HAUSBOOT   AUSGABE 3/2013
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Stiller Ankerplatz auf dem Stolpsee. Die Badeleiter wird zu 
		Wasser gelassen

Stiller Ankerplatz auf dem Stolpsee. Die Badeleiter wird zu Wasser gelassen.

   

Dr. Peer Schmidt-Walther

Königlich havelabwärts schippern

Mit der Pénichette ELDENA durch Brandenburg

Zentimeter um Zentimeter schiebt sich das Hausboot rückwärts aus der Parklücke der Locaboat-Marina. Ein Drehmanöver, unterstützt durch das Bugstrahlruder, und Steuerbord voraus ragt der Kirchturm von Fürstenberg über die Bäume am Schwedtsee. Stopp schon nach rund 400 Metern im Stadthafen Fürstenberg an der Havel: erster Prüfstein für die Crew. Doch das Anlegemanöver klappt – nach zwei Übungsrunden – problemlos.

Mit Tüten und Taschen bewaffnet wird der nächste Supermarkt angesteuert. Verpflegung bunkern für drei bis vier Tage ist jetzt angesagt. So lange wollen wir bis nach Ketzin westlich von Potsdam unterwegs sein.

 

Am Wohnort des Weihnachtsmanns

Die Nachmittagssonne wärmt frühlingshaft wohlig, als das Havelstädtchen schließlich achteraus bleibt. Wir biegen in die Steinhavel ein. Schon nach drei Kilometern öffnet sich der Grüntunnel. Der weitet sich voraus zum Stolpsee. Seine windgeschützten Buchten, von dichtem Buchenwald gesäumt, sehen verlockend aus.

Nach kurzem Bordrat entscheiden wir uns für eine. Dirk lässt den Anker in den eiszeitlich tiefen Grund rasseln. Ruhe im Schiff! Erst mal heißt es Kabinen und Kombüse einräumen, dann wird aber die Badeleiter zu Wasser gelassen. Eine herrliche Erfrischung, die wir uns verdient haben! „Was essen könnte ich eigentlich auch bald, sinniert Dirk und macht sich an Kühlschrank und Herd zu schaffen. Lisa genießt an Oberdeck ein Sonnenbad und der Skipper blättert im Törnplaner.

Eigentlich möchte er seiner Crew auch die Woblitz zeigen. Das romantisch-idyllische Fließgewässer zweigt gegenüber bei Himmelpfort ab, dem „Wohnort des Weihnachtsmanns. „Wenn wir morgen bis Zehdenick kommen wollen, rechne ich, „müssen wir wohl oder übel drauf verzichten. Zwar sind nur 30 Kilometer Strecke im Schleichtempo zu bewältigen, aber auch vier Schleusen. Je nach Verkehrsaufkommen kann das manchmal längere Wartezeit bedeuten. Die Woblitz heben wir uns auf für den nächsten Törn.

 

Nachtwinds Schlafmelodie

Leckere Düfte durchwehen unsere ELDENA. Lisa steckt schon mal neugierig die Nase in den Salon. Bald ist der kahle weisse Plastiktisch auf dem oberen Achterdeck nicht mehr wiederzuerkennen: eingedeckt zum Festmahl. Sonnenstrahlen brechen sich im Rotwein und lassen ihn funkeln. „Kein Restaurant der Gegend kann da mithalten!, ist Dirk stolz auf seine Kochkünste. Wir lassen es uns schmecken und stoßen auf eine gute Reise an. „Der Anfang ist schon mal vielversprechend, zieht Dirk Tagesbilanz, als sich die Sonne verabschiedet. „Ich glaube, wir müssen noch mal Wein nachkaufen, macht er sich stark für einen weiteren Einkaufsstopp in Zehdenick. Die Sterne glitzern dazu im Spiegel des Stolpsees.

Das Glucksen der Wellen, die der Nachtwind aufwirft, ist unsere Schlafmelodie. Nur die Ankerkette hat jetzt noch Dienst: Sie ruckt und klirrt leise, wenn das Boot sich dreht.

 

Im Wasserfahrstuhl

Der Morgen dämmert herauf. Keiner will Stress, also drehen wir uns in den Kojen noch mal gemütlich um. Bis uns Kaffeeduft weckt. Lisa werkelt schon in der Kombüse. „Bei dem Ausblick macht Küchendienst gleich richtig Spass, ist sie begeistert und backt Brötchen auf. Ich muss erst mal in den Stolpsee abtauchen und frisch werden. Dann schmeckt das Freiluft-Frühstück umso besser. So gestärkt, ist das Ankerhieven für Dirk kein Problem.

Nach einer guten Stunde oder acht Kilometern Havelfahrt voraus eine Ampel: Sie zeigt rot. Stopp! Festgemacht wird an der Sportbootwartestelle der ersten Schleuse Bredereiche, wo schon einige Kollegen liegen. „Wir haben den grünen Hebel der Steuerung schon umgelegt!, signalisiert uns einer. Nach rund zwanzig Minuten hebt sich das Tor. Ampel rot und grün: „Schleuse wird vorbereitet lesen wir auf einer Digitalanzeige. Die Anlage arbeitet wie alle weiteren sechs auf der Oberen-Havel-Wasserstraße zentral gesteuert. Überwacht per Kamera.

Eine Kavalkade von Booten ergießt sich aus der Schleusenkammer in den Fluss. Endlich grünes Licht! Wir schleichen uns, von oben mit Havelwasser beträufelt, in den Wasserfahrstuhl. Über drei Meter geht die Fahrt abwärts. Meine Crew wird noch mal vergattert: „Auf keinen Fall die Leinen an Land festmachen! Legt sie nur um eine der senkrechten gelb gestrichenen Eisenstangen in der Schleusenwand und fiert beim Absenken  mit! Fragende Blicke. „Sonst hängt ihr das Boot auf!, muss ich erklären und sie warnen.

 

Schorfheide und Tongruben

Bald haben wir die letzten Laubenpieperhäuschen des alten Schifferstädtchens hinter uns gelassen. Über zwanzig Kilometer Schorfheide liegen vor uns. Die Havel krümmt und windet sich flachgründig durch die anscheinend unberührte Wald- und Wiesenlandschaft. Warnschilder weisen allerdings über mehrere Kilometer darauf hin, dass hier noch gefährliche Munition im Boden vergraben liegt. Überbleibsel der Roten Armee, die selbst vor Naturschutzgebieten nicht Halt machte.

Die kommenden Schleusen meistern ELDENA und wir mit nur kurzen Wartezeiten. Im Sommer, in der Hauptsaison, kann es hier schon mal sehr eng werden. Bis zu zwei Stunden an den Pfählen bedeutet das.

Alles überragende Schornsteine – frühere Ziegeleien, wie wir lesen – irgendwann am Abend verkünden: Zehdenick voraus, unser Etappenziel. Die Landschaft ab Burgwall ist durchlöchert: aufgelassene Tongruben, die von der Natur inzwischen zurückerobert worden sind. Die einzig befahrbare links hinter so einem Neu-See haben wir uns ausgeguckt. Gegen 19 Uhr rauscht die Ankerkette komplett aus: Es ist tief. Auch Ozeanriesen könnten hier problemlos übernachten, nur nicht hierher fahren, so wie wir mit unseren mageren 85 Zentimetern Tiefgang.

Das ELDENA-Team hat sich eingespielt. Ein Bad nach der Fahrt muss sein, auch der Sundowner, ein gemütliches Abendessen bei Kerzenschein, Gespräche über Gott und die Welt oder ein paar Runden Malefitz. Feststehender Ausklang: eine weitere kuschlige Pénichetten-Nacht.

 

Skipper in Badehose

Hinter der Schleuse Zehdenick wird wie vereinbart nachgebunkert. Lokalgeschichte gibt ein Rentner am Anleger zum Besten. Ungefragt natürlich. Aber wir wissen jetzt mehr über die Stadt, die durch Schifffahrt und Ziegeleien bekannt wurde. Und Berlin mit aufbauen half – durch Tonziegel.

Den Vor- und frühen Nachmittag verbringen wir auf dem 20 Kilometer langen Vosskanal und in den Schleusen Liebenwerder und Bischofswalde. An Steuerbord schlängelt sich im Gras die Schnelle Havel. Angler lassen sich nicht stören. Radfahrer überholen uns und winken. Wir genießen diese Freuden der Langsamkeit.

Am Havel-Oder-Dreieck biegen wir nach rechts in den Oder-Havel-Kanal ein, der Berlin mit Stettin verbindet. Tief abgeladene Schubverbände und Motorgüterschiffe kommen uns mit rauschender Bugwelle entgegen. Da heißt es aufpassen und nicht vor lauter Ängstlichkeit zu dicht an die Böschung steuern. Das würden Rumpf und Schraube übelnehmen.

Nach elf Kilometern ist erst mal wieder Schluss. Die Schleuse Lehnitz vor Oranienburg bedient vorrangig Frachtschifffahrt. Wir haben schließlich Zeit als Freizeitskipper. Ich nutze die Pause zu einem Kanalbad. Plötzlich ruft der Vordermann zu uns nach achtern: „Es geht los! Tatsächlich, es ist grün. Leinen los und ab, denn das ist die Chance! Ich stehe in nasser Badehose am Ruder. In der Schleusenkammer nur ein einzelner Frachter. Da hat unser Hausboot-Konvoi noch Platz. Wir sind erleichtert, denn an diesem Nadelöhr kann es noch viel länger dauern. Ich habe hier schon mal drei Stunden auf freie Durchfahrt gelauert.

 

Großstadt-Bieber voraus

Berlins Vororte genießen den Sommerabend: beim Grillen, Bier trinken, Baden, Angeln. Auch für uns wird es Zeit, einen Ankerplatz zu finden. 23 Kilometer weiter: Wir entscheiden uns gegen die viel kürzere, aber langweilige Havel-Kanal-Strecke, die bei Hennigsdorf nach Süden und direkt zu unserem Zielhafen Ketzin abzweigt, und für eine Nacht auf dem Nieder Neuendorfer See. Mitten durch ihn hindurch lief bis zur Wende die innerdeutsche Grenze. Ein Wachturm-Mahmal erinnert noch an diese unseligen Zeiten. Heute endet hier der Berliner Bezirk Reinickendorf. „Wo sich einst die Füchse gute Nacht sagten, lacht Dirk und zeigt auf etwas Dunkles im Wasser: „Tatsächlich, ein Bieber, hätte ich hier nicht gedacht!

Lisa und Dirk fühlen sich zwar in Berlin zu Hause, aber unsere Fahrtstrecke kennen sie nicht. „Frühstück vor Anker in der Sandhauser Bucht von Heiligensee – wat völlig Neuet! Danach einen Abstecher zum Tegeler See: von Wald umgeben und inselgespickt. Viele Segelboote, Strandleben. An der Greenwichpromenade die bei Haupstädtern beliebte Anlegestelle. Sie sind passionierte Dampferfahrer. MS WAPPEN VON BERLIN und die HAVEL QUEEN im Mississippi-Stil schäumen proppevoll vorbei. Wannsee, Werder oder Oberhavel – das ist hier die Frage.

Unter der Sechserbrücke gleiten wir hindurch in Tegels Renommierviertel. Links des Stichkanals das Schloss derer von Humboldt. Vor der Mühle wird beigedreht. Noch eine Stunde bei dichtem Verkehr zu Wasser, zu Land und in der Luft bis vor die Schleuse Spandau. Festmachen und warten am Wröhmänner-Park gegenüber der Festung. Rentner sitzen auf Bänken und beobachten uns – oder wir sie?

 

Preussen-Fan und Alter Fritz

Volle Kraft voraus: 17 Kilometer Havelfahrt. Ab Pichelswerder Gemünd mutiert sie zum See und heißt dann Untere Havelwasserstraße, kurz Unterhavel. Hier, so hieß es bis zur Wende, konnte man an Sommer-Wochenenden trockenen Fußes von einem Ufer zum anderen gelangen. Wie? Natürlich über die vielen dicht an dicht fahrenden Boote. Heute verteilen sie sich auf die Berliner Gewässer.

Zur Kaffeezeit tuckern wir mit zehn Kilometern pro Stunde an Kladow mit seiner Insel Imchen vorüber. Die Gartenlokale sind gut besucht. Früher konnten hier Familien Kaffee kochen. Von der Pfaueninsel grüßt das auch durch viele Edgar-Wallace-Krimis bekannte weisse Schloss herüber, von der Anhöhe die Kirche Nikolskoe. Wir entscheiden uns gegen die kanalisierte Untere Havel-Wasserstraße und für die Umfahrung Potsdams.

Auf der Glienicker Brücke, die wir hinter der Sacrower Kirche unterfahren, wurden zu Zeiten des Kalten Krieges Spione ausgetauscht. Wir laufen in die Potsdamer Havel ein: rechts Villen, links in sattes Grün gebettet Schloss Babelsberg. „Dahinten liegt Sanssouci!, zeigt Dirk ein paar Kilometer weiter nach Steuerbord. Er ist bekennender Preussen-Fan und fragt sich, wie der Alte Fritz wohl auf den Luxus reagiert hätte, den wir auf unserer ELDENA in seinen Gewässern heute geniessen.  

 

Südseereifer Abschied mit Pappeln

Geruhsame Fahrt über den Templiner See an der Engstelle von Caputh vorbei, dem Ort, in dem einst Albert Einstein wohnte, in den Schwielowsee. Pause am Anleger von Werder, dem Zentrum des brandenburgischen Ost- und Gemüseanbaus. Ein Rundgang über die Stadtinsel begeistert Lisa und Dirk unisono: „Haben die ja alles toll hier restauriert! So habe ich mir das nicht vorgestellt!

In einem Gartenlokal am Wasser gönnen wir unseren ausgedörrten Kehlen ein Weizenbier. Letzte Tagesetappe: Großer und Kleiner Zernsee, vorbei an den „Bergen, fast 100 Meter hohen eiszeitlichen Dünen, von Phöben. Eine kleine, stille Bucht in der Potsdamer Havel wird unser Ankerplatz für die letzte Nacht. 

Der südseereife Sonnenuntergang – „fehlen nur noch die Palmen, statt dessen Pappeln!, grinst Dirk – macht uns den Abschied, der am nächsten Morgen unwiderruflich droht, schwer. Der romantisch beleuchtete Himmel erinnert an Werke des Malers Caspar David Friedrich. Und die Klosterruine von Eldena bei Greifswald. Sie war eins seiner Hauptmotive. Unser Schiff hat einfach den passenden Namen. 

Noch zehn Kilometer oder eine Stunde Fahrt bleiben bis zur Locaboat-Basis in Ketzin. „Ich hab mich richtig an das entspannte Fahren und Schauen gewöhnt, gesteht Lisa, „da könnte ich glatt weitertuckern. Dirk sieht die Reise globaler: „Aus der Wasserperspektive hast du eine andere Weltsicht, irgendwie erscheint einem alles freundlicher und schöner. www.locaboat.com  

MS Eldena in Werder an der Havel

Unsere MS ELDENA in Werder an der Havel.

TITANIC-Spiel 
	im Voss-KanalTITANIC-Spiel im Voss-Kanal.

Hausboot-Surfen auf dem Voss-Kanal

Hausboot-Surfen auf dem Voss-Kanal.

Idyllischer 
			Liegeplatz an einem Steg am SchwielochseeIdyllischer Liegeplatz an einem Steg am Schwielochsee.

Der Skipper auf der Unterhavel

Der Skipper auf der Unterhavel.

Ankerplatz 
			mit Schwänen als NachbarnAnkerplatz mit Schwänen als Nachbarn.

Vordermann an der Schleuse Lehnitz

Vordermann an der Schleuse Lehnitz.

In 
			der Schleusenkammer von BredereicheIn der Schleusenkammer von Bredereiche. 

Es 
			ist eng in-der Schleuse Zaaren in der SteinhavelEs ist eng in-der Schleuse Zaaren in der Steinhavel.

Ehemailger 
			DDR-Wachturm an der Oberhavel vorausEhemailger DDR-Wachturm an der Oberhavel voraus.

Die 
	Hastbrücke von Zehdenick mit Willkommens-GrußDie Hastbrücke von Zehdenick mit Willkommens-Gruß.

 

Der Dampfer ALFRED vor dem Jagdschloss auf der Havel bei Potsdam

Der Dampfer ALFRED vor dem Jagdschloss auf der Havel bei Potsdam.

Schleusenausfahrt 
	in LiebenwaldeSchleusenausfahrt in Liebenwalde.

Das 
			Humboldt-Schloss in TegelDas Humboldt-Schloss in Tegel.

Das 
			Schloss Pfaueninsel in der HavelDas Schloss Pfaueninsel in der Havel.

Neues Stadttheater von Potsdam

Neues Stadttheater von Potsdam.

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