Historie 

 

Ausgabe 6-2013 

hr
Die Störtebeker Festspiele auf der schönen Insel Rügen sind ein jährlich stattfindendes Event. Ein Theaterstück mit über 150 Mitwirkenden, 4 Schiffen, 30 Pferden, Spezialeffekten und vielem mehr. An jedem Abend – zwischen dem 21. Juni und dem 6. September 2014 –sieht man ein Feuerwerk über dem „Großen Jasmunder Bodden” in den Himmel steigen, das einen Besuch auf Rügen zu einem unvergesslichen Erlebnis macht ...
Die Störtebeker Festspiele auf der schönen Insel Rügen sind ein jährlich stattfindendes Event. Ein Theaterstück mit über 150 Mitwirkenden, 4 Schiffen, 30 Pferden, Spezialeffekten und vielem mehr. An jedem Abend – zwischen dem 21. Juni und dem 6. September 2014 –sieht man ein Feuerwerk über dem „Großen Jasmunder Bodden” in den Himmel steigen, das einen Besuch auf Rügen zu einem unvergesslichen Erlebnis macht ...

Harald Krachler

Pirat Klaus Störtebeker – der Robin Hood der Nord- und Ostsee

Mit Riesenkräften ausgestatteter Mann bescheidener Herkunft

Hamburger Grasbrook (die mittelalterliche Hinrichtungsstätte der Hansestadt) am 20. Oktober 1401: Vor einer riesigen Menschenmenge, dem Bürgermeister, den Ratsherren und Abordnungen von Ostsee-Hansestädten steht die Besatzung des Piratenschiffes SEETIGER in Ketten und wartet auf ihren Kapitän. Trommler und hellebardenbewehrte Angehörige der Stadtwache eskortieren Kapitän Claas (Klaus) Störtebeker vom Gefängnis zur Richtstätte, ihm folgen die Ankläger und Mitglieder des Gerichts, hinter ihnen weitere Landsknechte.

Der Legende zufolge bat Störtebeker die versammelte Gerichts- und Stadtverwaltungsprominenz, nach Abschlagen seines Kopfes, was stehend vollzogen werden sollte,  damit jeder seiner Mannschaft, den er kopflos passiere, freikommen könne. Der Hamburger Bürgermeister stimmte angeblich zu, der kopflose Seeräuber soll der Legende zufolge bei fünf seiner Männer vorbeigelaufen sein, bis ihm ein Gerichtsdiener das Bein gestellt habe und er so hinfiel. Tatsache aber ist, dass Störtebeker und alle seine Spießgesellen ihren Kopf verloren.     

Das war das Ende eines der schillerndsten Abenteurer und Freibeuter des mittelalterlichen Deutschland, bei dessen Taten Legende und Wirklichkeit oft nicht auseinanderzuhalten sind, der aber trotzdem zu einem Volkshelden mutiert ist.

Fährt man auf Deutschlands größte Insel Rügen in der Ostsee zu ihrem nördlichsten Punkt Kap Arkona, passiert man nahe von Schloss Spyker in Meeresnähe des Gutshof Ruschwitz, auf dessen Vorgängerbau am 10. Juni 1356 Klaus Störtebeker als Sohn eines Knechts und einer Magd geboren wurde. Als junger und mit Riesenkräften ausgestatteter Mann hatte sich Klaus öfters an der Metkanne seines Herren vergriffen, als er herausgefunden hatte, dass der Met seines Herren besser schmeckte als jener für das Gesinde.   

Einmal dabei ertappt, bezog er eine Tracht Prügel, riss aber den Berichten zufolge die Kette mit den Handschellen auseinander und schlug seine Peiniger nieder, sodann auch den Gutsverwalter und den zu Besuch weilenden Gutsbesitzer, einen gewissen Herrn von Külpen. Zusammen mit einem Stubenmädchen schwang er sich auf ein Pferd, ritt in Richtung Meer und kaperte ein Fischerboot, mit dem beide in der hereinbrechenden Nacht ihren Häschern entkamen.    

Zwei Tage trieben die beiden auf der Ostsee, bis eine aus Stockholm kommende Kogge, die SANTA GENOVEVA des Stralsunder Kaufmannes Martin Hosang die beiden Flüchtlinge an Bord nahm und sie verpflegte. Dem Schiffskapitän Goedeke Micheel (Michael) nannten die beiden nur ihre Namen – Klaus und Trebele. Goedeke überredete einen Schiffsjungen, die beiden in die Hafenstadt Barth zu bringen und sie seiner, Goedekes, Schwester zur Betreuung zu übergeben, bis er wieder von sich hören ließe.

 

Mit Kraftproben die Schiffsmannschaft beeindruckt

Ein Jahr später gelangte Klaus vor der Insel Hiddensee wieder auf die Kogge, wo er Kraftproben unterzogen wurde, um zu sehen, ob er zu der verwegenen, nur Kraft und Mut kennenden Mannschaft passen würde. Klaus bog, wie es hieß, ein Hufeisen gerade und drehte eine Zinnschüssel zwischen den Händen wie ein Blatt Pergament zusammen, auch einen riesigen Humpen Bier trank er in einem Zug aus. Die Mannschaft nahm ihn mit Begeisterung auf. Goedeke soll ihm gesagt haben, er verstehe es, den Beker (Becher) zu störten (stürzen) , sei also ein richtiger „Bekerstörzer”. Künftig wurde er Störtebeker genannt.    

Für Klaus begann nun eine glückliche Zeit an Bord der SANTA GENOVEVA. Gab es einmal keine Arbeit auf dem Schiff, ging er mit dem mit ihm befreundeten Schiffsjungen Kinderbaß an Land, so u.a. in Stockholm oder in Visby auf der Insel Gotland (siehe auch Landgang auf Gotland), wo aber beide, da sie „wilde Naturen” waren, wiederholt in Raufhändel verwickelt wurden.

 

„Putsch” in der Hansestadt Stralsund veranlasste Schiffsmannschaft zur Piraterie

In Stralsund hatte um diese Zeit ein gewisser Bertrand Wulflam die Macht an sich gerissen, sich zum Bürgermeister ausrufen lassen, den Kaufmann Martin Hosang umbringen und verlauten lassen, dessen Schiff SANTA GENOVEVA gekauft zu haben. Er befahl das Aufbringen des Schiffes und die Festnahme der Mannschaft, was diese und Kapitän Goedeke, die zu dieser Zeit gerade auf einer Fahrt in die russische Hansestadt Nowgorod waren, noch nicht wussten. Erst während ihres Aufenthaltes dort erfuhren sie die Neuigkeit.

Demnach soll Wulflam durch Lügen und Verleumdungen den Stralsunder Rat auf seine Seite gebracht, die Widerstrebenden zu Feinden der Stadt erklärt und behauptet haben, Goedeke hätte ihm das Schiff gestohlen. Nach dem Gesetz der Hanse sei die gesamte Mannschaft in jeder Hansestadt gefangen zu nehmen und in Ketten nach Stralsund zu bringen. Goedeke machte seine Mannschaft darauf aufmerksam, dass sie an einer Entscheidung über Leben oder Tod stünden und sah nur eine Möglichkeit: ein neuer Name für das Schiff, Anlaufen des schwedischen Hafens Landskrona und Unterschutzstellung aller unter die dänisch-schwedische Königin und Hanse-Gegnerin Margrethe. Man billigte Goedekes Rat. obwohl jeder wusste, dann nie mehr nach Stralsund zurückkehren zu können.     

So wurde aus der SANTA GENOVEVA der SEETEUFEL. Klaus, der inzwischen ein Seemann mit allen erforderlichen Fähigkeiten geworden war, führte bald ein eigenes Schiff, den SEETIGER, ein anderer Vertrauensmann Goedekes wurde Kapitän auf einer gekaperten Kogge: Und so begannen die drei Schiffe im letzten Dezenium des 14. Jahrhunderts ein wildes Piratenleben in der Ost- und später der Nordsee, was viele Handelsschiffe veranlasste, Umwege zu nehmen, um Begegnungen mit den Piratenschiffen auszuweichen.

Wichtig war den Piraten immer nur die Beute. Die Besatzungen der geenterten Schiffe wurden fast immer mit Proviant und Wasser versorgt, in Schaluppen gesetzt und auf das Meer „entlassen”. Legendäre Überfälle der Piraten erfolgten u.a. auf zwei vom Londoner Stalhof (der dortigen Hansa-Vertretung) kommende Handelsschiffe, wobei den Piraten Gold, Edelsteine, Handfeuerwaffen und große Mengen an Tuch in die Hände fielen. Ein anderes Mal wurde ein unter französischer Flagge von London nach Stockholm unterwegs befindliches Schiff um seine riesige Gewürzmenge „erleichtert”. Bei einem Überfall auf die schwedische Stadt Landskrona konnten sich die Bewohner nur mit einer hohen Geldsumme von den Piraten freikaufen.

Verwegener Handstreich zur Befreiung der gefangenen Geliebten Störtebekers

Von einem verletzten Fischer, dem Störtebeker half, seinen Fang an Land zu bringen, erfuhr er, dass der Stralsunder Bürgermeister Wulflam seine Geliebte Trebele gefangen hielt. Er wollte Störtebeker zwecks Freikauf des Mädchens in die Stadt locken, ihn aber dort in Ketten legen und zum Hansetag nach Lübeck bringen lassen.

Störtebeker und sein inzwischen ebenfalls zum Piraten herangewachsener Freund Kinderbaß entwickelten einen verwegenen Plan zur Befreiung Trebeles, die im Rathaus von Stralsund festgehalten wurde. Durch gelegte Brände im Stralsunder Hafen und auf dortigen Schiffen gelang es ihnen, Stadtbewohner  und Magistrat dort hin zu locken und von der Aufmerksamkeit um Vorgänge in und um das Rathaus abzulenken. Der Plan gelang, Störtebeker und seine Mitkämpfer konnten ohne Schwierigkeiten in das Rathaus eindringen und Trebele befreien. Störtebeker suchte seine Leute immer sehr sorgfältig aus, behandelte sie gut, verlangte ihnen aber alles ab. Gemessen an der Beute fiel die Belohnung immer reichlich aus. War die 

Stimmung an Bord gut, waren seine Männer immer zu allem bereit. Die Angriffe galten immer den Reichen, arme Leute wurden oft mit Beute unterstützt.

 

Deutscher Orden vertrieb die Piraten aus der Ostsee – Nordsee neues Operationsgebiet

Dass sich ab dem letzten Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts die Hamburger mit den Piraten herumschlagen mussten, verdankten sie dem Deutschen Orden, der sie aus der Ostsee vertrieb. Dort war es soweit gekommen, dass die Piraterie kriegführenden Ländern als Mittel zum Zweck diente. Der Plan der Dänenkönigin Margrethe, die drei skandinavischen Reiche Dänemark, Schweden und Norwegen in der Kalmarer Union von 1397 unter einer Krone zu vereinigen, stand kurz vor der Vollendung.     

Nur Schweden machte noch Schwierigkeiten, denn das nominelle Oberhaupt Albrecht von Mecklenburg wollte nicht aufgeben, auch deshalb, weil Stockholm mit seinen zahlreichen deutschen Einwohnern zu ihm hielt. Die von den Dänen eingeschlossene Stadt konnte nur über See versorgt werden, was den dazu beauftragten Freibeutern, weil sie Lebensmittel (Viktualien) lieferten, die Bezeichnung „Vitalienbrüder” eintrug. Diese selbst bezeichneten sich später als „Gottes Freunde und der Welt Feinde”.    

Es gab genug Schiffe für diese Aufgabe, doch mit der Zeit verfielen die Kapitäne auf den Gedanken, fremde unbeteiligte Schiffe zu überfallen. Albrechts Vater, der Herzog von Mecklenburg, ermunterte sine Leute sogar, an solchen „Versorgungsfahrten” nah Stockholm teilzunehmen, weil dabei „leicht zu verdienendes” Geld lockte. Für den Absatz so erbeuteter Waren sorgten dann die Städte Rostock und Wismar, die sich so zu „Hehler-Städten” entwickelten. Die Hanse musste diesem Treiben ohnmächtig zusehen.

Immer dreister wurde die „Ostseemafia”, eroberte 1391 die Inseln Bornholm und Gotland und setzte sich auch an der finnischen Küste fest. Bergen in Norwegen und die südschwedische Stadt Malmö wurden geplündert. 1395 konnte die Hanse einen Frieden zwischen Königin Margrethe und dem Haus Mecklenburg durchsetzen, womit der Grund für jede Kaperfahrt entfiel. Doch die Seeräuber, darunter auch Störtebeker, hatten sich längst als eigenständige Macht in der Ostsee etabliert und sich nach kaufmännischem Vorbild „genossenschaftlich” organisiert. Sie wurden deshalb „Likedeeler” genannt – Leute, die ihre Beute „gerecht” untereinander aufteilten.     

Deutschordens-Hochmeister Konrad von Jungingen unterbreitete der darüber begeisterten Hanse den Plan, das Seeräubernest Gotland „auszuräuchern” und legte den Tag der Offensive mit 31. März 1398 fest – zu einem Zeitpunkt, da die Ostsee noch nicht ganz eisfrei war.

Der Überraschungsangriff gelang, die entkommenen Piraten suchten Zuflucht an der deutschen und schwedischen Küste, andere wie Klaus Störtebeker und Goedeke Micheel flohen in Richtung Nordsee, wo sie wieder „von vorne beginnen” mussten.

 

„Arbeitsteilung” zwischen Störtebeker und seinem „nominellen Chef” Goedeke

Um sich nicht gegenseitig die Beute abzujagen, teilten beide das Revier auf. Störtebeker trieb sein Unwesen vor der Elbemündung, Goedeke machte das Weser- und Emsgebiet unsicher. Reeder, Kaufleute und Kapitäne lagen dem Hamburger Rat lange in den Ohren, etwas gegen die Seeräuberplage zu unternehmen. Wegen der organisierten, fast militärisch geplanten Piraterie war das keine leichte Aufgabe. Doch stellte man in Hamburg ein Flottenbauprogramm auf die Beine, die Seestreitmacht wurde im Winter 1400/01 verstärkt. Als Nachrichten vom Auslaufen Störtebekers von seinem Winterquartier in Richtung Helgoland eintrafen, wurde die Kriegsflotte klargemacht und lief in die Nordsee aus. Störtebeker stellte sich dem Kampf, er wusste, was auf dem Spiel stand. Die durch zahlreiche Enterhaken miteinander verkeilten Schiffe der Räuber und der Streitmacht trieben dahin, an Bord entbrannte ein Kampf auf Leben und Tod.    

Letztlich gelang es aber den Hamburgern, Störtebeker vor Helgoland gefangen zu nehmen, mit ihm 70 seiner Kumpane, darunter auch seinen nominellen Vorgesetzten Goedeke Micheel. Im Triumphzug kehrte die Flotte nach Hamburg zurück. Als die Piraten an Land gebracht wurden, läuteten in der ganzen Hansestadt die Kirchenglocken. Den Gefangenen wurde ein für die damalige Zeit fairer Prozess gemacht, der mit der Hinrichtung Störtebekers und seiner Spießgesellen am 20. Oktober 1401 auf dem Hamburger Grasbrook unter den eingangs geschilderten Umständen endete. Damit jeder davon Kunde erhielt und niemand Störtebekers „Nachfolge” antrat, wurden die abgeschlagenen Köpfe auf Pfähle gespießt und zur Besichtigung freigegeben.

Am Beispiel Störtebeker: gestern Halunke, heute Volksheld

Für Störtebeker gilt dasselbe wie für viele Halunken der Weltgeschichte: die Halunken von gestern sind die Volkshelden von heute. (Allerdings gibt es, vor allem in der Politik, auch die umgekehrte Entwicklung). Und es wäre nicht unsere Zeit, wenn diese ehemaligen Gauner nicht im Interesse des Tourismus – und damit gefüllter Kassen – vermarktet würden.

So gilt Störtebeker heute als Verehrungsobjekt aller unbeugsamen und freiheitsliebenden Hamburger. Piratenflaggen wehen auf den Dächern der Hafenstraße und an einem Tor über dem FC St. Pauli. Am Grasbrook, der mittelalterlichen Richtstätte, zeigte eine Bronzestatue Störtebeker mit gefesselten Händen, den Kopf zur Seite gewandt und zum Himmel gereckt, um nicht die Männer zu sehen, die ihn zum Tod verurteilt hatten.  

Ein bekanntes, nach dem Piraten benanntes Fischrestaurant in Hamburg, offeriert gutbürgerliche Fischgerichte. Seit 1993 finden jeweils von Ende Juni bis Anfang September in Ralswiek auf der Insel Rügen die Störtebeker-Festspiele statt. Gezeigt werden Episoden – reale und legendäre – aus seinem Leben, natürlich auch immer wieder sein Tod durch das Henkersbeil. Die Festspiele sind zu Deutschlands erfolgreichsten Freiluft-Theater geworden. Im Juli 2010 war der fünfmillionste Besucher in Ralswiek gezählt worden. Störtebeker-Festspiele 2014   

Der Schädel Störtebekers, heute ein Publikumsmagnet im Museum für Hamburgische Geschichte, war beim Bau der alten Speicherstadt auf dem Grasbrook entdeckt worden, genau an dem Ort; wo die Piraten 1401 hingerichtet worden waren. Seit 1922 ist der Schädel im Museum ausgestellt.

 

Störtebekers Schädel 2010 vorübergehend aus Museum entwendet

Als 2010 der Schädel aus dem Museum von Unbekannten gestohlen worden war, geriet die ganze Hansestadt in Aufregung. Noch heute rätselt man herum, wer der Dieb war und wie er das angestellt hatte. Die Polizei hüllt sich bis heute in Schweigen. Das Museum hatte eine vierstellige Summe zur Wiederbeschaffung der Trophäe ausgestellt. Von einem anonymen Überbringer wurde die Reliquie nach einiger Zeit bei der Polizei abgeliefert und von der Museumsdirektorin mit einem Seufzer der Erleichterung dort abgeholt und ihn wieder für die für ihn reservierte Museumsvitrine gestellt. Als Dank für die Ermittlungen erhielten die Hamburger Polizisten lebenslang – freien Eintritt in das Museum.

 

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