Faehrreisen 

 

Ausgabe 6-2013 

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Die P&O Ferries-Neubauten von 2011/12 SPIRIT OF FRANCE und SPIRIT OF BRITAIN sind die größten Fährschiffe, die jemals für die Kurzstrecke über die Dover Strait gebaut worden sind. Die P&O Ferries-Neubauten von 2011 / 12 SPIRIT OF FRANCE und SPIRIT OF BRITAIN sind die größten Fährschiffe, die jemals für die Kurzstrecke über die Dover Strait

gebaut worden sind.

Kai Ortel

Dover-Calais und zurück

Viel Zeit ist vergangen seit der Eröffnung des Tunnels unter dem Ärmelkanal im Mai 1994. Und obwohl das Bauwerk den etablierten Fährreedereien zwischen Calais und Dover binnen weniger Jahre beträchtliche Marktanteile abnehmen konnte, gibt es noch immer regelmäßige Schiffsverbindungen auf dieser kürzesten Verbindung zwischen Frankreich und England. Kai Ortel unternahm mit den Fährschiffen von P&O Ferries einen Tagesausflug auf der Route.

Zugegeben, es war schon einmal einfacher, den Ärmelkanal zwischen Calais und Dover ohne fahrbaren Untersatz zu überqueren. Als ab 1999 mit der Einstellung des zollfreien Verkaufs auf Passagierschiffen zwischen EU-Häfen kaum noch Fußpassagiere in nennenswerter Anzahl mit den Fähren fuhren, reagierten die Reedereien und reduzierten ihr Angebot entsprechend. Auf der Linie Calais-Dover können seit April 2004 Fußgänger bei P&O nur noch zwischen 7 und 19 Uhr Tagesausflüge unternehmen; während der Abend- und Nachtstunden dagegen gibt es die sogenannten „Lite Night”-Abfahrten, die nur von Auto- und Frachtfahrern gebucht werden können und wo die meisten Restaurants, Bars und Shops an Bord geschlossen sind. Der französische Mitbewerber SeaFrance verfuhr entsprechend und stellte die Beförderung von Fußpassagieren im Oktober 2009 gar komplett ein; zu hoch waren die Kosten für Bustransfers, Zoll- und Passkontrollen und weitere Dienstleistungen, die für vergleichsweise wenige Reisende vorgehalten werden mussten. Wenig später war SeaFrance dann Geschichte, während P&O Ferries 2011 / 12 mit den Neubauten SPIRIT OF BRITAIN und SPIRIT OF FRANCE die größten Fährschiffe in Dienst stellte, die jemals für die Kurzstrecke über die Dover Strait gebaut worden waren. Und da auch DFDS Seaways zwischen Dover und Calais keine Fußpassagiere befördert, sind die Fähren von P&O die einzigen, auf die diejenigen Reisenden zurückgreifen können, die mit Bus und Bahn, anstatt mit dem eigenen PKW zwischen dem Kontinent und den Britischen Inseln unterwegs sind.

Als der Schnellzug morgens um 9:10 Uhr den Bahnhof St. Pancras verlässt, ist der Himmel über London strahlend blau. Bis Dover Priory braucht er auch kaum mehr als eine Stunde, und einen kurzen Fußmarsch später steht man in Dover auch schon auf der breiten Marine Parade, die den Hafen überblickt und wo das überraschte Auge sowohl Schwimmer im Wasser ausmacht als auch, auf dem kleinen Strand zwischen Eastern und Western Docks, ein paar letzte Sonnenanbeter an diesem September-Vormittag. Die Sonne jedoch hat es zunehmend schwer, sich zwischen den Wolken hindurchzukämpfen, die mittlerweile über Dover Castle aufgezogen sind. Schnell also im Travel Centre ein Ticket für den Tagesausflug nach Calais gekauft, denn wer weiß, wie lange das schöne Wetter noch anhält. Dies ist schließlich England.

Das Schiff für die Hinfahrt nach Frankreich ist die SPIRIT OF BRITAIN, das erste der beiden neuen Flaggschiffe von P&O auf der Route (Indienststellung 21. Januar 2011). Hatten bereits die PRIDE OF DOVER und PRIDE OF CALAIS 1987 die Kapazität ihrer Vorgängerfähren aus dem Jahr 1980 fast verdoppelt, so erreichen die Neubauten von 2011 noch einmal dasselbe Ziel. 170 statt 85 Lastwagen kann die SPIRIT OF BRITAIN befördern bzw. 1.000 Pkw gegenüber 585 auf den alten Schiffen. Die Fähre verfügt hierzu über zwei reine Fracht- sowie über ein zusätzliches Autodeck. Allein durch ihre enormen Abmessungen (Länge 213 Meter, Breite 31,40 Meter, 12 Decks) überragen die beiden „SPIRITS” jedes andere Fährschiff in Dover und Calais mühelos, doch noch größer geht es jetzt nicht mehr: P&O hatte die Schiffe so entworfen, dass sie die maximal mögliche Größe erreichen, um sicher in den beiden Häfen anlegen und die dortigen Anlagen nutzen zu können.

Doch auch die inneren Werte der SPIRIT OF BRITAIN können überzeugen. Speziell konzipiert, um Autoreisenden eine erholsame Unterbrechung ihrer langen Fahrt auf Landstraßen und Autobahnen zu bieten, haben Reederei und Werft besonders auf Geräumigkeit und Freizügigkeit an Bord Wert gelegt. So gibt es nicht nur weitaus mehr Sitzplätze in den öffentlichen Räumen, als das Passagierzertifikat der Fähre ausweist, sondern sind auch alle wichtigen Lounges und Bars durch einen rund um Deck 8 laufenden Gang einfach zu erreichen. Im Gegensatz zu anderen Tagesfähren verfügt die SPIRIT OF BRITAIN somit gleich über zwei lichtdurchflutete Arkaden – eine an Backbord und eine an Steuerbord. Auf Deck 9 hingegen sind die Restaurants gelegen: der große Food Court vorne im Schiff mit Blick über den Bug; ein Restaurant ausschließlich für Lastwagenfahrer mittschiffs und achtern schließlich die edle „Brasserie”. Durch diese Trennung kommen sich die Passagiere, die „nur” entspannen und shoppen wollen, nicht denen in die Quere, die die Überfahrt bei einer Mahlzeit oder einem Glas Wein verbringen möchten.  

Was die Gestaltung der öffentlichen Räume betrifft, hat P&O im übrigen die Tatsache ausgenutzt, dass das erste volle Betriebsjahr der SPIRIT OF BRITAIN und der SPIRIT OF FRANCE 2012 mit dem 175jährigen Jubiläum der Traditionsreederei P&O zusammenfiel. So sind die einzelnen Bereiche der beiden Großfähren in den vier Hausfarben der Reederei gehalten. In den Lounges achtern dominieren Gelbtöne, bei den Möbeln und Teppichböden mittschiffs blaue Farben und in den Räumen vorne im Schiff rote Akzente. In weiß schließlich kommen die Wände der Autodecks und der Außenanstrich der Fähren daher. Verziert hat man die Wände in den Lounges und Bars der SPIRIT OF BRITAIN dabei mit großen Fotografien berühmter Wahrzeichen

Großbritanniens; da darf Stonehenge genauso wenig fehlen wie die Londoner Tower Bridge. Und auf der SPIRIT OF FRANCE ist es natürlich umgekehrt: Hier fällt der Blick auf Eiffelturm, Arc de Triomphe und ein Schild der Pariser Metro.

Ihren Anleger in den Eastern Docks von Dover (die Western Docks dienen nur noch als Kreuzfahrt-Pier) verlässt die SPIRIT OF BRITAIN fast pünktlich, nachdem kurz zuvor noch die PRIDE OF CANTERBURY angelegt hat. Allerdings hat sich bei unserer Abfahrt bereits ein dichter Wolkenteppich über die berühmten „White Cliffs” gelegt, und auf den Wellen des Ärmelkanals tanzen erste kleine weiße Schaumkronen. 

Einem Aufenthalt auf dem leider viel zu kleinen Sonnendeck achtern steht jedoch noch nichts entgegen, so dass die 90minütige Überfahrt nach Calais wie im Flug vergeht. So schnell sogar, dass kaum Zeit bleibt, sich unter Deck in Ruhe umzusehen. Doch die maritime Gemütlichkeit einer PRIDE OF DOVER scheint das neue Schiff zu vermissen. Die SPIRIT OF BRITAIN mag groß sein, auch großzügig, aber richtig chic kommt sie nicht daher. Doch das ist vielleicht im Jahr 19 nach Eröffnung des Kanaltunnels auch gar nicht nötig. In jedem Fall ist sie zuverlässig, denn um Punkt 13:35 Uhr, also exakt nach Fahrplan, macht sie neben der PRIDE OF KENT und der BERLIOZ des Konkurrenten MyFerryLink in Calais fest. Zu diesem Zeitpunkt hängen auch über der französischen Stadt schon dicke graue Wolken, die nichts Gutes für die Rückfahrt nach Dover in anderthalb Stunden erahnen lassen.

Das Schiff für die Fahrt zurück nach Dover ist die PRIDE OF CANTERBURY. 1991 als EUROPEAN PATHWAY auf der Bremerhavener Schichau-Seebeckwerft gebaut, war die Fähre die ersten zwölf Jahre ihres Schiffslebens als reine Frachtfähre zwischen Dover und Zeebrügge im Einsatz. Als P&O 2002 die Anteile, aber nicht die Schiffe des Gemeinschaftsdienstes „P&O Stena Line” aufkaufte und fast im selben Atemzug auch die Linie Zeebrügge-Dover einstellte, wurden Anfang 2003 die beiden Zeebrügge-Frachter EUROPEAN PATHWAY und EUROPEAN HIGHWAY auf der Bremerhavener Lloyd-Werft für einen Einsatz als „richtige” Auto- und Passagierfähren zwischen Calais und Dover umgebaut.  

Wobei diese „richtige” Passagierfähre leider keinem Vergleich mit der nagelneuen SPIRIT OF BRITAIN standhält. Das Layout mag ähnlich sein (Bars, Shop und Family Lounge auf Deck 7; Food Court und Brasserie auf Deck 8 darüber), doch das Raumangebot ist es beileibe nicht. Man sitzt dicht an dicht, egal wo im Schiff und egal zu welchem Zeitpunkt der Überfahrt. Fluktuation und Lärmpegel sind hoch, wenn auch letzteres daran liegen mag, dass diese Überfahrt nach Dover fest in der Hand deutscher Schulklassen ist, die gerade mit Reisebussen auf dem Weg zum Schüleraustausch in England sind. Die beklemmende Atmosphäre wird leider auch dadurch nicht aufgebessert, dass ein erschreckend großer Teil besagter Jugendlicher trotz Wind und Regen das kleine Außendeck achtern bevölkert, als die PRIDE OF CANTERBURY ablegt. Und dass vor allem die Herren der Schöpfung derart waghalsig an der Reling herumturnen, dass einem angst und bange wird dabei. Auch der Kapitän klingt nicht wirklich zuversichtlich, als er seine Vorschau auf die bevorstehende Überfahrt über das öffentliche Lautsprechersystem durchsagt. Keine Frage: Der blaue Himmel über London heute Morgen ist nicht nur weit weg, sondern auch lange her. Es wird eine stürmische Überfahrt werden.   

Als unser Schiff Calais mit 20 Minuten Verspätung verlässt, ist es bereits kaum mehr möglich, Fotos zu machen, so stark haben Wind und Regen aufgefrischt mittlerweile. Die entgegenkommende PRIDE OF BURGUNDY kämpft sich eher hinter die rettende Mole, als dass sie in den Hafen einläuft, und auch der DIEPPE SEAWAYS kurz nach ihr geht es kaum besser. Die Damenwelt an und unter Deck der PRIDE OF CANTERBURY wird da bereits immer bleicher im Gesicht; erste Spucktüten werden zur Hand genommen und ihrer ordnungsgemäßen Verwendung zugeführt. Wer nun aber denkt, er könne sein Befinden ändern, indem er von den stickigen Räumen unter Deck schnell an die frische Luft wechselt oder vom Geschaukel auf dem Sonnendeck hinunter in die vermeintlich ruhigeren Lounges, der hat ein Problem. Denn auch in den Treppenhäusern stehen die Jugendlichen so dicht gedrängt (und in unterschiedlichen Zuständen der Lebensfreude), dass es praktisch kein Durchkommen gibt. Einziger Ausweg: Durchhalten, bis man endlich da ist. Doch auch das dauert länger als geplant. Denn die PRIDE OF CANTERBURY braucht für ihre Sturmfahrt von Calais nach Dover am Ende nicht weniger als zweieinhalb Stunden.

Besonders schwierig gestaltet sich dabei nicht einmal das Einlaufen in den Hafen von Dover bei Sturm, sondern das Anlegen dort, während der Wind das Schiff mit aller Macht vom Pier wegzudrücken versucht. Statt 17:35 Uhr ist es daher am Ende kurz nach 18:30 Uhr, als auch die Fahrradfahrer und Fußgänger die PRIDE OF CANTERBURY endlich verlassen dürfen. Und die meisten von ihnen sind darüber, den Gesichtern nach zu urteilen, offenbar sehr erleichtert. Zwar ist das Wetter auf englischer Seite des Ärmelkanals genauso schlecht wie auf französischer, doch zumindest schaukelt es nun nicht mehr. Es mögen also nur 21 Seemeilen sein, die den Kontinent von Großbritannien trennen – doch am Ende ist letzteres immer noch eine Insel und der Ärmelkanal beileibe keine Badewanne! P&O Ferries

Strand zwischen Eastern und Western Docks in Dover mit ein paar letzte Sonnenanbeter an diesem September-Vormittag. Strand zwischen Eastern und Western Docks in Dover mit ein paar letzte Sonnenanbeter an diesem September-Vormittag.

Die SPIRIT OF BRITAIN im Hafen von Dover.Die SPIRIT OF BRITAIN im Hafen von Dover.

 

Die PRIDE OF CANTERBURY läuft in Dover ein.Die PRIDE OF CANTERBURY läuft in Dover ein.

In der achteren Lounge der SPIRIT OF BRITAIN.In der achteren Lounge der SPIRIT OF BRITAIN.

 

Der große Food Court der SPIRIT OF BRITAIN vorne im Schiff mit Blick über den Bug.Der große Food Court der SPIRIT OF BRITAIN vorne im Schiff mit Blick über den Bug.

In den Lounges achtern dominieren Gelbtöne, bei den Möbeln und Teppichböden 
	mittschiffs blaue Farben und in den Räumen vorne im Schiff rote Akzente.In den Lounges achtern dominieren Gelbtöne, bei den Möbeln und Teppichböden mittschiffs blaue Farben und in den Räumen vorne im Schiff rote Akzente.

Ein Aufenthalt auf dem recht kleinen Sonnendeck achtern trägt dazu 
	bei, dass die 90minütige Rückfahrt nach Calais wie im Flug vergeht.
Ein Aufenthalt auf dem recht kleinen Sonnendeck achtern trägt dazu bei, dass die 90minütige Rückfahrt nach Calais wie im Flug vergeht.
hr
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