unbekannter Unterwasserhindernisse musste die angegebene Tiefe aus Sicherheitsgründen um zwei Meter unterschritten werden. Wenn der Pegel um nur einen halben Meter fällt, empfehlen wir den Großen nordöstlich von Gedser zu ankern.” Diesen Hinweis haben offenbar einige Kapitäne missachtet, die sich mit ihren tiefgehenden Schiffen in der engen, gewundenen Kadetrinne zwischen der dänischen und mecklenburg-vorpommerschen Küste festgefahren haben oder kollidiert sind wie vor kurzem. Mit verheerenden Folgen.
Hinter den Wellenkämmen baut sich plötzlich eine graue Stahlwand auf. Am Steven in weißen Riesenlettern der Name: NORDISLE. Das Boot schmiegt sich auf der ruhigeren Lee-Seite an den Koloss. Der Aufstieg über die wacklige sieben Meter hohe Lotsentreppe mit anschließender Gangway ist schweißtreibend. Insgesamt zwölf Meter. Jensen lacht: „Solche Kletterpartien sind unser täglich Brot und halten fit. Aber das ist noch nicht alles.” In Windeseile hat er auch die Stufen durch vier Decks auf die Brücke genommen. Noch mal 15 Meter! Einen Fahrstuhl gibt’s nicht. Der Lotse ist, ohne aus der Puste gekommen zu sein, sofort im Job. Seine erste Frage an den russischen Kapitän Vitaly Lavrinenko gilt dem Tiefgang. 8,60 Meter. Im estnischen Tallinn sollen 95.000 Tonnen russisches Gas- und Schweröl für Texas geladen werden.

Gute Entscheidung
Kurs 180 Grad lässt Jensen jetzt steuern. Der 244 Meter lange und 42 Meter breite Riese mit 33.000 Tonnen Wasserballast in seiner Sicherheits-Doppelhülle kommt langsam in Fahrt. Mit 16 Knoten dampft er nach Süden und verbraucht dabei 53 Tonnen Treibstoff am Tag. 17.190 PS, übertragen auf eine Schraube von rund acht Meter Durchmesser, boxen gegen die schräg von vorn auflaufende See an. Das „Tor zur Ostsee” gibt sich abweisend. „So ein mieses Wetter haben wir bei der gesamten Überfahrt von New York um Schottland herum durch die Nordsee jedenfalls nicht gehabt”, kommentiert der Kapitän die gegen das Vorschiff donnernden Brecher.
Der umsichtige Seemann Lavrinenko ist froh, bei diesem Wetter einen erfahrenen Lotsen an seiner Seite zu wissen: „Wir folgen der dringenden IMO-Empfehlung, durch den Großen Belt bis Gedser einen Seelotsen zu nehmen.” Aber das sei allein seine Entscheidung gewesen. Über Funktelefon lässt Dr. Christian Subklew, Ältermann der Lotsenbrüderschaft Wismar-Rostock-Stralsund (WiRoSt), wissen: „Das war eine gute Entscheidung von Euerm Kapitän”. Er freut sich und hofft auf mehr solche verantwortungsbewussten Schiffsführer. Seelotse Finn Jensen mischt sich ein: „Es gibt aber auch Kapitäne, die das Revier noch nie befahren haben und trotzdem auf einen Lotsen verzichten.” Sie sagen sich, jetzt habe ich noch einen Job und dann hatte ich mal einen. Das sei, so Jensen, verantwortungslose Kostenhörigkeit gegenüber dem Reeder oder Charterer. Letztlich müsse jedoch der Kapitän entscheiden, wie lange er sich beraten lassen will.

IMO-Grundsätze
Der erfahrene Lotse ist eine Woche im Dienst und hat danach eine Woche frei. In zwei Wochen geht er durchschnittlich zehn Mal an Bord wie seine 56 Kollegen in der Brüderschaft. Sein Blick ist unablässig voraus gerichtet auf das Stahlbeton-Filigran der Brücke über den Großen Belt. Kein Problem für unser Schiff mit 40,60 Meter Höhe ab Wasserlinie. Erlaubt ist die Durchfahrt bis 65 Meter. Es gebe hier im Allgemeinen auch keine besonders schwerwiegenden Navigationsprobleme. Wohl aber manchmal mit der Kommunikation, wenn ein vorauslaufendes Schiff ohne ersichtlichen Grund auf einen anderen Kurs geht oder seine Fahrt reduziert und man selbst dann zu dicht auffährt. „Mal eben bremsen, das geht nicht, schon gar nicht mit so einem Koloss wie diesem.” Er zählt zu den größten, die hier fahren. Ein Stoppmanöver dauert – je nach Geschwindigkeit und Beladung – zwischen 17 und 30 Minuten!
Finn Jensen, Kapitän Vitaly Lavrinenko und Chief Officer Marian Sczymanski beraten sich ständig über die jeweilige Fahrwasser- und Navigationssituation. Der Mann von DANPILOT verbreitet durch seine perfekten Kenntnisse Ruhe und Sicherheit – IMO-Grundsätze zur Vermeidung von Kollisionen und Umweltverschmutzungen. „Unser nach dem neuesten Stand der Technik gebaute und ausgerüsteter Tanker ist wie seine fünf Schwestern schon ein sehr sicheres Schiff”, meint 2. Ingenieur Slobodan „Bobby” Kecic nicht ohne Stolz, „immer vorausgesetzt, dass keine menschlichen Fehler passieren.” Davor sei zwar kein kompliziertes System gefeit, aber an Bord wie an Land müsse alles getan werden, um so etwas auf ein minimales Risiko zu reduzieren. „Zum Beispiel durch moderne Tonnage, einen hohen Ausbildungsstand und ständiges Training wie bei uns. Das werde leider anderswo sträflich vernachlässigt”, weiß er aus eigener leidvoller Erfahrung, „und dann passiert’s plötzlich und keiner ist’s gewesen.”

Sensible Küsten
Auf der Rückreise überholt eine große Fähre auf Steuerbordseite. Just an der engsten Stelle der hier nur 800 Meter breiten und rund neun Seemeilen langen Kadetrinne, südlich von Gedser, kreuzt sie plötzlich unseren Weg, um Rostock anzusteuern. MT NORDISLE muss in dem Moment jedoch hart nach Steuerbord drehen: neuer Kurs. Ein gefährlicher Moment, zumal bei pechschwarzer Nacht, Regen und schlechter Sicht. „Wenn uns jetzt noch ein zweiter Brocken von unserm Kaliber mit Backborddrehung entgegengekommen wäre, hätte es leicht trouble geben können”, kommentiert Lotse Leif Hansen am Radarschirm die „Zitterpartie”. Der Tanker rutscht mit 1,40 Meter Sicherheits-„Spielraum” nach unten gerade mal so durch den Schlauch. Sozusagen in Schleichfahrt durch das Nadelöhr um die Ecken. Zwei große Kreuzfahrtschiffe mit geringerem Tiefgang, aber mehreren tausend Passagieren an Bord, ziehen außerhalb der Rinne unter „full speed” vorbei – ohne einen Lotsen zu nehmen. Dazu besteht keine Verpflichtung, erscheint aber verantwortungslos. Lyngby Radio sendet – wie passend dazu – Verkehrshinweise und „navigational warnings”. Bei rund 60.000 Schiffsbewegungen pro Jahr in diesem Revier auch notwendig. Ein „Opfer” von zehn innerhalb nur eines Jahres in der Kadetrinne war der Motortanker CLEMENT – „aufgebrummt” bei Sturm, aber erhöhtem Wasserstand. Ursache: Navigationsfehler aufgrund einer veralteten Seekarte. Unter Lotsenberatung – eine Pflicht dazu bedarf internationaler Zustimmung durch die IMO – wäre dieser Unfall nicht passiert. Auslaufendes Öl würde bei vorherrschenden West- und Nordwest-Winden in jedem Fall die ökologisch und touristisch sensible Küste von Mecklenburg-Vorpommern nachhaltig verschmutzen, zumal die wegen des kalten Wassers in die Tiefe gesunkenen Ölklumpen im Sommer aufsteigen. Die Folgen für Mensch und Natur wären katastrophal. Allein 20.000 Arbeitsplätze hängen in der Region vom Fremdenverkehr ab.

Lotsen-Forderungen
„Unsere Dienste müssten obligatorisch werden für alle Gefahrgut-Schiffe und solche mit mehr als 12 Meter Tiefgang”, fordern Finn Jensen, Leif Hansen samt dänischen und deutschen WiRoSt-Kollegen.
Letzte Empfehlungen zum weiteren Kurs an Kapitän Lavrinenko. Aber dann strahlt er zufrieden: „Everything is okay now, captain!” Abschiednehmen mit „Have a good trip!” und Händeschütteln. Verpackt in Sicherheitsparka und Rettungsweste steigt Finn Jensen in die Tiefe. Nach 11,5 Stunden konzentrierter Arbeit über 165 Seemeilen im Interesse von Sicherheit und Leichtigkeit des Seeverkehrs ist sein heutiger Job beendet.
Über Funk verständigt sich der Däne mit dem Lotsenboot in Gedser. Dessen rot-weißes Licht torkelt bald an Backbord durch die bewegte See. An Steuerbord blitzt der Leuchtturm von Darßer Ort in die pechschwarze Nacht. Die berüchtigte Kadetrinne ist, dank Lotsenberatung, jetzt keine unmittelbare Gefahr für die NORDISLE. Das Lotsenboot klebt an der haushohen Bordwand und ist in gleißendes Scheinwerferlicht getaucht. Jetzt erst sieht man, wie die Nussschale mit der See tanzt auf der heißen „Tango”-Route.

18417 PSW 05 Der koeniglich daenische Lotse auf der BrueckeDer königlich dänische Lotse auf der Brücke.

18417 PSW 09 Erster Offizier laesst die Ankerwinde klar machenErster Offizier lässt die Ankerwinde klar machen.

18417 PSW 012 Zu Anker bei Sommerwetter vor TallinnZu Anker bei Sommerwetter vor Tallinn.

18417 PSW 013 Der Tallinner Hafenlotse links mit dem Kapitaen beim EinlaufenDer Hafenlotse (links) mit dem Kapitän beim Einlaufen in Tallinn.

18417 PSW 014 MT NORDISLE hat am Oelterminal von Tallinn Muuga festgemachtMT NORDISLE hat am Ölterminal von Tallinn-Muuga festgemacht.

18417 PSW 017 Durch die Schlaeuche stroemt das Oel in die TanksDurch die Schläuche strömt das Öl in die Tanks.

18417 PSW 018 Der Pumpenmann hat gut Lachen bei reibungslosem AblaufDer Pumpenmann hat gut Lachen bei reibungslosem Ablauf.

18417 PSW 019 Koch links und Steward in der KombueseKoch (links) und Steward in der Kombüse.

18417 PSW 020 Mittags in der OffiziersmesseMittags in der Offiziersmesse.