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19409 koggenchronik6 Foto Zeigert Wismar 3. Mai 2007, Premiere während des Hamburger Hafengeburtstages: Die Auslaufparade der Schiffe. Fotos: Hans-Joachim Zeigert, Wismar

Hans-Joachim Zeigert

Die Poeler Kogge WISSEMARA
Seefahrt auf den Spuren der Hanseschifffahrt

Der Nachbau von mittelalterlichen Fahrzeugen ist längst in Mode gekommen. Da gibt es inzwischen die UBENA VON BREMEN, die Kieler Kogge, die Kraweel LISA VON LÜBECK und nicht zuletzt die Poeler Kogge WISSEMARA. Mit dieser Repräsentantin wurde auch der Werft-, Hafen und Hansestadt an der Wismarbucht zugunsten der mittelalterlichen Traditionspflege ein maritimes Denkmal gesetzt.
Ihre Geburt verdankt sie einem Wrackfund 1997 vor der Mecklenburgischen Insel Poel. Zwei Jahre später begann die erfolgreiche Bergung. Die freigelegte und in Klinkerbauweise gefertigte Rumpfschale zeigte einen ungewöhnlich guten Erhaltungsgrad von mehr als 60 Prozent. Damit reifte der Entschluss, ein solches Schiff im Sinne experimenteller Archäologie und unter wissenschaftlicher Begleitung nachzubauen. Es fand sich ein Expertengremium für die Projektierung. Geförderte Arbeits-Beschaffungsmaßnahmen sowie eine bemerkenswerte Spendenbereitschaft machten letztendlich den Bau möglich.
Im Sommer 2000 startete die Planung mit Bau von Schmiedewerkstatt und Bootsbauhalle. Ein Jahr später waren am Bauplatz Alter Hafen die ersten Planken gelegt. Doch es dauerte noch mehr als fünf Jahre, als am 9. August 2006 die Jungfernreise zur Rostocker Hanse Sail starten konnte.
Als Flaggschiffe der Hanse sorgten Koggen einst für florierenden Seehandel zwischen Ost- und Nordseehäfen. Zugegeben, diese in ihrer Größe durchaus schon als maritime Lastenesel geltenden Fahrzeuge waren alles andere als leicht zu navigieren. Grund war das nur einzige Rahsegel, welches das Schiff nur mit dem Wind bewegte. Zudem war es schwerfällig zu handhaben, wegen des fehlenden Kiels. Der flache Rumpf war allerdings bei Niedrigwasser und Ebbe von Vorteil, denn das Schiff konnte bequem trockenstehen. Zudem ließ sich damals der Rumpf mit sich überlappenden, rustikalen Holzplanken in Klinkerbauweise gegenüber anderen Schiffskörpern leichter herstellen.
Doch zurück zum aktuellen Geschehen, die dem Förderverein Poeler Kogge mit seinen inzwischen 325 Mitgliedern auch im 13. Jahr in Fahrt eine stetige touristische Konjunkturphase beschert. Dabei hat das 31,5 Meter lange, wuchtige Holzschiff immer wieder seine Seetüchtigkeit bewiesen. Mit dem Hauptantrieb, dem bis zu 276 Quadratmeter großen Rahsegel, lässt sich die 230 Tonnen Ladung tragende Kogge ganz passabel vorwärtsbewegen. Ansonsten sorgt ein Hilfsdiesel nebst Bugstrahlruder für optimale Manövrierfähigkeit.
„Ohne einige neuzeitliche Kompromisse geht es einfach nicht, vor allem wenn es um die Sicherheit der mitsegelnden Gäste und der bis zu zwölfköpfigen Ehrenamtsbesatzung geht”, so der erste Koggenkapitän und Leiter des Koggenbüros, Peter Samulewitz.
Der ist inzwischen mit seiner Crew und Gästen auf „Großer Fahrt” in Richtung Stettin unterwegs. Mit diesem siebentägigen Törn, für den mehr als 360 Seemeilen von Wismar nach Stettin und wieder zurück eingeplant sind, geht es für die leidenschaftlichen Koggenfahrer und ihre treue Anhängerschar seit dem 12. Juni richtig seemännisch zur Sache. Samulewitz hatte seine elfköpfige Crew schon länger auf den Ostseetörn eingestimmt. Dazu gehörte unter anderem eine mehrtägige Ausbildungsfahrt. Der jetzige Kurs führt entlang der Mecklenburgischen Küste, rund um Rügen, Usedom und Swinemünde und durch das Stettiner Haff. Am Liegeplatz angekommen, erwartete die Wismarer Koggenabgesandten ein dreitägiges Hafenfest. Weitere Höhepunkte wie die Rostocker Hanse Sail sollen folgen. Fast alle der möglichen 27 Kojenplätze sind durch Crew und auswärtige Mitsegler belegt. Bei Vollverpflegung an Bord werden sie diesmal von einer engagierten Köchin in der bordeigenen Kombüse verwöhnt. Auch ein entsprechender Sanitärbereich für Gäste und Crew gehört zum Komfort. Auf eine Klimatisierung des großräumigen Gesellschaftsraumes, wo zu Hansezeiten die Ladung lagerte, wurde allerdings verzichtet.
Interessante Landgänge tun ihr übriges, damit Langeweile ein Fremdwort bleibt. Letztendlich hängt in der Seefahrt bekanntlich alles vom Wetter und in diesem Fall vom Wind ab. Der sorgte in den vergangenen Wochen überwiegend für kontinuierlich großes Publikumsinteresse. Denn auch Kurztörns in See vermitteln immer wieder ein angenehmes Gefühl, verbunden mit schönen Erinnerungen auf den Spuren mittelalterlicher Seefahrt.
Einen solchen abenteuerlichen maritimen Ausflug in See hatten sich kürzlich 22 Schüler nebst Begleitung im Rahmen ihrer mehrtägigen Klassenfahrt gewünscht. Die Siebentklässler des Diesterweg-Gymnasiums Havelberg erlebten so Grundlagen der Seemannschaft, der Navigation und des allgemeinen Bordlebens. Und dies exklusiv auf einer Kogge unter Segel. So in etwa muss sich das besondere Erlebnis der Fortbewegung in Zeiten der hanseatischen Seefahrt wohl zugetragen haben. Dass dabei Verpflegung, in diesem Fall Eintopf mit Bockwurst, nicht wie früher bei Holzfeuer, sondern auf modernen Induktionskochplatten zubereitet wurde, sollte dabei als weiterer neuzeitlicher Kompromiss den Seefahrern auf Zeit ruhig zugestanden werden. Eines der Erlebnishöhepunkte bildet übrigens die Koggenbesatzung selbst. Sie alle nehmen ihre betreuende Funktion sehr ernst und so geht es fast familiär zwischen Segelmanövern, „Proviant fassen”, oder Kaffee und Kuchen zu. „Schön ist es zu erleben, wie sich Teamgeist und angenehmes Bordklima dieser eingespielten Besatzung auch auf die gute Stimmung der Gäste überträgt”, lobte ein gestandener und noch aktiver Berufssoldat der Marine. Er gehörte zur Elternbegleitung der Schulklasse aus Sachsen-Anhalt. Gern kam man da in ein gemeinsames Plaudern, zumal einige der ältesten Koggenfahrer besonders viel erzählen können. Denn manch einer von ihnen hat selbst damals Planken für das künftige Schiff zusammengezimmert. Und das motiviert trotz Ruhestand heute noch zur Teamarbeit an Bord.
Nicht unerwähnt bleiben sollte eine besondere Form der Koggen-Gastfreundschaft. Denn seit Sommer 2007 ist die WISSEMARA Außenstelle des Wismarer Standesamtes. Seitdem schlossen dort jährlich etwa 15 bis 20 Paare unter standesamtlicher Beglaubigung den Bund des Lebens. Meist stachen die bis zu 60 möglichen Hochzeitsgäste zum Feiern noch in See. Alle Ehen sollen bisher ebenso gehalten haben, wie der festeste Seemannsknoten. So heißt es jedenfalls aus dem Vereinsvorstand.

Kontakt: Förderverein „Poeler Kogge” e.V. Baumhaus Am Alten Hafen, 23966 Wismar.
Telefon 0 38 41-30 43 10, Fax 0 38 41-30 43 12, sowie Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! · www.poeler-kogge.de

19409 kogge2 Foto Zeigert WismarMit ablandigem Wind ist das Auslaufen mit aufgeblähtem Rahsegel auch für Schiffegucker von Land ein Erlebnis.

19409 kogge1 Foto Zeigert WismarKlein, aber zweckmäßig ist die Navigationsecke von Koggenkapitän Peter Samulewitz ausgestattet.

19409 kogge5 Foto Zeigert WismarRückkehr in den Heimathafen an der Wismarbucht.

19409 kogge4 Foto Zeigert WismarSeemannsknoten kein Problem, wenn es dienstbare Geister gibt wie Bootsmann Fred Christoph (r.) und Crewmitglied Hans Gerhard.