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18118 NORDISABELLA PSW Festgemacht im Hafen von AntwerpenDie NORDISABELLA hat festgemacht im Hafen von Antwerpen. Fotos: Dr. Peer Schmidt-Walther, Stralsund


Dr. Peer Schmidt-Walther

Zwei Mal über den Atlantik geschwommen ...
Sechs Wochen, neun Häfen, 13.204 Seemeilen – Kurs Lateinamerika – Teil 1

Masten überragen die weit geschwungene Köhlbrand-Brücke. Fast wie zu Hamburgs besten Segelschiffs-Zeiten, nur heute eben komplett anders: ein 400-Meter-Riese hinter dem anderen. Schwindelerregend ihre Kapazität. Containerschiffe der Superlative mit 20.000 Blechkisten. Nicht gerade Design-Schönheiten, wohl aber effizient wie nie zuvor. „Für mich ist”, philosophiert der ergraute Eurogate-Terminalbusfahrer und ehemalige Fahrensmann, „so’n Kasten mehr oder weniger nur ein Stahlkörper, denn erst die Seeleute geben dem so was wie ’ne Seele”. Wie sehr er damit Recht hat, soll sich bald zeigen.
„Denn man gute Reise!”, wünscht er zum Abschied und braust mit rundum gelb blinkendem Warnlicht davon. Kaum am Fuß der Gangway angekommen, wieselt ein weißbehelmter dunkelhäutiger Overallmann die Stufen herab, strahlt zur Begrüßung, schultert den Rucksack des einzigen Passagiers und klettert mit seiner Last leichtfüßig die steile Treppe hinauf an Deck. Service à la Grand-Hotel.
Der wachhabende Matrose notiert den Neuzugang vorschriftsmäßig im Wachbuch und gibt dann den Weg frei ins hohe Deckshaus der NORDISABELLA. Fahrstuhl? „Don’t have!” Dafür schleppt man sich über sieben Decks und 70 Stufen fast senkrecht nach oben und kommt, weil ungeübt, ziemlich aus der Puste. Allemal ein optimales „Nebenbei-Training”.

Wie unter Freunden
SPARE OFFICER steht auf dem Schild über der Tür, was so viel heißt wie „Reserve-Offizier”. Passt! Zweckmäßig, minimalistisch, so der erste Eindruck: breites Doppelbett für optimalen Schlafkomfort, Couch, Tisch, Regal, Schreibtisch, Stuhl, Kühlschrank, Kleiderschrank, Bad mit Dusche und WC. Fußboden in hölzerner Decksstruktur. Alles in hellem, ansprechenden Design. Leider: hinter dem einzigen Fenster die Rückseite eines Kühlcontainers. Wäre der nicht, hätte man einen weiten, ungebremsten Blick über das Vorschiff auf die See. Nun ja, hätte … Ende der Träumereien und immer dran denken: Dies kein Lust-, sondern ein Frachtschiff. „Lebende Ladung” ist zweitrangig. Oder?
Plötzlich ein Klopfen am Türrahmen: der Hausherr, erkennbar an vier goldenen Streifen auf den Achselklappen des blütenweißen Hemdes: „Welcome on board!” Sagt’s und streckt einem wie unter Freunden die Hand entgegen, „Captain Denis Pankratov”. Der drahtige 41-jährige Russe wohnt, wie man erfährt, mit seiner Familie nahe am Schwarzen Meer. Welcher Generaldirektor eines Hotels würde einen Gast so persönlich empfangen?! Man kommt sich schon ein bisschen privilegiert vor.

Seeroutine mit Papierstapeln
Pankratov nimmt sich, trotz Hafenstress, Zeit für den Neuen, der jetzt sein Nachbar ist. „Sie stehen ab sofort unter meiner Aufsicht”, zwinkert er. Dann Smalltalk mit ersten Hinweisen, zum Beispiel über das bevorstehende Abendessen und die Auslaufzeit früh um sechs am nächsten Morgen. Der Master entschuldigt sich: „Wir können uns nachher in der Messe weiter unterhalten” und widmet sich wieder seinen Papierstapeln. Während der abgelöste Erste Offizier nach vier Monaten Fahrtzeit nur noch den wohlverdienten Urlaub im Sinn hat. Sein lettischer Nachfolger Vilnis Kaudze ist gerade aus Riga eingeflogen. Lange Reisen mag er eigentlich nicht, gesteht er: „Da denkt man zu viel nach”. Wenn die Häfen Schlag auf Schlag kommen, habe man keine Zeit dazu. So gesehen … Während andere wieder die ruhige Seeroutine schätzen.
Dann das erste Captains dinner. Kein Privileg, sondern bald tägliche Routine in der Offiziers-Runde. Der Küchenfahrplan vom srilankanischen Smutje Udara Sampath Wahumpurage, kurz und unkompliziert nur „Cookie” genannt, kann sich in Theorie und Praxis sehen lassen.
Wie es mit der Frühstückszeit sei: Ob es nicht vielleicht auch später ginge – wegen des Ausschlafens. „No problem!”, strahlt auch er, Kaffee und Tee seien immer da, das andere finde man im Kühlschrank und in der Messe.

Zylmann Welcome Aboard 470Seefahrt pur ohne Garn
Was macht man, wenn man in einem Hafen nicht an Land gehen will oder kann? Richtig, das Leben im Hafen beobachten. Das tobt in Hamburg allemal. Untermalt von der ewigen Kakophonie der fiependen Containerkräne und röhrenden Straddle-Carrier-Monster mit ihren Blechkisten im Bauch. Die unüberhörbare wirtschaftliche Erfolgs-Melodie der Elb-Metropole.
Ein Frachterriese läuft aus, ein anderer ein. Genügend Fotomotive aus einer außergewöhnlichen Perspektive. Vom Peildeck in fast 40 Metern Augenhöhe mit den Schiffsmonstern hat man die Übersicht. Samt Panoramablick über die Containergebirge hinweg auf die Türme der Hansestadt. Deren Turmuhren spiegeln die untergehende Sonne vielfach als goldene Scheiben, während im Süden der Vollmond grinsend durch das Filigran der Containerkräne klettert. Wer könnte sich dieser Romantik entziehen?!
Auf der Elbe schleicht nach einem Abschieds-Feuerwerk mit dröhnendem Typhonkonzert die QUEEN ELIZABETH 2 vorbei. Tausende stehen an Deck, um das Schauspiel zu genießen. Dieses Privileg hat man als NORDISABELLA-Passagier exklusiv. Wer´s mag, der ist hier vollkommen richtig. Vor allem auch, Kontakt zu den Seeleuten haben, mit ihnen reden und ihnen zuhören. Wobei man viele Geschichten hört, in den seltensten Fällen „Seemannsgarn”. Das ist überwiegend sehr real und trotzdem oft unglaublich. Menschen aus elf Nationen können eben was erzählen.

Letzter Land- und Handykontakt
Grummeln um 6.25 Uhr. Die Hauptmaschine wird gestartet. We are sailing, möchte man singen, es geht los! Mit den Leinen klatscht die Gewissheit ins Wasser, dass es die nächsten 5.403 Seemeilen oder 13 Tage keinen Landgang gibt.
Cuxhavens „Alte Liebe” und Kugelbake ziehen an Backbord vorbei, dann die Inseln Neuwerk und Scharhörn. Voraus das leuchtend rote Doppelrumpf-Lotsenstationsschiff ELBE, das seinen Katamaran-Tender DÖSE losschickt, nachdem der Lotse die Treffzeit gemeldet hat. Noch ein Abschied mit Gute-Reise-Wünschen.
Dann beginnt endgültig die große Seereise. Nicht etwa durch den Englischen Kanal und die bewegte Biskaya, sondern an Helgoland vorbei mit Nordwest-Kurs auf Nordschottland zu. Sozusagen obenherum, das ist ungewöhnlich. „Unser Charterer Hamburg Süd”, so erklärt Kapitän Pankratov, „hat die Route empfohlen. Ich habe dementsprechend entschieden, durch den Pentland Firth zu fahren: weniger Schwell, mehr Geschwindigkeit, sogar 35 Seemeilen kürzer, Spritersparnis und kaum Verkehr”.
Die Handys, letzter Landkontakt, verstummen endgültig. Wir sind allein in den endlosen Weiten des Nordatlantiks. Der 360-Grad-Horizont wie leergefegt. Außer uns kein weiteres Schiff in Sicht, was auch eine Woche lang so bleibt.
In der Maschine wird jetzt umgestellt von teurem, schwefelarmen Diesel- auf preiswertes Schweröl. So wollen es die IMO-Vorschriften. Insgesamt schwappen rund 2.600 Tonnen Treibstoff in den Bunkern. „Was für eine 13.204-Seemeilen-Rundreise oder 42 Tage reicht”, wie der ukrainische Chief Andriy Vlasenko aus Sewastopol betont.
Mit Schiebewind und fast 19 Knoten Maximalgeschwindigkeit, so zeigt das Log, pflügt der mit 9,80 Metern Tiefgang optimal beladene Frachter bei nur 85 Prozent Leistung durch die endlose graue See. Im schäumenden Kielwasser überstürzen sich die Sahnehäubchen aus Gischt.
Versammlung nach Großreinschiff und Kaffeepause im Mannschafts-Aufenthaltsraum: „Ich möchte euch”, beginnt der Kapitän seine kurze Rede, „ein neues Familienmitglied vorstellen, damit keiner rätselt, was der hier macht, CIA-Agent oder so …” Eine ungewöhnlich nette Geste, die alle mit Beifall quittieren. Nun weiß jeder Bescheid über den Gast, und die Gerüchteküche verstummt.

Ruhe vor dem Sturm
Neben dem Schiff segeln seit mehreren Stunden in elegantem Tiefflug zwei graue Sturmvögel, die zwischendurch sogar auf einem Container pausieren, wie zwei kleinere Singvögel. Diese Tramps fahren mit als „Stowaways, blinde Passagiere”, und sparen dadurch Energie. Aber bescheren dem Vorschiff, ihrem Rastplatz, auch ätzende weiße Kotspuren auf der frischen Farbe. Das bedeutet für die Matrosen Mehrarbeit.
Am dritten Seetag fällt der Luftdruck rapide. Vorbote für bewegteres Wetter. „Normal auf der nördlichen Route, auch um diese Jahreszeit”, weiß Kapitän Pankratov. Ein riesiger Tiefdruckwirbel nähert sich von Nordwest. „Wir fahren zwar mitten durchs ruhige Zentrum”, informiert er, „aber den Rand streifen wir noch. Das bedeutet schweres Wetter”. „Wenn sich die Vögel nicht verstecken”, fürchtet der mitfühlende Kapitän, „werden die Tierchen von diesem Sturm glatt weggepustet”.
An Bord wird alles lose Gut gelascht und festgezurrt, die Außentüren werden verschlossen. An Deck darf niemand ohne Erlaubnis des Kapitäns. Doch das in der letzten Dienstbesprechung per Protokoll festgelegte Arbeitspensum geht weiter. Innendienst steht bei Schlechtwetter auf dem Plan.

Zwischen Eisbergen und Bermuda-Dreieck
Halbwegs zwischen Schottland und Neufundland auf 55° Nord fängt NORDISABELLA an, sich unwillig bei bis zu acht Windstärken zu schütteln. Gegen Nachmittag haben sich sechs Meter hohe Wellen in der schräg von vorn anlaufenden See und seitlichem Schwell aufgetürmt. Gischtwolken fetzen jedes Mal über NORDISABELLA hinweg, wenn die Wellen gegen ihre Steuerbordflanke knallen und dann geradezu explodieren. Aber dank ihrer Breite und reduzierter Geschwindigkeit – „damit Schiff und Crew nicht gestresst werden”, so der Kapitän – bleibt es erstaunlich ruhig, kaum Roll- oder Stampfbewegungen.
Seesalz liegt in der feuchten Luft. Rost ist vorprogrammiert. Die Wassertemperatur zeigt nur noch elf Grad, die Luft kaum mehr. In der Seekarte sind vor Neufundland und Labrador Gebiete eingezeichnet, in denen Eisberge vorkommen. Man glaubt ihren eisigen Hauch schon zu spüren. NORDISABELLA tangiert das nicht, sie wird das Gefahrengebiet südlich passieren. Während sich weiter im Süden, im berüchtigten „Bermuda-Dreieck”, ein Killer-Hurrikan entwickelt mit bis zu zwanzig Meter hohen Wellen, die tödlich sein können. „Da rutschen wir zum Glück gerade durch die Florida-Straße an Kuba vorbei in den Golf von Mexiko”, freut sich Kapitän Pankratov.

Schönwetter mit Pfeiftönen und Technik
Am nächsten Morgen nordwestlich von Neufundland: wie weggeblasen der Tiefdruck-Spuk, von der Sonne nur unschuldig belächelt. Achteraus erinnert nur noch ein schwarzgrauer Streifen am fernen Horizont an das vergangene Wind- und Wellen-Theater. Jetzt hämmern, schleifen und klopfen sie wieder, die Matrosen. Ein Kärcher-Trupp rückt der Salzkruste und dem Hafendreck mit Hochdruck zu Leibe. Schönwetter-Alltag. Den nutzen auch Erster Offizier Vilnis Kaudze und Kapitän für eine Inspektionsrunde. Während man als Passagier die Segelschiffsstille auf der Back mit unverbautem 270-Grad-Blick genießen kann. Tief unten rauscht nur die Bugsee. Sehr beruhigend. Das macht den Kopf frei von allen tagespolitischen Aufgeregtheiten, die einen an Land noch vor kurzem beschäftigt haben.
Bis plötzlich schrille Töne neben dem Vorschiff die Runde unterbrechen. Kurze Schaumstreifen, dann Rückenflossen. „Delphine!” rufen alle wie aus einem Mund. Schon katapultieren sich die pfeifenden Meeressäuger aus dem Wasser und begrüßen freudig NORDISABELLA, die sich dazu wie eine Diva sanft in den Hüften wiegt.
Tief unten im Herzen des Frachters spürt man nichts von alledem. Wer dafür eine Ader hat, liegt beim ukrainischen Chief-Ingenieur Andriy Vlasenko genau richtig. Der ruhige Mann ist Herr über viele tausend „Pferde”, die pro Tag bis zu 48 Tonnen Schweröl schlucken, je nach Fahrtstufe. Priorität habe der Treibstoffverbrauch, erklärt er. Als oberster Bordtechniker residiert er im klimatisierten und lärmgeschützten Maschinenkontrollraum vor den Überwachungsmonitoren und hat Tagschicht wie alle in der Maschine, die nachts unbemannt ist. Vlasenko freut sich, dass er den Besucher durch das blitzsaubere Kellerreich führen kann. „Das soll auch so bleiben”, sagt er, „solange ich hier Chief bin!”

Romantische Seite des Kapitäns
Oder man erlebt auf der Brücke einen Sonnenuntergang, wie ihn selbst Kapitän Denis Pankratov in diesem oft sehr rauen Seegebiet noch nicht gesehen hat: „Einfach traumhaft!” „Die See ist für mich”, schwärmt der temperamentvolle, aber ansonsten sehr sachorientierte Kapitän, „die lebendigste Landschaft Wasser, das Element der Verwandlung”.
Was allen verborgen bleibt und nur aus der Seekarte abzulesen ist: die Berg- und Talfahrt über Seamountains, untermeerische Gebirge. Die steigen vor der US-Ostküste plötzlich aus 6.500 Metern Tiefe auf und gipfeln bei 1.000 Metern unter der Wasseroberfläche. Und NORDISABELLA schwebt darüber wie auf Wolken. Während tief unten im Schiffsbauch unablässig das kräftige Herz wummert, stimmen die verspannten Stahlkisten ihre eigene Melodie an: Es knistert, ächzt, brummt, klopft, quietscht, schnarrt, scheppert, sirrt, zirpt und knallt in den Kartons. Ständiger Begleitsound beim Decks-Walking. Die Sonne lacht dazu: auf jetzt 41°N und 53°W bei angenehmen 25 Grad – mit steigender Tendenz. Weit hinter dem westlichen Horizont indes stöhnen die New Yorker unter der Sommerhitze. Während der Kapitän die Bord-Badesaison offiziell für eröffnet erklärt: bei angenehmen 26 Grad im atlantischen Meerwasser-Wellen-Pool, der sich in den kommenden Tagen bis zu 31 Grad aufheizen soll.

Zwischen Transsilvanien und Südseeinseln
Bomben-Suche und Piraten-Alarm am Nachmittag. Aber nur zur Übung, denn die Vorschriften verlangen ständiges Sicherheits-Training. Was nicht perfekt gelaufen ist, kritisiert Erster Offizier Vilnis Kaudze konsequent-freundlich im anschließenden Briefing, verteilt aber auch Lob. „Nur so kann man motivieren, nicht indem man rumbrüllt”, lautet sein pädagogisches Credo.
Zeit für Bootsmann Volodymyr Konkov, auf dem Poop-Deck den Grill anzuheizen. Schon tags zuvor hat Smutje Udara leckere Salate und mariniertes Fleisch vorbereitet. Der Kapitän spendiert die Getränke. Das Barbecue, kurz BBQ genannt, kann steigen. Einmal pro Reise. „Die Grill-Party ist jedes Mal ein Höhepunkt für uns alle”, weiß Denis Pankratov. Wir delektieren uns an Shrimps, Würstchen, Steaks, Thunfisch, Puten- und Hähnchenschnitzel mit diversen Dips und Salaten. „Auf die Sattmacher verzichte ich da lieber”, gesteht der sportliche Kapitän und packt sich noch mal gegrillte Shrimps pur auf den Teller. Eine lockere Bier-Runde, bei der alle auftauen. Vom rumänischen Dritten Ingenieur Daniel und seinem Landsmann Marian erfährt man haarsträubende Schauergeschichten aus Graf Draculas Reich Transsilvanien und über das Herumgeistern von an Bord Verstorbenen, aber auch über das von Korruption geprägte Leben in ihrer Heimat. Die Kiribatis freuen sich nach elf Monaten Seefahrt auf ihre Südseeinseln, wo die Familien von Fischfang und bescheidener Landwirtschaft für den Eigenbedarf leben. Ihre Lieder zeugen von starker Sehnsucht nach der fernen Heimat. Meint der Chief grinsend dazu: „Wenn nach drei Wochen der Streit mit der Frau anfängt, wird’s wieder Zeit, auf See zu gehen”.

Der alte Mann und das Meer
„Land in Sicht!” meldet der Ausguck nach zehn Seetagen. Um 19 Uhr ist die Südspitze der Bahamas-Insel Great Abaco Island mit ihrem Leuchtturm querab. „Glückwunsch zur Atlantik-Passage!”, grinst Kapitän Pankratov, „jetzt geht’s in den Golf von Mexiko”. Der empfängt NORDISABELLA mit Regenschauern, Gegenstrom und Wind. Keineswegs traumblau, sondern nordseegrau, aber jahreszeitlich in der Regenzeit typisch.
Voraus schieben sich zwei hellbeleuchtete Kleinstädte ins Bild. Kreuzfahrtschiffe aus Miami auf Bahamas-Kurs. Drüben zelebrieren sie vermutlich gerade den Captains-Empfang mit tausendfachem Händeschütteln und Smalltalk. Auf der NORDISABELLA hingegen hat man „den Alten” nicht nur als Nachbarn, sondern auch täglich drei Mal am Tisch.
Bis zum nächsten Morgen dampft der Frachter durch den New Providence Channel und biegt dann nach Backbord ab in die Florida Straße an den berühmten Keys entlang, auf deren äußerster Insel Key West der Autor des Romans „Der alte Mann und das Meer” lebte, Ernest Hemingway. Pünktlich um 19 Uhr, nach zwei Wochen auf See, kommt der erste Hafen in Sicht: Altamira. Voraus die funkelnden Lichter des Industriegebiets, links und rechts verlockende Strände mit Lagunen und Dünen. Hinter Tampico, der berühmten Nachbarstadt, flackern die Fackeln von Ölraffinerien in den Nachthimmel, der zusätzlich von grell zuckendem Wetterleuchten im Sekundenabstand erhellt wird. Im Hinterland ragt die dunkle Mauer einer Bergkette auf.
„Altamira traffic, this is motorvessel NORDISABELLA calling”, meldet sich der Kapitän an, und eine Stunde später steigt der Lotse über. Zwei Schlepper assistieren, drehen und bugsieren NORDISABELLA an ihren Liegeplatz. Um 21.30 Uhr sind alle Leinen fest. Ein Containerkran schiebt sich fiepend übers Vorschiff, das Laden und Löschen beginnt. Für Kapitän und Offiziere eine kurze Nacht. Landgang? Nicht dran zu denken.
Plötzlich ungewohnte Stille am nächsten Abend: Maschine Stopp – auf hoher See. „Wir haben Zeit”, erklärt der Kapitän völlig unaufgeregt, „da lassen wir uns einfach mal treiben”.

Bienvenidos en Veracruz, dem wahren Kreuz
Irgendwann in der Nacht geht wieder das vertraute Grummeln durchs Schiff. Mit Schleichfahrt wird am frühen Morgen Veracruz angesteuert.
„Buenos dias!”, wünscht der Wachmann freundlich, „bienvenodos, willkommen im wichtigsten Atlantik-Hafen Mexikos!” In Steinwurfnähe die 333 Jahre alte Festung San Juan de Ulúa. Die gewaltigen grauen Mauern, verrät der Wächter, dienten einst zum Schutz vor Piraten, als die Spanier von Veracruz, der ältesten spanischen Siedlung auf dem amerikanischen Kontinent – sie wurde am Karfreitag 1519 gegründet als „wahres Kreuz, vera cruz” – Silber und Gold abtransportierten. Heute ist Veracruz Auto-Ausfuhrhafen, sichtbar an großen kastenförmigen RoRo-Transportern. Sie holen auch die im VW-Werk Puebla am Fuß des Vulkans Popocatepetl produzierten Beetles ab, die Nachfolger des legendären Käfers.
Ein paar Brocken Spanisch können hilfreich sein, um die nicht gekennzeichnete Bushaltestelle zu finden. „Al centro – ins Zentrum?” Für 50 US-Cents geht’s dann los, nachdem ein junger Mann den richtigen Bus herangewinkt hat. Überraschung im klapprigen Gefährt: Ein Gitarren-Gesangs-Duo stimmt auf den Landgang ein. Nicht mit dem Welthit „La Bamba”, der als Volkslied schon 1683 hier entstand, aber so ähnlich.
An der Placa Malecon ist man nach kurzer Fahrt drin in der lebendigen, aber erstaunlich ruhigen Altstadt. Beim Rundgang sollte man sich wie NORDISABELLA einfach treiben lassen: vom Palacio Municipal, dem Rathaus, mit stolzen VIVA MEXIKO-Riesenlettern, schneeweißer Kathedrale, schattigen Arkaden, kilometerlanger Hafenpromenade samt Blick auf NORDISABELLA, Alexander-von-Humboldt-Statue und Mole – bis zum romantischen Tequila-Absacker unter Palmen vor einer Hafenkneipe.

Auf zum Fortschritt!
Zwei Nächte und ein Tag auf See, bis die Küste der Halbinsel Yukatán frühmorgens in Sicht kommt. „Nur 200 Container-Bewegungen diesmal”, sagt der Erste Vilnis Kaudze, „dann könnten wir um 15 Uhr ablegen”. Von der Crew hört man, dass sich der Landgang nicht lohne. Aber keiner hat sich bisher selbst ein Bild gemacht. Alle müssen sowieso arbeiten, obwohl Sonntag ist. Da verdrängt man lieber den Gedanken.
Der Torwächter empfängt einen – trotz kurzer Hosen und Sandalen – strahlend mit Handschlag und kündigt auch schon den Bus an. Nach 15 Minuten über die acht Kilometer lange Mole – sie ist damit eine der längsten weltweit – hält das klapprige Vehikel im Zentrum der 40.000-Einwohner-Stadt Progreso oder zu Deutsch: Fortschritt. Offiziell hat sie den Zusatz „de Castro” zu Ehren des gleichnamigen Hafenerbauers.
Einstöckige bunte Häuser, manche noch mit den typischen umlaufenden hölzernen Balustraden, dominieren die um das Rathaus rechtwinklig angelegte Altstadt. Gemächlich geht das Leben im schwülheißen karibischen Klima. Da schenkt man sich auch die beiden 20 Kilometer entfernten Maya-Ruinen. Die Zeit wäre ohnehin knapp geworden. An einem Stand werden Souvenirs angeboten, darunter auch furchterregend aufgerissene Hai-Gebisse. Davon sollte man sich nicht schrecken lassen und den Strand ansteuern, ehe es, trotz Meeresbrise, mit 40 Grad unerträglich heiß wird. Schneeweiß, palmengesäumt und kilometerlang ist er. Hinein in die klaren türkisfarbenen Fluten, die mit 31 Grad auch keine rechte Abkühlung bringen.

Mit Straßenmonster an Bord
Zurück zum Containerterminal geht um die Mittagszeit natürlich kein Bus. Aber schwere Lastzüge rollen in nicht abreißen wollender Kolonne über die Mole. Zu Fuß, in der mörderischen Hitze? Keine gute Idee. Aber man könnte ja am Tor mal einen Fernfahrer ansprechen. Es klappt tatsächlich, obwohl „Mitfahrt eigentlich verboten”, wie einer der Schrankenwärter sagt. Das Gefährt, in dessen Führerhaus man neben einem „Kapitän der Landstraße” sitzt, kann sich sehen lassen: 35 Meter lang, neun Achsen, 32 Räder, 550 PS, 18 Gänge, 55 Tonnen Sojaschrot in den Trailern.
Pünktlich um 15 Uhr legt der Frachter ab und quirlt dabei den hellen Sand im Hafenbecken wie zu riesigen Quellwolken gewaltig auf, die zu denen am blauen Himmel kontrastieren.
Als der Lotse von Bord gegangen ist, gibt der Kapitän die vorgeschriebene Anweisung, NORDISABELLA in allen karibischen Häfen nach blinden Passagieren und Drogen zu durchsuchen. „Negativ!”, kann gemeldet und die 1.124 Seemeilen lange Reise nach Costa Rica angetreten werden.
Den nächtlichen Kurs unter der Milchstraße haben anscheinend Bohrinseln abgesteckt, die Mexikos Gold von heute fördern. Ihre Gasfackeln und Scheinwerfer konkurrieren mit den funkelnden Sternen.

Moin, Moin, nur anders
Wie geplant rauscht der Anker um 10 Uhr in den Grund. Vor einer sattgrünen Urwald- und grau-verhangenen Bergkulisse. Die Zeit bis zum Einlaufen wird für Schiffspflegearbeiten außenbords genutzt: Das heißt Entrosten und Malen. Wobei die Matrosen wie Akrobaten auf Stellagen über dem Wasser sitzen oder stehen, während ihre Kollegen an Deck sie an Leinen absichern.
Sechs weitere Frachter liegen schon auf Reede und nicken im Schwell, von der starken Küstenströmung ständig in die gleiche Richtung gedrückt. Sie warten darauf, dass einer der vier Liegeplätze im kleinen Hafen frei wird. Das brauchte Kolumbus nicht, als er im September 1502 auf seiner vierten Reise hier landete. Im September 2016 indes ruft der Erste Offizier nur „Alle Mann auf Manöverstation!”. Der Lotse kommt vor Anstrengung keuchend auf die Brücke, lässt das Schiff drehen und präzise rückwärts einparken.
Wer von Bord aus zusehen möchte, wie Bananen oder Ananas verladen werden, der ist in Moin – nicht etwa benannt nach dem norddeutschen Allerweltsgruß – genau richtig. Ansonsten: für 10 US-Dollar pro Strecke ein Taxi nach Puerto Limon chartern. Nur mit Schutzhelm, Warnweste, Shore Pass und ID card schafft man hier die strengen Kontrollen am Gate. Die ISPS-Sicherheitsvorschriften werden eng ausgelegt.
Puerto Moin ist keine Stadt im eigentlichen Sinne, sondern nur ein Hafengebiet, wo Frachter anlegen. Es gibt darüber hinaus kaum Infrastruktur wie etwa Restaurants oder Märkte. Die und noch mehr gibt’s reichlich in der 100.000-Einwohner-Nachbarstadt Puerto Limon, die auch von Kreuzfahrtschiffen angelaufen wird. Fortsetzung folgt in Ausgabe 2/2018 am 1. März.

18118 NORDISABELLA PSW 05 Das Eurogate Terminal bekommt neue Container Kraene aus China von einem SchwergutfrachterDas Eurogate Terminal HH bekommt neue Container Kräne aus China von einem Schwergutfrachter.

18118 NORDISABELLA PSW 09 Blick auf das Vorschiff mit Blankenese an SteuerbordBlick auf das Vorschiff mit Blankenese an Steuerbord.

18118 NORDISABELLA PSW 12 Die weitlaeufige Bruecke mit Blankenese BlickDie weitläufige Brücke mit Blankenese-Blick.

18118 NORDISABELLA PSW 17 Blick ueber den Kartentisch auf den KommandostandBlick über den Kartentisch auf den Kommandostand.

18118 NORDISABELLA PSW 19 Dritter Offizier haelt Ausguck waehrend der Unterelbe RevierfahrtDritter Offizier hält Ausguck während der Unterelbe-Revierfahrt.

18118 NORDISABELLA PSW 21 Lotsentender DUHNEN ist laengsseits bei Elbe ILotsentender DUHNEN ist längsseits bei Elbe I.18118 NORDISABELLA PSW 27 Ruhe nach dem Nordatlantik SturmRuhe nach dem Nordatlantik Sturm.

18118 NORDISABELLA PSW 33 Zweiter Ingenieur Ignazio Ramirez kontrolliert die HauptmaschineZweiter Ingenieur Ignazio Ramirez kontrolliert die Hauptmaschine.

18118 NORDISABELLA PSW 37 Zweiter Ing Chief und Fitter vlnr im MaschinenkontrollraumZweiter Ingenieur, Chief und Fitter – vlnr – im Maschinenkontrollraum.

18118 NORDISABELLA PSW 66 Der srilankanische Smutje in seinem blitzenden KombuesenreichDer srilankanische Smutje in seinem blitzenden Kombüsenreich.

18118 NORDISABELLA PSW 67 Es ist eingedeckt zum Lunch rechts der Steward mit Zweitem IngenieurEs ist eingedeckt zum Lunch. Der Zweite Ingenieur und der Steward.

18118 NORDISABELLA PSW 69 Der Kapitaen geht Baden im Meerwasser Bord PoolDer Kapitän geht Baden im Meerwasser-Bord-Pool.

18118 NORDISABELLA PSW 70 Bootsmann Volodymyr heizt den Barbecue Grill anBootsmann Volodymyr heizt den Barbecue-Grill an.

18118 NORDISABELLA PSW 71 Das reichlich gedeckte Grill Buffet mit Kapitaen Smutje und OffizierenDas reichlich gedeckte Grill-Büffet mit Kapitän, Smutje und Offizieren.

18118 NORDISABELLA PSW 96 Bord Impressionen Die schweren Festmacherleinen mit dem VormastBord-Impressionen – Die schweren Festmacherleinen mit dem Vormast.

18118 NORDISABELLA PSW 97 Blick vom Vormast auf das Vorschiff mit AnkerwindeBlick vom Vormast auf das Vorschiff mit Ankerwinde.

18118 NORDISABELLA PSW 109 erster Ausblick auf die 333 Jahre alte Festung San Juan de Ulua direkt hinter dem Heck in Veracruz MexikoErster Ausblick auf die 333 Jahre alte Festung San Juan de Ulúa direkt hinter dem Heck in Veracruz, Mexiko.

18118 NORDISABELLA PSW 115 Das schlossartige Hafenverwaltungs Gebaeude mit altem Leuchtturm in Veracruz MexikoDas schlossartige Hafenverwaltungs-Gebäude mit altem Leuchtturm in Veracruz, Mexiko.

18118 NORDISABELLA PSW 118 Veracruz Mexiko feiert mit NORDISABELLA und Fort im HintergrundVeracruz feiert mit NORDISABELLA und Festung im Hintergrund.

18118 NORDISABELLA PSW 120 Denkmal fuer die Hafenerbauer von Veracruz MexikoDenkmal für die Erbauer des Hafens von Veracruz.

18118 NORDISABELLA PSW 131 Freiheitsdenkmal vor dem Rathaus von Progreso Yukatan MexikoFreiheitsdenkmal vor dem Rathaus von Progreso, Yukatan, Mexiko.

18118 NORDISABELLA PSW 135 Unter Palmen am schoenen Strand von Progreso Yukatan MexikoUnter Palmen am schönen Strand von Progreso.

18118 NORDISABELLA PSW 139 Container wird in Progreso Yukatan Mexiko vom Truck aufs Schiff gehobenContainer werden in Progreso von Trucks aufs Schiff gehoben.

18118 NORDISABELLA PSW 141 Lotse beraet die Schiffsfuehrung beim Auslaufen von Progreso Yukatan MexikoDer Lotse berät die Schiffsführung beim Auslaufen von Progreso, Yukatan, Mexiko.

18118 NORDISABELLA PSW 155 Der Hafen Puerto Moin Costa Rica mit einem Tanker und zwei BananenfrachternDer Hafen Puerto Moin, Costa Rica, mit einem Tanker und zwei Bananenfrachtern.

18118 NORDISABELLA PSW 158 Kapitaen prueft den Heck Abstand beim Einlaufen in Puerto Moin Costa RicaKapitän Denis Pankratov prüft den Heck-Abstand beim Einlaufen in Puerto Moin, Costa Rica.

18118 NORDISABELLA PSW 178 Stadtpark mit Luftwurzeln in Puerto Limon Costa RicaAusflug nach Puerto Limon: Stadtpark mit Luftwurzeln.