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Meerengen Ausgabe 1-2015 

hr

 

Harald Krachler

Meerengen Bosporus und Dardanellen – gestern, heute, morgen

Eine Süd-Nord-Passage des Bosporus aus der Sicht eines Lotsen

Istanbul – „Unser” Schiff wartet vor dem Südeingang des Bosporus im Angesicht der südlichen Stadtteile Istanbuls auf dem europäischen und asiatischen Ufer, zusammen mit einigen weiteren – Handelsschiffe, Öltanker und Personendampfer – auf das Signal VIRA (Anker lichten – im Gegensatz zu FUNDA, was „Vor Anker gehen” bedeutet). Beide Kommandos gehen auf die Venezianer und Genuesen zurück, die Jahrhunderte lang in den Gewässern um Konstantinopel/Istanbul operiert hatten.  

Vor  dem auf dem asiatischen Ufer gelegenen Vorort Kadiköy (dem antiken Chalkedon) nähert sich unserem Schiff ein Motorboot, ihm entsteigt der Lotse, erklettert das Schiff und wird auf dem Hauptdeck von der Schiffsbesatzung begrüßt, um dann seine Aufgabe auf der Kommandobrücke – Kapitän und Steuermann neben ihm – aufzunehmen. Auch wenn Kapitäne durchaus in der Lage wären, ihre Schiffe allein durch die Wasserstraße zu steuern, bestehen Versicherungsgesellschaften auf der Anwesenheit von Lotsen während der Passage. Die türkische Regierung verlangt außerdem ein eskortierendes Schleppboot auf Backbord voraus, damit bei einem Ausfall von Maschinen oder dem Steuerruder rasche Manöver möglich sind.

Erste Aufgabe des Lotsen bei einer Süd-Nord-Passage des Bosporus ist, wie dem Autor von einem Berufslotsen, einem Verwandten einer ihm von Wien her bekannten türkischen Familie geschildert wurde, eine scharfe Beobachtung des Fährverkehrs zwischen den Istanbuler Anlegestellen Eminönü bzw. Karaköy auf dem europäischen und Üsküdar und Kadiköy auf dem asiatischen Ufer, der trotz der Existenz zweier stark befahrener Bosporusbrücken nichts an Intensität eingebüßt hat.

Auf Bildschirmen scheint elektronisch der aktuelle Kursverlauf des Schiffes auf, etwaige Kursänderungen werden vom Navigator mit den im Logbuch eingetragenen Linien verglichen, um dann, wie ehedem, mit Kurvenlineal und Stechzirkel auf einer Seekarte eingetragen zu werden. Zwei hüfthohe Magnetkompasse auf jeder Seite der Kommandobrücke stehen bereit für den Fall, dass der elektronisch gesteuerte Kompass ausfallen sollte.

Die elektronisch aufgezeichnete Kurslinie liefert ausreichende Informationen über Wassertiefen, Strömungsrichtungen und -geschwindigkeiten und eingetragene bzw. erforderliche Kursverläufe voraus, aber auch über die Position anderer Schiffe. Besonders Ausflugs- und Vergnügungsboote verkehren oft überraschend und oft lange unbemerkt auf dem Bosporus – sie tauchen, wie der Lotse schilderte, „wie Gänse oder Enten auf dem Wasser auf”.  

Hunderte Fährboote, die den Bosporus entlang fahren oder queren, mögen eigene Berufslotsen haben, eine echte Gefahr für die Schifffahrt auf der Wasserstraße stellen Fischerboote dar. Denn diese starten oft noch bei Dunkelheit von ihren Anlegestellen in Richtung Mitte der vielbefahrenen und fischreichen Wasserstraße, um ihre Fänge zu machen. Am wenigsten beliebt sind bei Fischern passierende Riesentanker wegen ihres Maschinenlärms und verschmutzten Schiffsböden bzw. Kimmen.

Fast wichtiger als der Blick auf elektronische Indikatoren, Radarschirme, Kompass und Tiefenanzeiger usw. ist für den Lotsen der Blick in die Fahrtrichtung, auf Höhe und Bewegungsrichtung der Wellen und auf kleinere Schiffe und Boote, die weit mehr als größere Schiffe den Strömungen und vorherrschenden Winden ausgesetzt sind. Bei jeder Passage des Bosporus muss man daher dem Lotsen zufolge den für das Schiff erforderlichen Kursverlauf „erfühlen” und ihn nicht schon vor Fahrtantritt auf Karten oder Bildschirmen festlegen. Dabei tauchen Fragen auf wie „Trifft man auf Fähren, die Probleme bereiten?” oder „Wie wirkt sich ein Wechsel der Windrichtung auf das Schiff und seinen Kurs aus?”.

Besonders Yachten und Segelboote mit Kapitänen mit „Geschwindigkeitsrausch” muss man mit – oft mehrfach wiederholten – Signaltönen aufmerksam machen, dass man freie Fahrt benötige. Übrigens bringt jeder Lotse für die jeweilige Passage ein Verzeichnis mit, das Aufschluss über augenblickliche Strömungen und Windgeschwindigkeiten gibt, verlässt sich aber hauptsächlich auf seinen Instinkt und seine Erfahrung, erst dann auf Berichte von Berufskollegen, die die Wasserstraße in der Gegenrichtung passiert haben, zuletzt auf schriftliche Unterlagen. 

Sieben Kurswechsel bei Bosporus-Passage nötig

Gleich nördlich von Kadiköy passieren Schiffe auf dem Bosporus den sogenannten Jungfrauenturm, oft auch Leanderturm genannt. Er erinnert an die griechische Sage von Leander, der zu seiner Geliebten Hero schwamm, obwohl die Sage ihn auf die Dardanellen verlegt. Der erste Kurswechsel – 55 Grad nach Steuerbord ‒ erfolgt etwas nördlich von der Einmündung des Goldenen Horns (türkisch Halic) zwischen den Istanbuler Stadtteilen Beyoglu (europäisches Ufer) und Üsküdar (asiatisches Ufer). Der zweite Wechsel ist dann auf der Höhe des am asiatischen Ufer gelegenen Stadtteils Cengelköy mit 30 Grad nach Backbord fällig.

Cengelköy liegt wenige Kilometer nach der ersten Bosporusbrücke (1973 eröffnet), die nach Kemal Atatürk, dem Gründer und ersten Präsidenten der türkischen Republik benannt ist. Hat man dann Belek auf dem europäischen Ufer passiert, gelangt man an eine Stelle, wo der Bosporus seine größte Tiefe aufweist: über 100 Meter, hier erreicht sein von Norden nach Süden fließender Oberstrom auf die größte Geschwindigkeit mit etwa acht Knoten.

Wo der dritte bzw. vierte Kurswechsel erforderlich ist – zwischen Kandili (asiatisches Ufer) und Asiyan (europäisches Ufer) nahe der unmittelbar nördlich der Festung Rumeli Hisari gelegenen, nach Sultan Mehmet II. Fatih, dem Eroberer Konstantinopels benannten zweiten Bosporus-Brücke, befindet sich die schmalste Stelle des Bosporus – 698 Meter. Hier ist ein kompliziertes Doppelmanöver erforderlich: zunächst 45 Grad nach Steuerbord  und danach fast die gleiche Gradzahl nach Backbord. Beträgt die Wendegeschwindigkeit mehr als 25 Grad pro Minute, kann das Auswirkungen auf die Stabilität des Schiffes haben. Jeder Kurswechsel eines Schiffes muss daher in Form glatter, wohl berechneter Schritte voraus kalkuliert werden.

Bei Kanlica Point folgt der fünfte Kurswechsel zurück nach Steuerbord, dann folgt bei Yeniköy der sechste, schärfste Kurswechsel mit 80 Grad nach Backbord, dem bald darauf die Rückkehr nach Steuerbord (siebenter Wechsel) nahe den Untiefen von Umur am asiatischen Ufer gegenüber der kleinen Bucht von Tarabaya folgt. Hierher verlegt die griechische Argonautensage die sogenannten Symplegaden, zwei nicht in der Erde verwurzelte Berghügel, die immer wieder zusammenstoßen und zwischen sich Schiffen nur eine ganz kurze Zeit zum Passieren lassen..

Dann taucht Backbord voraus das von den Byzantinern einst Kledai tou Pontu (Schlüssel zum Pontus, das ist das Schwarze Meer) genannte Kap am europäischen Ufer auf, die Wasserstraße wird allmählich breiter und man gelangt auf das Schwarze Meer hinaus. Kurz vorher hat man noch die Baustelle der dritten Bosporusbrücke passiert, die nach Sultan Selim II. Yavuz (regierte 1512 bis 1520) benannt wird und 2015 für den Verkehr freigegeben werden soll. Hier ist dann die Arbeit des Lotsen zu Ende, er begibt sich auf ein Motorboot, das ihn nach vollendeter Passage auf dem Bosporus wegbringt. Nun kann das Schiff ohne Schwierigkeiten den Kurs auf seinen Bestimmungshafen des Schwarzen Meeres ansteuern.

„Oberstrom” und „Unterstrom” in ertrunkenen Flusstälern

Die zu den meist befahrenen Wasserstraßen der Welt zählenden Meerengen Bosporus und Dardanellen trennen zwei Kontinente – Europa und Asien – und sind als solche in die Mythologie und die Geschichte eingegangen, Jahrhunderte lang haben sie auch die Weltpolitik beschäftigt. Geomorphologisch sind beide entweder durch Senkung oder gestiegenen Meeresspiegel nach der letzten Eiszeit ertrunkene Flusstäler.

Aus dem Schwarzen Meer fließt ein kräftiger „Oberstrom” durch den Bosporus in das Marmarameer und von dort etwas abgeschwächt durch die Dardanellen in die Ägäis und damit in das Mittelmeer. In etwa 40 Meter Tiefe fließt ein schwächerer „Unterstrom” durch die Meerengen in die entgegengesetzte Richtung. Bedingt ist das durch die Tatsache, dass der Wasserspiegel des Schwarzen Meeres um einen Meter höher liegt, als die südlich von ihm gelegenen Meere, aber auch dadurch, dass der Salzgehalt im Mittelmeer etwa doppelt so hoch ist wie im Schwarzen Meer und das Mittelmeerwasser damit eine höhere Dichte aufweist. Das Mittelmeer nennt man ein „arides” (trockenes) Meer, weil hier die Verdunstung den Wasserzufluss aus dem Atlantik durch die Straße von Gibraltar und die einmündenden Flüsse übersteigt.

Umgekehrt ist es beim Schwarzen Meer, wo der Wasserzufluss von Donau, Dnjepr, Dnjestr, Don, Östlichen Bug, Kizilirmark und Sakarya den Verdunstungskoeffizienten übersteigt und zu einem Wasserüberschuss von jährlich etwa 300 Kubikkilometer führt. Dieses überschüssige Wasser gelangt durch die Meerengen mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von etwa drei Knoten, stellenweise auch acht Knoten über die Ägäis in das Mittelmeer.

Bosporus in Sage, mittelalterlichen und neuzeitlichen Beschreibungen

Schon in antiken Sagen wurde der Bosporus erwähnt, allen voran in der bereits geschilderten Argonautensage, als der Held Jason und seine Begleiter auf dem Schiff ARGO die Fahrt nach Kolchis (das heutige Georgien) unternahmen, um das Goldene Vlies, ein goldenes Lammfell nach Griechenland zu bringen und dabei die Symplegaden passieren mussten. Einer anderen griechischen Sage zufolge hatte Göttervater Zeus die von ihm verführte Nymphe Io in eine Kuh verwandelt, um sie vor dem Zorn seiner eifersüchtigen Gattin Hera zu schützen. Von Hera in Raserei versetzt, flüchtete die Kuh durch den Bosporus auf das asiatische Ufer.

Vom griechischen Geographen Dionysos von Byzanz (2. Jhdt. v. Chr.) stammt die früheste detaillierte Beschreibung der Topographie des Bosporus. Diese veranlasste den englischen Historiker John Freely, ihn als „Meeresstraße, die alle anderen übertreffe”, sowie als „Fluss der Zeit in einem Land der Träume” zu bezeichnen, auch, weil der Bosporus „mit einem Schlüssel zwei Welten öffne und schließe”. Prokopius, der Geschichtsschreiber der Zeit des oströmischen Kaisers Justinian (regierte 527 bis 565) nannte den Bosporus eine „Girlande von Wassern”. Die früheste Beschreibung der Strömungen im Bosporus stammt vom Franzosen Jean-Baptiste Lecheralier in „Voyage de la Propontide et du Pont-Euxin”, 1800 veröffentlicht. Darin beschrieb er die Schönheiten des Verlaufes der Wasserstraße, die Vielseitigkeit seiner Uferlandschaften und nannte sichere Ankerplätze. Er zählte sieben Windungen des Bosporus auf, jede mit unterschiedlichen Wasserströmungen, die er durch Farbwechsel des Oberflächenwassers feststellte, wenn plötzliche Regenfälle den Salzgehalt des Meeres änderten.    

Der knapp 32 Kilometer lange Bosporos (griechisch Bosporos = Rinderfurt, türkisch Karadeniz oder Istanbul Bogazi) verbindet das Schwarze Meer (im Altertum Pontos Euxinos) mit dem Marmarameer (im Altertum Propontis genannt) ist etwa 700 bis 3000 Meter breit und 30 bis etwas über 100 Meter tief. Im Norden sind die bis zu 200 Meter ansteigenden Ufer kahl oder von Buschwerk bestanden, gegen Süden folgen Fischerdörfer, einzelne Industrie- und Werftanlagen, Villenorte, alte Paläste und Burgen (Rumeli Hisari auf der europäischen, Anadolu Hisari auf der asiatischen Seite gegenüber an der engsten Stelle), dann folgt weiter südlich die Metropole Istanbul auf beiden Seiten des Bosporus unmittelbar bei dessen Ende. Jahreszeitliche Fischwanderungen zwischen Mittelmeer und Schwarzem Meer erlauben ergiebigen Fischfang. Seit 1958 verbindet eine Eisenbahnfähre die Istanbuler Stadtteile Sirkeci und Haydarpasa.

1973 wurde die erste 1570 Meter lange Hängebrücke mit ihrer Spannweite von 1074 Meter eröffnet, der 1988 im Mittelabschnitt des Bosporus eine zweite (1090 Meter Gesamtlänge) folgte. Eine dritte Brücke über den Bosporus ist im Bau und soll 2015 eröffnet werden. Alle Brücken erheben sich bzw. sollen sich erheben 64 Meter über dem Wasserspiegel. 2013 wurde in Istanbul ein Eisenbahntunnel unter dem Bosporus (das „Marmaray-Projekt”) eröffnet. Seit 1954 besteht auf der Höhe der Stadtteile Arnavutköy (Europa) und Kandilli (Asien) eine erste Freileitung mit einer 154 kV-Leitung über die Wasserstraße, eine zweite seit 1983 für 420 kV, der 1997 eine dritte, ebenfalls für 420 kV folgte, die bereits für 800 kV angelegt ist.

Reiche Geschichte des Bosporus

Die alten Griechen passierten die Meerengen, um zu ihren Kolonien am Schwarzen Meer zu gelangen. Doch konnten sie mit ihren ursprünglichen Schiffen vom Spätfrühling bis in den Sommer nicht durch den Bosporus gelangen, weil während dieser Zeit Nordostwinde die Strömungsgeschwindigkeit des Wassers erhöhten, gegen die die Schiffe nicht kreuzen konnten. Auch die Rudergeschwindigkeit reichte gegen die Strömung dann nicht aus. Erst mit dem Aufkommen stärkerer Ruderboote, den Pentekoutere, konnte man die Strecke in das Schwarze Meer ganzjährig bewältigen.

Der Perserkönig Dariawahush (Darius I.) ließ im 6. Jhdt. v. Chr. eine Schiffsbrücke über den Bosporus bauen,  um sein angeblich damals 700.000 Mann starkes Heer für einen Feldzug gegen die Skythen überzusetzen. Die Großmächte, die später den Bosporus kontrollierten (Imperium Romanum, Byzantinisches Reich, Osmanisches Reich) strebten damit auch eine Kontrolle über das Schwarze Meer an. Dennoch gelang es gewissen Völkern aus dem Norden, zeitweise auch mit Flottenunterstützung durch den Bosporus bis Konstantinopel vorzustoßen und die Stadt, allerdings vergeblich, zu belagern, so 865, 907, 941 und 1043 die Russen.

Sultan Bayazit I. (regierte 1481 bis 1512) ließ 1390 am Bosporus eine Schiffswerft errichten, um die Schifffahrtsroute von dem damals noch nicht osmanischen Konstantinopel nach dem Schwarzen Meer durch Inspektionen und fallweise auch durch Durchfahrtsverweigerungen zu kontrollieren. Dazu wurde auch die Festung Anadolu Hisari auf dem asiatischen Ufer errichtet, der gegenüber auf dem europäischen Ufer 1451 als Vorbereitung für die Belagerung und schließlich die Eroberung 1453 die Festung Rumeli Hisari folgte.

Zeitweise wurde Schiffen unter der Flagge Venedigs und Genuas die feie und ungehinderte Durchfahrt zu ihren Schwarzmeerbesitzungen ermöglicht, später mussten diese italienischen Mächte dafür Genehmigungen einholen und eine Steuer entrichten. Nach 1484 wurden nach der osmanischen Eroberung der gesamten Schwarzmeer-Nordküste allen Schiffen unter ausländischer Flagge die Durchfahrt durch den Bosporus verwehrt. Im 16. und 17. Jhdt. war das Schwarze Meer praktisch ein Binnenmeer des Osmanische Reiches und vom internationalen Handel völlig isoliert. Im 18. Jhdt. eroberte Russland Teile der nördlichen Schwarzmeerküste (1696 erstmals, 1739 endgültig Asow, 1769 Taygan, 1778 die Hafenstadt Cherson; worauf

dann 1783 die Halbinsel Krim in russische Hände geriet. Es gab einen von Griechen aus der Ägäis (damals osmanische Bürger) betriebenen Freihandel mit diesen Gebieten, doch mussten die Kapitäne auslaufender Schiffe dafür bürgen, dass die gesamte Besatzung wieder zurückkehrte und sich nicht von den Russen abwerben ließ. Dieser Zustand blieb bis zum Frieden von Kücük Kainardji 1774 zwischen Russen und Türken – dann sollte die Meerengenfrage über 160 Jahre die internationale Politik in Atem halten.

Auch die Dardanellen verzeichnen bewegte Geschichte

Die etwa 65 Kilometer langen Dardanellen (griechisch Dardanellia, türkisch Canakkale Bogazi, im Altertum Hellespont genannt) sind eine 1,3 bis 7 Kilometer breite und bis zu 100 Meter tiefe Meeresstraße zwischen der zum europäischen Kontinent gehörenden Halbinsel Gallipoli (türkisch Gelibolu) und Kleinasien. Die nach Dardanos, einer antiken Siedlung in der Nähe des einstigen Troja benannte Wasserstraße verbindet das Marmarameer und die Ägäis und vermittelt den durch den Bosporus aus dem Schwarzen Meer kommenden Wasserüberschuss in das Mittelmeer. Ähnlich wie der Bosporus sind die Dardanellen von Terrassen an ihren Ufern als Spuren einstiger höherer Wasserstände begleitet. In Planung ist eine Hängebrücke im Nordabschnitt  zwischen den Städten Lapseki und Gelibolu, die mit 3623 Meter Länge die längste Brücke der Türkei werden soll. Sie soll bis 2023 fertiggestellt sein, wenn die Türkei das 100-Jahr Jubiläum der Ausrufung der Republik begeht.

Im Verlauf der griechischen Kolonisationsbewegung wurde vom 8. bis 7. vorchristlichen Jahrhundert die Region um die Dardanellen dicht besiedelt. Kolonien wie Lampsalus (heute Lampseki), Abydos, Sigeion und vor allem Kalliopolis (heute Gelibolu) sollten die Handelsstraße zum Schwarzen Meer sichern. 480 v. Chr. setzte der Perserkönig Kshaiardshah (Xerxes I.) bei seinem Feldzug gegen Griechenland sein Heer auf einer, nach anderen Quellen zwei Schiffsbrücken über die Dardanellen. Im Peloponnesischen Krieg gab es mehrere bedeutende am Hellespont, so die Schlacht bei der Halbinsel Kyzikos 410 v. Chr. und die Schlacht von Aigospotamoi 405 v. Chr. die die entscheidende Niederlage für die Athener brachte. Alexander der Große überschritt zu Beginn seines Feldzuges gegen die Perser 334 v. Chr. den Hellespont mit einer Armee von etwa 35.000 Makedoniern und Griechen.

Araber scheiterten vor Konstantinopel

668, 672 und 717 drangen arabische Flotten durch die Dardanellen in das Marmarameer vor und nahmen die Halbinsel Kyzikos ein, die Operationsbasis für die Einnahme von Konstantinopel, der damals stärksten Festung der Welt, werden sollte. Doch jedes Jahr von 674 bis 678, sowie 717/718 scheiterten die arabischen Eroberungsversuche in Seeschlachten vor der Stadt. Dabei setzten die Byzantiner das von dem aus Syrien stammenden Griechen Kallinikos erfundene „Griechische Feuer” gegen die arabischen Schiffe ein, eine mit Siphonen gegen die feindlichen Schiffe geschleuderten leicht entzündlichen flüssigen Brennstoff, dessen Zusammensetzung nur den Byzantinern bekannt war. Die von ihm ausgelösten Brände konnten mit Wasser nicht gelöscht werden. Die erfolgreiche Abwehr der Araber durch die Byzantiner hat noch vor den Siegen Karl Maartells 732 bei Tours und Poitiers das Abendland vor einer Überrennung durch die Araber bewahrt.

Die Kreuzfahrer des unter venezianischer Patronanz stehenden Vierten Kreuzzuges erzwangen 1203 die Durchfahrt und eroberten 1204 Konstantinopel, wo ein bis 1261 existierendes lateinisches Kaiserreich etabliert wurde. Um 1354 überquerten die Osmanen die Dardanellen und schnitten dadurch Konstantinopel vom Mittelmeer ab. Nach der Eroberung von Konstantinopel 1453 erbaute Sultan Mehmet II. Fatih 1462 die Schlösser Seded ul-Bahir („Meerdamm”) am Südeingang des europäischen Ufers und Canakkale („Topfburg”) an der Engstelle der Wasserstraße am asiatischen Ufer. 1656 waren die Dardanellen Schauplatz einer Seeschlacht zwischen Kriegsschiffen der Venezianer und Türken, bei der es um die Vorherrschaft im Mittelmeer ging. Daraufhin verstärkte der damalige fähige Großwesir Mehmet Köprülü 1659 die Befestigungen der Dardanellen durch die Anlage von Kumrale am Südausgang am asiatischen Ufer und Kilitbahir gegenüber von Canakkale, Festungen, die später mit starken Geschützen bewehrt wurden.

Im Russisch-Türkischen Krieg 1768-1774 unter der Herrschaft von Zarin Katharina II. der Großen gelangte eine russische Flotte um Europa herum in das Mittelmeer und die Ägäis und brachte der Osmanischen Flotte bei Cesme (westlich von Izmir) 1770 eine Niederlage bei. Die Russen scheiterten jedoch bei ihrem Versuch, die Dardanellen in Richtung Konstantinopel zu passieren. 1774 wurde der Friede von Kücük Kainardji geschlossen.

Offene Meerengenfrage bis 1936

Die offene Meerengenfrage beherrschte bis1936 die russisch-türkischen Beziehungen und die internationale Politik. Es ging um die Durchfahrt besonders von Kriegsschiffen durch beide Meerengen angesichts der Jahrhunderte langen Bemühungen Russlands, auf von ihm kontrollierten Wegen zu einem „warmen” Meer zu gelangen, d.h. eisfreie Häfen zu gewinnen.

Das Ergebnis waren Interessenskonflikte zwischen dem osmanischen Reich (später der Türkei), Russland (später der Sowjetunion), Großbritannien und Frankreich. Nach 1774 durften russische Schiffe, aber keine Kriegsschiffe die Meerengen passieren, später (ab 1783) auch österreichische und ab 1802 auch britische und französische Schiffe. Russischen Schiffen war auch der Transport bestimmter Güter untersagt, osmanischerseits wollte man den Weitertransport von Getreide verhindern, weil selbst ein großer Bedarf dafür bestand.

Das Passageverbot russischer Kriegsschiffe wurde erstmals gelockert, als Russland dem Osmanischen Reich militärische Hilfe anlässlich von Napoleons Ägypten-Feldzug 1798-1801 anbot. Russische Kriegsschiffe konnten für die Dauer des Krieges die Meerengen passieren.

Als 1806 ein weiterer russisch-türkischer Krieg ausbrach (bis 1812) schloss die „Hohe Pforte” mit Großbritannien den Beistandspakt von Kalai Sultanye für den Fall eines französischen Angriffes (damals herrschte zwischen Frankreich und Russland gutes Einvernehmen – bis 1812). Britischen Kriegsschiffen (nur ihnen  allein) wurde gestattet, bis zum südlichen Eingang des Bosporus zu fahren, was eine britische Flotte schon 1807 getan hatte. Im Vertrag von Hunkiar Iskelessi 1833 wurde russischen Schiffen ein Durchfahrtsrecht gewährt, die Hohe Pforte verpflichtete sich aber, im Kriegsfall die Meerengen für Schiffe aller Länder zu sperren.

Scharfe Proteste aus London und Paris waren die Folge. Es kam zur Londoner Konvention von 1840, ergänzt durch den Dardanellenvertrag von 1841 zwischen den fünf Großmächten Großbritannien, Frankreich, Russland, Österreich und Preußen, wonach der Bosporus in Friedenszeiten für alle Kriegsschiffe geschlossen bleiben solle,  nur kleinere Kriegsschiffe der mit dem Osmanischen Reich verbündeten Staaten durfte nach Genehmigung die Durchfahrt gestattet werden. Nichttürkische Kriegsschiffe durften die Dardanellen nicht passieren, Handelsschiffen wurde die Passage beider Meerengen bei Nacht untersagt.

Meerengenfrage Angelegenheit der Großmächte geworden

Während des Krimkrieges 1853-56, bei dem die Großmächte Großbritannien und Frankreich auf die Seite der Hohen Pforte traten, schickten beide ihre Kriegsflotten in das Schwarze Meer.        

Der Pariser Friede von 1856, durch den die Meerengen den Status als internationale Wasserstraßen bekamen, enthielt die Pontusklausel: das Schwarze Meer wurde neutralisiert, Russland und das osmanische Reich durften  in diesem Meer keine Kriegsflotten unterhalten, mit der Hohen Pforte verbündeten Staaten wurde die Durchfahrt von Kriegsschiffen durch den Bosporus in Friedenszeiten gewährt. Nachdem Russland den Friedensvertrag gekündigt hatte, wurde im Pontus-Vertrag von 1871 die Pontusklausel von 1856 aufgehoben: Russland durfte wieder eine Kriegsflotte im Schwarzen Meer unterhalten, Kriegsschiffe von mit der Hohen Pforte verbündeten Staaten durften die Meerengen in Friedenszeiten passieren.

Nach dem Russisch-Türkischen Krieg von 1877/78 bestätigten die Schlussakte des Berliner Kongresses (13. Juni bis 13. Juli 1878) die im Vorfrieden von San Stefano (der heutige Istanbuler Stadtteil Yesilköy) vom 3. März 1878 festgelegten freien Durchfahrtsrechte für Handelsschiffe durch die Meerengen, ansonsten hielten die Bestimmungen von 1871 und 1878 bis zum Ersten Weltkrieg. 1891 musste sich Russland verpflichten, die Anwesenheit russischer Soldaten auf Handelsschiffen zu melden.

Gallipoli-Debakel der Alliierten 1915

1864-77 war eine Neubefestigung der Dardanellen erfolgt, teilweise auf Empfehlung des belgischen Generals Brialmont, die aber zu Beginn des Ersten Weltkrieges in mancher Hinsicht veraltet waren. Zu Kriegsbeginn errichtete das türkische Militär, nachdem sich die Hohe Pforte auf die Seite der Mittelmächte Deutschland und Österreich-Ungarn geschlagen hatte, mehrere Minensperren in den Dardanellen, die Ententemächte erklärten die Meerenge zum Sperrgebiet und drohten mit der Versenkung türkischer Handelsschiffe auf dem Weg ins Mittelmeer. Der türkische Kriegseintritt im Herbst 1914 nach der Beschießung russischer Schwarzmeerhäfen durch die formell in türkischen Besitz übergegangenen deutschen Kriegsschiffe GÖBEN und BRESLAU führte dazu, dass Großbritannien Russland auf dem Seeweg in das Schwarze Meer wegen der Sperre der Dardanellen keine militärische Unterstützung bieten konnte.

1915 wollte die Entente dies erzwingen, auch um die Türken aus dem Krieg „heraus zu reißen”. Der von Marineminister Winston Churchill und Kriegsminister Lord Kitchener forcierte Plan sah eine kombinierte Marine- und Landoperation im Bereich der Dardanellen vor, um dann von Süden her auf Konstantinopel vorzustoßen. Da den Türken im Januar und Februar 1915 nicht gelungen war, die Kontrolle über den Suezkanal zu erringen,  konnte die Verlegung australischer und neuseeländischer Empire-Truppen über diese Wasserstraße erfolgen. Es gelang den Türken, die britisch-französischen Angriffe mit deutscher Hilfe unter dem Oberkommando des preußischen Generals Otto Liman von Sanders (1855-1929) nach anfänglichen Verlusten in der Zeit von 9. bis 25. Februar 1915 erfolgreich abzuschlagen.                   

Eine große Zahl alliierter Kriegsschiffe ging durch Minen verloren, was Churchill seinen Ministerposten kostete. Auch Landangriffe auf die Halbinsel Gallipoli (seit 25. April 1915) scheiterten und endeten im Dezember 1915 mit einem alliierten Rückzug. Die Gallipoli-Aktion hatte auf Seiten der Alliierten rund 40.000, auf Seiten der Türken über 200.000 Opfer gefordert, doch die Dardanellen blieben in türkischer Hand. Bei der türkischen Abwehr zeichnete sich der hohe Offizier Mustafa Kemal Pascha aus, der später unter dem Namen Kemal Atatürk erster Präsident der Türkischen Republik wurde.

In dem (nicht in Kraft getretenen) Frieden von Sevres vom 20. August 1920 wurden die Meerengen internationalisiert. In dem für die Türkei folgenden Friedensvertrag von Lausanne vom 24. Juli 1923 wurden die Meerengen entmilitarisiert, eine Internationale Meerengen-Kommission eingesetzt und die freie Durchfahrt von Schiffen, auch von Kriegsschiffen als Grundsatz festgelegt. Diese Regelung wurde von der Türkei am 11. April 1936 gekündigt und durch das

Meerengenabkommen von Montreux vom 20. Juli 1936

ersetzt. Das mit einigen späteren Ergänzungen heute noch gilt. Abkommenspartner sind Großbritannien, Frankreich, Japan, die Sowjetunion, die Türkei, Bulgarien, Rumänien, Griechenland und Jugoslawien. Italien trat dem Abkommen 1938 bei. Es revidierte die Bestimmungen von Lausanne, hob die Internationale Meerengen-Kommission auf und übertrug ihre Befugnisse an die Türkei, räumte dieser die Wehrhoheit ein und gab ihr das Recht, im Kriegsfall die Durchfahrt feindlicher Handelsschiffe zu untersagen. Die Passage von Kriegsschiffen muss den türkischen Behörden im Voraus bekannt gegeben werden. Die Nichtuferstaaten des Schwarzen Meeres dürfen Kriegsschiffe nur bis 15.000 t durch die Meerengen entsenden, die Ausfahrt jener von den Meeranrainern bleibt unbegrenzt. Ist die Türkei kriegsführende Macht, kann sie nach ihrem Ermessen die Meerengen sperren, ebenso, wenn sie sich von einer Kriegsgefahr bedroht fühlt.

Bestrebungen der USA vom November 1945 und der Sowjetunion auf Änderung des Abkommens – u.a. völlige Sperre für Kriegsschiffe der Nichtuferstaaten – scheiterten im August 1945. Stalin bezeichnete während des Kalten Krieges die türkische Kontrolle über beide Meerengen als „Schritt, um die Sowjetunion abzuwürgen”.

Kommt es zum Bau eines „Parallel-Bosporus”?

Passierten 1936, dem Jahr des Abkommens von Montreux, jährlich etwa 4.500 Schiffe die Meerengen, ist die Zahl auf jährlich etwa 50.000 gestiegen, darunter durchschnittlich etwa 5.500 Öltanker. Der Öltransport durch die Meerengen gewinnt immer mehr an Bedeutung, denn die Anrainerstaaten des östlichen Schwarzen Meeres und deren durch Pipelines angebundenes Hinterland gelten als die Ölproduzenten des 21. Jahrhunderts. Allerdings handelt es sich auch um politische Unruhegebiete. Nach einer Greenpeace-Aktion, die auf das Unfallrisiko für den Schiffsverkehr aufmerksam machte, wurden 2002 die Auflagen für passierende Öltanker verschärft.

Im gleichen Jahr gab der damalige türkische Ministerpräsident (und heutige Staatspräsident) Recep Tayip Erdogan Pläne seiner Regierung bekannt, den Bosporus durch einen parallel dazu bauenden Istanbul-Kanal zu entlasten. Er soll etwa 50 Kilometer lang und 150 Meter breit sein und im Bereich der westlich von Istanbul gelegenen Stadt Silivri in das Marmarameer münden.

Da der Kanal durch hügelige und unerschlossene Landgebiete gehen soll, wären riesige Erdaushubarbeiten nötig. Im Gegensatz zum Suezkanal und zum Panamakanal können für den Istanbul-Kanal keine bestehenden Seen für den Verlauf der projektierten Wasserstraße ausgenützt werden. Ein anderes, bisher nur diskutiertes Projekt zur Entlastung der Öltransporte durch den Bosporus sieht den Bau einer Ölleitung zwischen dem Schwarzen und dem Marmarameer parallel zum Bosporus vor.

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