Ausgabe5-2013 

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 Ein Gesamtkunstwerk aus Wasser, Felsen und Bauwerken: Der Rheinfall bei Schaffhausen. Ein Gesamtkunstwerk aus Wasser, Felsen und Bauwerken: Der Rheinfall bei Schaffhausen.

   

Dr. Dietrich Hub

Der Rheinfall von Schaffhausen – die schweizer Urgewalt

Laut geht es hier zu, und nass. Das Donnergrollen des niederstürzenden Wassers hört sich bedrohlich an. Mehrmals schon wehte die Gischt des tosenden Wassers bis auf unser Plätze ins Schiff hinein. Die kalten Wassertropfen im Gesicht wirken nicht erfrischend, sondern unheilsschwanger. Das abströmende Wasser unter uns ist aufgewühlt. Unaufhörlich dröhnt vor uns das weiße Wasser, das über die Felsen in die Tiefe fällt. Nur unseren Steuermann stört das anscheinend nicht. Als sähe er die Gefahr nicht, steuert er routiniert das Schiffchen in die Richtung des herabstürzenden Wassers.

Unten wirkt alles bedrohlich, aber auf dem Felsen oberhalb dieses Getöses weht stolz die schweizer Flagge. Beinahe triumphierend sieht es aus, wie das Tuch mit weißen Kreuz auf rotem Grund fröhlich über dieser Urgewalt weht. 150 Meter breit ist der Wasserfall, 23 Meter beträgt seine Fallhöhe. Es gibt höhere Wasserfälle in Europa, aber keinen, über den ein so gewaltiger Fluss in die Tiefe stürzt. Dieses Gesamtkunstwerk aus tosenden Wassermassen, trutzigen Felsen und alten Schlössern an beiden Ufern ist ein Stück schweizer Identität.

Im Schutz des Mittelfelsens legt unser Schiffchen direkt neben dem aufgewühlten Wasser an. Wir erklimmen die hohen Stufen einer steilen Treppe und stehen bald auf einer Felsnadel oberhalb des herabstürzenden Wassers. Von oben sieht es erst recht gefährlich aus, wie sich die kleinen Schiffchen ihren Weg durch das aufgewühlte Wasser bahnen. Unfälle mit Ausflugsschiffen habe es dennoch hier noch nie gegeben. Wenn jemand in den Wassermassen begraben wird, dann sind es meist Selbstmordkandidaten. Oder solche Leute, denen offenbar kein Risiko hoch genug ist. Schon mehrfach bezwangen Extremkajakfahrer den Wasserfall. Allerdings ist die Befahrung des Katarakts grundsätzlich verboten – egal durch wen und egal in welchem Wasserfahrzeug. Die erfolgreichen Bezwinger des Rheinfalls im Wildwasserkajak werden folglich anschließend von der Schaffhausener Polizei abgeführt. Nützen tut dies offensichtlich nichts. Paddelnde Adrenalinjunkies, die vor Europas heftigstem Wasserfall keine Angst haben, werden wohl auch die eidgenössische Polizei nicht fürchten. Die Geldstrafe ist für sie wohl nur der einkalkulierte Abschluss ihres lebensgefährlichen Projektes.

 Nach der Bootsfahrt kommen wir wieder auf der Neuhausener Seite an, am in Fließrichtung gesehen rechten Ufer. Auf der Neuhausener Seite steht das Schlösschen Wörth. Das Gebäude war mehr Zollstation als Wohnhaus eines Adligen, denn hier wurden einst Waren umgeladen. Der Rheinfall ist bekanntlich ein immenses Hindernis für den Güterverkehr zwischen der Bodensee-Region und dem Rhein. In der Vergangenheit gab es schon mehrere Pläne, den Wasserfall zu umgehen und den Hochrhein mittels mehreren Staustufen durchgehend schiffbar zu 

 

machen. Konstanz sollte so ein „Amsterdam des Südens werden: Von der Nordsee sollten Schiffe bis nach Bregenz fahren können. Realisiert wurde keiner dieser Pläne. Zwar enorm aufwändig, aber durchaus technisch machbar wäre ein solcher Bau gewesen. In anderen Regionen wurden schon Kanäle gebaut, die größere Höhenunterschiede überwinden. Zweifellos wäre ein solches Schleusensystem ein gewaltiger Eingriff in die Natur geworden.

Gravierender ist aber wohl ein anderes Problem: Den Rheinfall zu bezwingen wäre vor allem ein Eingriff in die schweizer Seele. Ganz nebenbei bemerkt hat man in Schaffhausen Jahrhunderte lang gutes Geld verdient mit dem Umladen und dem Transport der Waren mittels Fuhrwerke auf dem Landweg. Was für die Binnenschiffer ein ärgerliches Hindernis war, war für viele Schaffhausener Bürger Grundlage ihres Wohlstandes. Am Schlösschen Wörth – heute Schiffsanlegestelle und Restaurant – wurden die Waren wieder auf Binnenschiffe verladen. Derlei wirtschaftliche Gründe im Transportwesen spielen heute keine Rolle mehr. Doch der Rheinfall ist nach wie vor ein Mythos und bleibt unantastbar. Er ist und bleibt ein nationales Heiligtum der Schweizer. Sein tosendes Wasser antasten zu wollen ist ein Tabubruch. Auf das Matterhorn baut man schließlich auch keine Seilbahn.

Auf der Neuhausener Seite ist schon seit Jahrhunderten ein kleines Wasserkraftwerk in Betrieb. 25 Kubikmeter Wasser pro Sekunde fließen durch die Turbinen – wahrlich nicht viel angesichts der 500 Kubikmeter pro Sekunde, die durchschnittlich über die Felsen hinabdonnern. Da auch die Schweiz ihre Energieerzeugung aus regenerativen Rohstoffen erhöhen muss, gibt es Überlegungen, auch den Rheinfall stärker als bislang für die Energiegewinnung zu nutzen. Kaum waren die Pläne veröffentlicht, regte sich der Protest. Jeder Versuch, die Urgewalt des Wassers zu zähmen, löst heftigen Widerstand in der Alpenrepublik aus. Tatsächlich war nur geplant, in den Nachtstunden mehr Wasser als bislang durch die Turbinen zu leiten. Doch der Rheinfall dürfe „nicht für die Stromproduktion geopfert werden, so hieß es unter den Eidgenossen – auch wenn in den Planungen nur an 20 Prozent der Wassermenge gedacht war.

Zwei Millionen Besucher kommen jedes Jahr an den Rheinfall. An beiden Ufern geht es daher lebhaft zu. Übervoll ist es dennoch nicht, denn die meisten Touristen bleiben nur eine knappe Stunde hier. Eigentlich schade, denn dieses Naturschauspiel sollte man sowohl vom Wasser aus als auch vom Land ausgiebig genießen. Über die Eisenbahnbrücke oberhalb des Wasserfalls gelangt man zu Fuß in etwa einer halben Stunde vom einen zum anderen Ufer. Von Schaffhausen aus kann man übrigens im Sommer durchaus stilvoll mit einem „Zügle – dem „City Train – bis zum Rheinfall fahren.  

Der Rheinfall von Schaffhausen vom Boot aus gesehenenDer Rheinfall von Schaffhausen vom Boot aus gesehenen. Foto: CrazyD für GNU DFL

Zum ganzheitlichen Erleben des Rheinfalles gehört auch, dass die Gischt ins Boot hineinspritzt.

Zum ganzheitlichen Erleben des Rheinfalles gehört auch, dass die Gischt ins Boot hineinspritzt.

Die Schiffsführer steuern ihre Schiffchen routiniert durch Wasser und Gischt. Unfälle gab es noch nie.Die Schiffsführer steuern ihre Schiffchen routiniert durch Wasser und Gischt. Unfälle gab es noch nie.

Ausstieg zum Mittelfelsen. Der stolze Fels inmitten der tosenden Wassermassen ist nur mittels Schiff zu erreichen.Ausstieg zum Mittelfelsen. Der stolze Fels inmitten der tosenden Wassermassen ist nur mittels Schiff zu erreichen.

Es werden unterschiedliche Bootstouren angeboten: Felsenfahrt, Rheinüberfahrt, Kleine Rundfahrt und Audioguidetour. Je nach Strecke variiert die Länge zwischen

10 und 30 Minuten.Es werden unterschiedliche Bootstouren angeboten: Felsenfahrt, Rheinüberfahrt, Kleine Rundfahrt und Audioguidetour. Je nach Strecke variiert die Länge zwischen

10 und 30 Minuten.

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