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Die AUGUSTA VICTORIA, aus „Album von Hamburg” um 1890.

Die AUGUSTA VICTORIA, aus „Album von Hamburg” um 1890.

Quelle: Unbekannter Künstler


Dieter Bromund

Der Herr Direktor lädt zur Lustfahrt ein

Eine Idee und ihre Folgen

1888 war das Jahr der jungen Männer und der neuen Ideen. Wilhelm wurde mit 29 Jahren Deutscher Kaiser und König von Preußen, in Hamburg wurde der 31-jährige Albert Ballin in den Vorstand der hoch angesehenen Hamburg-Amerikanischen-Packet-Actien-Gesellschaft, der Hapag, berufen. In Stettin lief der erste Zweischraubendampfer der Reederei von Stapel, ein Schiff ganz nach dem Geschmack des Kaisers. Es wurde auf den Namen seiner Frau AUGUSTA VICTORIA getauft und stellte bereits auf der ersten Reise am 10. Mai 1889 einen neuen Rekord auf: von Queenstown (dem heutigen Cobh in Irland) nach New York brauchte der Luxusdampfer ganze 6 Tage und 8 1/2 Stunden. Man jubelte. Doch wer die Zahlen kannte wie der neue Herr Direktor, fürchtete den Winter auf dem stürmischen Nordatlantik. Wer irgend konnte, reiste in dieser Zeit nicht, Passagierdampfer verkehrten nur gering ausgelastet zwischen New York und Europa.

Wann dem jungen Vorstand der Gedanke kam, mit wem er die Idee abstimmte und welche Widerstände er überwinden musste, ist nicht überliefert: Er wollte das luxuriöseste Schiff der Hapag in trüben Winterwochen der Sonne ins leuchtende Mittelmeer folgen lassen. Die AUGUSTA VICTORIA sollte als schwimmendes Hotel Gäste zu den Orten bringen, die Bildung und Mode als Ziele ausgewählt hatten, zwischen Pyramiden im Wüstensand und der Akropolis in Athen, den Säulen des Herkules und dem Bosporus. Zwei Monate sollte die Reise dauern.

In Cuxhaven starteten 140 Passagiere, in Southampton stiegen 20 dazu, weitere 70 in Genua. Sie wollten die Passage der gefürchteten Biscaya vermeiden. Der Preis der Reise war astronomisch: für 2.400 Goldmark konnte man im deutschen Kaiserreich damals ein Haus bauen. Wer also diese Reise mitmachte, war schlicht sehr reich oder ein wichtiger Meinungsmultiplikator. Das „Literarische Büro”, wie damals die Werbeabteilung und Pressestelle der Hapag hieß, lud Redakteure einflussreicher Zeitungen, Fotografen und einen Zeichner ein. Sie kamen gern und schrieben, fotografierten und zeichneten. Jeweils zwei Presseleute teilten sich eine kleine Kabine, aber das tat der Freude keinen Abbruch. Christian Wilhelm Allers’ Buch über die erste deutsche Kreuzfahrt „Backschisch” wurde damals zwar nur in einer Auflage von 200 Exemplaren gedruckt, ist aber als Nachdruck heute noch erhältlich.

Per Zug von Hamburg nach Cuxhaven

140 Menschen fuhren mit einem Sonderzug auf der damals einspurigen Strecke von Harburg nach Cuxhaven und begegneten in Himmelpforten dem Zug Seiner Majestät, der von einer Besichtigung Cuxhavens nach Berlin zurückkehrte. In Cuxhaven hatte er die dort wartende AUGUSTA VICTORIA besichtigt und Maß nehmen lassen für ein Bild seiner Gemahlin, das einen Saal im Schiff schmücken sollte. Auf der AUGUSTA VICTORIA werden sich die Majestät und der Direktor zum ersten Mal begegnet sein. Was aus der Begegnung entstand, halten einige Bücher fest. Der „Reeder des Kaisers” baute die größte Reederei der Welt auf, wurde zu Privataudienzen zum Kaiser nach Potsdam eingeladen und Allerhöchstderselbe, wie die Presse schrieb, besuchte den Generaldirektor der Hapag immer wieder mal in seiner Villa in Hamburg. Ballin schied aus dem Leben, als der Kaiser abdankte.

Seereisen bleiben immer begehrt

Doch die Idee des Direktors erwies sich als unsterblich. Zwar beendete der Ausbruch des Ersten Weltkriegs alle Lustreisen, und auch nach dem Frieden von Versailles war deutsche Seefahrt in Not. Unter der Diktatur der Nazis durften verdiente Bürger auf Passagierdampfern wie etwa der WILHELM GUSTLOFF, die Nordlandreisen machte, Kraft durch Freude tanken. Und zu Zeiten der DDR fuhr die VÖLKERFREUNDSCHAFT mit treuen Parteimitgliedern nur sichere kommunistische Länder an, in die niemand fliehen wollte.

In den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts ging’s im freien Teil Deutschlands wieder los mit dem, was Ballin zum ersten Mal ausprobiert hatte. Einer der ersten, der die Kreuzfahrt wiederbelebte, war ein Mann mit dänischen Wurzeln: Axel Bitsch Christensen. Er entwarf und vermarktete ein Schiff, das als Hotel großzügig konzipiert war und als MAXIM GORKIJ bei Phoenix Reisen seine Fahrten beendete, von vielen betrauert.

Ein Gedanke mit Zukunft

Ballins Grundgedanke war genial und darum einfach. Er hatte ein sehr gutes Produkt, eine perfekte Dienstleistung, einen glänzenden Namen und brauchte nur noch genügend Abnehmer. Die fand er im Deutschen Reich, das in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts eine Wirtschaftsblüte ohne gleichen erlebte. Der deutsche Kaiser, Enkel von Queen Victoria, sah die wachsende Weltgeltung des Reiches auf dem Wasser. Knaben und Mädchen wuchsen in Matrosenanzügen und entsprechenden Kleidern auf, in der kaiserlichen Marine konnten auch Bürgerliche als Offiziere Karriere machen – also: Auf und zur See fahren.

Die Lustfahrt, zu der der Herr Direktor eingeladen hatte, zeigte damals bereits alle typischen Merkmale einer heutigen Kreuzfahrt. Sie bot dem Gast ein Willkommen wie zu Hause, der gewohnte Standard und Lebensstil des Gastes wurde gewahrt und in Teilen sogar übertroffen. Er wurde verwöhnt und rundum bedient. Essen und Trinken übertrafen das von zu Hause Gewohnte deutlich – an Qualität und an Frequenz. Man aß praktisch immer. So gut wie jeder Mann hatte trotz Verbot der Gesellschaft seinen eigenen Schnaps mit an Bord gebracht. Es gab dort keine Langeweile. Ausflüge, vorgebucht oder auf eigene Faust, starteten in jedem Hafen. Für Unterhaltung sorgte schon damals eine eigene Kapelle. Es fanden Tanzabende und Aufführungen statt.

Kleine Gruppen, in denen man Karten spielte, bildeten sich bald. Eine Bordzeitung meldete Tagesneuheiten von Land und vom Schiff. In Ausstellungen präsentierten Gäste eigene Fotos, die zu Gunsten der Mannschaft versteigert wurden. Der Kapitän war ein Herr zum Anfassen. Man zog zum Abendessen als Herr seinen Abendanzug an, damals den Frack, und bestellte am blumengeschmückten Tisch nach wechselnden Speisekarten. Der Arzt an Bord betreute Leidende. Noch nicht im Griff hatte man die Seekrankheit. Stabilisatoren, die Schlingern und Stampfen dämpfen, waren noch nicht erfunden, auch die Pillen warteten noch auf ihre Entwicklung. Der Herr Direktor mit Gemahlin hatte einen Inspektor dabei, vermutlich einen Mann, der alles Gewünschte in Gang setzte und verfolgte.

Die Ausführenden …

Woher nahm Ballin das Personal für all diese Verwöhnaktionen? Auf die 230 Passagiere, die schließlich auf der AUGUSTA VICTORIA fuhren, kam eine Besatzung von 333, vom Kapitän bis zum Heizer, Musiker eingeschlossen. Das Verhältnis Crew zu Gästen war mit 333 zu 230 unerhört luxuriös.

Die Reederei Hapag beschäftigte die gesamte Crew. Ballin musste also für seine erste Lustfahrt niemanden einstellen, er dirigierte ein voll funktionierendes Schiff nur um. Statt nach New York fuhr man auf dieser Reise von Cuxhaven nach Southampton, Gibraltar, Genua, Alexandria, Jaffa, Beirut, Constantinopel, nach Piräus, Malta, Palermo, Neapel, nach Lissabon und zurück nach Hamburg – eine Route, die auch heute noch gefahren werden könnte.

Inzwischen ist zwar das Denken in der Kreuzfahrt das gleiche geblieben, aber die Ausführung ist sehr viel differenzierter geworden. Was der Herr Direktor damals allein mit seinem Inspektor bewältigen konnte, beschäftigt heute sehr viel mehr Männer und Frauen – von denen die wenigsten Angestellte des Veranstalters sind.

Auch unter Heutigen herrscht noch ein Bild von der Seefahrt vor wie zu Ballins Zeiten. Damals gab es Reeder, die ein Schiff besaßen, einen Kapitän verpflichteten, der es führen durfte und konnte, und der einen Heuerbaas fand, der ihm an Land Offiziere und Matrosen verpflichtete. Und Makler gehörten dazu, die in fremden Häfen das Schiff betreuten. Soweit die allgemeine Vorstellung. Doch schon Ballin war nicht selber Reeder, sondern Angestellter einer Reederei, die Aktionären gehörte. Die wichtigsten Gründer und Anteilseigner der Hapag waren Hamburger Kaufleute oder Reeder wie Heinrich Johann Merck, Adolph Godefroy, August Bolten und Friedrich Laeisz, der Herr der Flying P-Liners.

Wenn heute zur Begrüßung der Gäste an Bord in die größte Lounge gebeten wird und gut gekleidete Damen und Herren auf die Bühne marschieren und vorgestellt werden, sind die meisten von ihnen nicht Angestellte des Veranstalters der Reise. Beim Koch ist die andere Zugehörigkeit sofort sichtbar. Hotelchef, Zahlmeister, Schiffsarzt, Ingenieur und alle Offiziere einschließlich Kapitän tragen bei solchen Anlässen meist Galauniform, also weiß mit Fliege oder blau mit goldenen oder silbernen Streifen am Ärmel, in der sie sich von allen anderen auf der Bühne unterscheiden. Sie gehören zum Schiff, aber nicht zum Veranstalter. Nur die Damen und Herren in Zivil – etwa in türkisfarbenem Blazer und weißem Rock oder weißer Hose – gehören zum Veranstalter wie beispielsweise Phoenix Reisen, vom Kreuzfahrtdirektor bis zum jüngsten Ausflugsbegleiter. Auf manchen Flussschiffen ist der Veranstalter nur durch einen einzigen Herrn oder eine Dame vertreten.

… und ihre Arbeitgeber

Wenn man genau hinschaut, dann wehen am Heck der Schiffe unbekannte Flaggen, wo man etwa Schwarz-Rot-Gold erwarten könnte. Was ist los mit der deutschen Kreuzfahrt?

„Nach Recherchen der Wochenzeitung ‚Die Zeit’ und der New Yorker Columbia University fährt kein einziges der 27 Hochseekreuzfahrtschiffe, die von deutschen Anbietern betrieben werden, unter deutscher Flagge”, schreibt der Weserkurier am 19. August 2016. Elf Schiffe seien in Italien, sieben auf Malta, acht auf den Bahamas und ein Schiff auf den britischen Bermuda-Inseln registriert. Der Grund: diese Staaten bieten den Reedern große Steuervorteile – und wer wollte die im harten Konkurrenzkampf nicht nutzen?

Die Schifffahrt hat sich seit Ballins Tagen gründlich geändert. Schiffe gehören heute gelegentlich noch einer Person, häufiger aber anonymen Besitzern, Fondsgesellschaften zum Beispiel, wie der Premicon Gruppe, die mit dem Vermieten von Schiffen, was nicht mit dem Vermarkten gleichzusetzen ist, Geld verdienen. Ihr Name taucht in glanzvollen Prospekten selten auf. Scylla, Baseler Reeder, erscheint häufiger. Zu Ballins Zeiten besaß man ein Schiff, heute chartert man es, mietet es also für bestimmte Zeiten von anderen Unternehmen. Je nach Länge des Vertrags und dem ausgehandelten Preis kann der Mieter bestimmen, wie das Schiff innen und außen aussieht. Am Schornstein ist die Zugehörigkeit zu einer Reederei oder zu einem Veranstalter am leichtesten zu erkennen.

Um das Schiff zum Fahren zu bringen, braucht man eine nautische Mannschaft für Brücke und Maschine. Auch die kann man heute von Spezialfirmen mieten. Dem reisenden Laien kaum bekannt sind solche Unternehmen wie etwa die V. Group Limited und ihre Tochter V-Ships mit Sitz auf der britischen Insel Isle of Man. Das Unternehmen in Privathand bereederte 2008 eine Flotte von über 1.000 Schiffen mit über 24.000 Personen an Bord – mit 1.600 Mitarbeitern in weltweit 70 Büros an Land.

Spezialisten sind gefragt

Wer ein Schiff in der Kreuzfahrt einsetzen will, braucht noch mehr Menschen, um alle Notwendigkeiten an Bord zu erfüllen und noch etwas draufzulegen, um Kunden zu binden. Diesen Bedarf zu stillen, ist Aufgabe von Unternehmen wie beispielsweise sea chefs in Hamburg. Das Unternehmen beschäftigt in aller Welt 8.000 Mitarbeiter auf über 50 Schiffen, die sie mit Hilfe von 150 Männern und Frauen von Hamburg und Berlin, von Basel und Zug in der Schweiz und von Limassol auf Zypern aus einsetzen und betreuen. Zu ihren Kunden zählen namhafte Veranstalter von Kreuzfahrten wie Hapag-Lloyd Cruises, TUI Cruises, Phoenix Reisen, All Leisure/ Swan Hellenic, All Leisure/ Voyages of Discovery, Salén Ship Management / Noble Caledonia und Quark Expeditions auf See. Auf den Flüssen sind es AmaWaterways, Lüftner Cruises, Rijfers River Cruises, Scylla AG, Travelmarvel / APT, Princess Rivercruises, Phoenix Reisen, River Man AG und Select Voyages AG.

Die Unternehmen treten im Markt auf ihre eigene Weise auf, haben ihre eigene Klientel und betreuen sie an Bord nach eigenem Stil. Wie kann ein Dritter wie sea chefs solche unterschiedlichen Bedürfnisse befriedigen?

sea chefs begann seine Arbeit als Hapag Lloyd 1999 das Hotel Management seiner vier Schiffe MS EUROPA, MS COLUMBUS, MS HANSEATIC und MS BREMEN neu organisieren wollte. Heute entwickeln die sea chefs zusammen mit ihren Kunden und Geschäftspartnern Ideen und Konzepte für alle sieben Weltmeere und zahlreiche Flüsse in Europa und Asien. Die Auflistung der Tätigkeiten mag den Gast an Bord kaum interessieren, doch wenn die nicht klappen, würde jeder Gast es sofort merken. Zu den Tätigkeiten wie die Beratung der Kreuzfahrt- und Fährindustrie zählen neben dem Hotel Management das Catering Management, Supply & Logistik, Spa Management, das administrative Schiffsmanagement und nicht zuletzt Recruiting und Crewing, also der Bereich Human Resources.

„Wir sind weder ein vermittelndes Unternehmen noch eine Agentur”, heißt es bei sea chefs in Hamburg, „sondern Arbeitgeber der Crew an Bord der Schiffe.” Arbeitgeber also für 8.000 Mitarbeiter, vermutlich einer der unbekanntesten in Deutschland.

Die Welt als Quelle

Rekrutiert wird in der ganzen Welt, im Internet gibt es aktuelle Stellenangebote, ausführliche Informationen und Filme über die Jobs an Bord. Ergänzt wird das Suchen von Mitarbeitern durch Teilnahme an Messen oder Besuche in Fachschulen. Wer sich bewirbt, muss über gute bis sehr gute Deutschkenntnisse verfügen.

Doch diese Rohdiamanten müssen zum Strahlen gebracht werden. Die Verantwortung dafür, dass alle Standards der Kunden erfüllt werden, liegt ausschließlich bei sea chefs. Welche Standards gelten, vereinbaren sea chefs und ihre Kunden, also Reeder oder Charterer, vorher vertraglich.

Das heißt, an Bord werden die Mitglieder der Crew von sea chefs sorgfältig in das zu erbringende Produkt und die Besonderheiten des Kunden eingearbeitet.

So genannte Operations Manager von sea chefs sind regelmäßig auf Schiffen, um sicher zu stellen, dass die gewünschten Standards eingehalten und umgesetzt werden.

Selbstverständlich gehört zur Arbeit von sea chefs, mit den Mitarbeitern auch in ihrer Urlaubszeit von durchschnittlich etwa zwei Monaten im Jahr Kontakt zu halten. Gute Leute möchte man nach ihrem Urlaub gern wiederhaben.

Der Herr Direktor würde sich heute wundern über das Ausmaß, das seine einstigen Lustfahrten angenommen haben und die Zahl der Menschen, die sie beschäftigen. Doch erfreut würde er sicherlich feststellen, dass sein Wunsch immer noch erfüllt wird: Zufriedene Gäste zu haben, die gern wieder an Bord kommen.

Erinnerungen an die Reise der AUGUSTA VICTORIA in den Orient.

Erinnerungen an die Reise der AUGUSTA VICTORIA in den Orient. Zeichnung: Christian Wilhelm Allers

Kapitän Barends (auf der Höhe von St. Vincent).

Kapitän Barends (auf der Höhe von St. Vincent).

Zeichnung: Christian Wilhelm Allers

Kaisers Geburtstag an Bord, der Herr Direktor Ballin hält den Kaisertoast.

Kaisers Geburtstag an Bord, der Herr Direktor Ballin hält den Kaisertoast.

Zeichnung: Christian Wilhelm Allers

Abschied von den Reisekollegen in Neapel. Die Reise endete aber erst viele Tage später in Hamburg.

Abschied von den Reisekollegen in Neapel. Die Reise endete aber erst viele Tage später in Hamburg. Zeichnung: Christian Wilhelm Allers

Alle Illustrationen sind aus dem Buch: Backschisch”, Verlag Pro Business, www.book-on-demand.de, ISBN: 978-3-86805-159-9

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