AUSGABE 3/2012
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Foto: Dr. Dietrich Hub, Kernen Die Wahrzeichen Venedigs: Seufzerbrücke, Dogenpalast, Markusplatz und Campanile.

   

Dr. Dietrich Hub, Rund um die Serenissima - auf eigenem Kiel

Hier wird alles per Boot transportiert. Frische Brötchen kommen per Frachtkahn an den Hotels an, und Särge werden von zwei Männern mit einer schwarzen Gondel aus den Palästen am Canal Grande abgeholt. Die Feuerwehr kommt per Boot, die Polizei natürlich auch. Nirgendwo sonst sind Boote derart selbstverständlich. Hier in der Lagune von Venedig selbst mit einem Boot unterwegs zu sein, das ist wahrlich standesgemäß. Auch wir gehören für eine Woche zu diesem seefahrenden Volk dazu, wenn wir auch nur ein Boot und nicht dazu noch einen Palast am Canal Grande haben. Muss auch nicht sein.

In diesem 13 Meter langen Schiff haben wir alles dabei, was man für eine Woche Urlaub braucht. Hausbootfahren zu beschreiben ist kaum möglich – man muss dieses Gefühl erleben. Selbst Kapitän zu sein, wer das verstehen will, der muss den Seewind im Gesicht fühlen. Der muss spüren, wie ein Boot reagiert, wenn man es sanft über die Wellen lenkt. Hausboote machen es leicht, diesen Traum zu realisieren. Sie sind viel einfacher zu handhaben als eine Segelyacht, und viel komfortabler, um darin zu wohnen.

Unsere ELEGANCE PLUS vom Hausbootvercharterer Le Boat hat drei Kabinen mit jeweils einer eigenen Sanitärzelle. Das Wohnzimmer eines Schiffes wird traditionell Salon genannt. Zwei Steuerstände – einer innen, einer außen – ermöglichen es, das Schiff bei jedem Wetter bequem zu steuern. Das Bugstrahlruder – ein am Bug quer eingebauter Propeller – ermöglicht es, das Schiff bei An- und Ablegemanövern auf engem Raum drehen zu können.

Einfach majestätisch, so begegnet uns die Schauseite der „Serenissima. Der Canale della Guidecca trennt die historische Altstadt von der Insel Guidecca. Hier herrscht sogar etwas Strömung. Ebbe und Flut gehen durch die Lagune hindurch und sorgen dafür, dass das Wasser hier nie völlig still steht. An diesem breiten Wasserweg in Richtung Festland passieren wir den Dogenpalast und sehen auf den Markusplatz.

Dann öffnet sich die Inselstadt mit dem Canal Grande. Auf der anderen Seite des Kanals steht die Dogana di Mare, der alte Sitz der venezianischen Zollbehörde. Auf dem Canale della Guidecca verlassen die Kreuzfahrtschiffe Venedigs Hafen – und die Passagiere stehen oben auf den Decks und genießen diesen einzigartigen Blick auf die Lagunenstadt, bevor das Kreuzfahrtsschiff durch die Lagunenpforte fährt.

Wir Hobbykapitäne dürfen nicht nach draußen aufs Meer. Unser Hausboot muss drinnen in der Lagune bleiben. Kein Problem, für eine Woche gibt es hier mehr als genug zu sehen. 550 Quadratkilometer umfasst die Lagune von Chioggia bis Jesolo. Ein großer Teil davon ist sehr flach. Unser Hausboot hat einen Tiefgang von immerhin etwa einem Meter und kann deshalb nur innerhalb der ausgebaggerten Wasserwege fahren. Dalben – in den Lagunengrund gerammte Holzpfähle – geben den Weg vor. Dennoch ist die Navigation nicht immer ganz einfach. Die Lagune ist groß, und trotz der Dalben braucht man immer eine Seekarte, um die richtigen Fahrwasser zu finden.

Erstaunlicherweise wird von uns Hausbootfahrern kein Bootsführerschein verlangt. Ein in Italien zugelassenes Boot mit einem Motor bis 40 PS darf führerscheinfrei gechartert werden. Trotzdem ist Venedig kein ideales Anfängerrevier. Jedenfalls rund um die Lagunenstadt selbst ist der Bootsverkehr ziemlich stark, so dass man ständig anderen Booten ausweichen muss. Beim Festmachen der Boote muss man den Höhenunterschied zwischen Ebbe und Flut beachten. Immerhin gehören zu den Bootsunterlagen auch sehr einfach lesbare Tidenkalender, auf denen man den Verlauf und die Höhe der Gezeiten präzis erkennen kann.

Unsere Törn startete an der Hausbootbasis Casale sul Sile, 17 Kilometer nördlich von Venedig. Direkt in Venedig gibt es keine Anleger für Hausboote, deshalb muss man sein Charterschiffchen etwas weiter weg abholen. Trotz der untergehenden Sonne lassen wir uns es nicht nehmen, am Abend des ersten Tages noch die Stadt vom Boot aus zu bestaunen. Mit seligem Blick bewundert die Mannschaft von der Flybridge aus dieses Gesamtkunstwerk aus Holz und Stein inmitten der Lagune.

Anschließend tuckerte unser Schiffchen zum Anlegeplatz der Le Boat-Flotte auf der Insel La Vignole. Die Inselstadt Venedig selbst ist nur ein kleiner Teil der Lagune – zweifellos aber das Highlight für alle, die hier unterwegs sind. Unbegrenzt sind die Möglichkeiten für bootfahrende Ausländer keineswegs. Durch den Canal Grande darf keiner fahren, dessen Boot nicht in Venedig zugelassen ist. Die Stadt selbst ist ohnehin nur etwas für einheimische Profis: Die Kanäle sind eng, die Brücken niedrig und der

 

Verkehr auf dem Wasser immens. Wer sich hier nicht auskennt, der muss draußen bleiben. Das ist wohl auch gut so. Wohl dem, der in Venedig ein Haus samt eigener Anlegestelle davor hat. Anlegestellen sind nämlich auch für die Venezianer knapp – urbane Parkplatznot gibt es auch auf dem Wasser. Erfreulicherweise hat unser Hausbootvermieter Le Boat auf einer kleinen Insel gegenüber der Lagunenstadt eine Kaimauer für seine Kunden reserviert. Hier in La Vignole, nahe der Vaporetto-Haltestelle legen wir mit unserem 13 Meter langen Boot an und bleiben über Nacht.

Mit dem Vaporetto – einem der in Venedig vielverbreiteten Wasseromnibusse – fahren wir am nächsten Tag in die Lagunenstadt. Wir sind keineswegs die ersten, die an diesem Tag die Lagunenstadt besuchen. Viele Venezianer leiden darunter, dass ihre Stadt zu einem einzigartigen Freilichtmuseum geworden ist. Jährlich kommen 12 Millionen Touristen in die Lagunenstadt. Keine andere Stadt in Europa wird von derart vielen Menschen besucht.

Für Rom, die ewige Stadt, interessieren sich nur halb so viel Menschen wie für Venedig. Echte Bewohner hat Venedig hingegen immer weniger. 60.000 sollen es noch sein, früher waren es über 200.000. Der Rückgang der Wohnbevölkerung hat meistens rein praktische Gründe – und finanzielle. Die Lebenshaltungskosten in Venedig sind rund doppelt so hoch wie auf dem Festland. Alles, was hier in Läden verkauft wird, muss zuerst vom Lastwagen auf einen Frachtkahn umgeladen werden. Und dann meistens noch mit einem Handwagen weitertransportiert werden. Das wirkt sich massiv auf die Preise aus – nicht nur für die Touristen, sondern auch für die Einheimischen.

Und jede Familie hier sollte ein Boot und ein Auto am Festland haben – und für beides einen Stellplatz. Billig ist das alles nicht. Venedig ist schon lange zu einer Touristenstadt geworden. Wobei für geschäftstüchtige Venezianer nur die Touristen interessant sind, die hier auch übernachten. In der Vergangenheit organisierte die Stadtverwaltung allen Ernstes eine Werbekampagne, um Tagestouristen vor einem Besuch der Lagunenstadt abzuhalten. Tagestouristen sind in Venedig nicht sehr beliebt. Außer beim Parken in den Parkhäusern auf den Tronchetto-Inseln verdient kaum ein Venezianer an ihnen Geld, denn dass man auf dem Festland weit günstiger Essen gehen kann, ist allgemein bekannt.

Eine Fahrt mit einer Gondel – 40 Minuten für 80 €, bei Sonnenuntergang können es auch 150 € sein – bucht kaum einer der Tagestouristen. Auf Plakaten dieser Anti-Werbung waren damals Massen von Ratten zu sehen, verschmutzte Kanäle und verfallene Paläste. Auf derart abschreckende Maßnahmen hat die Stadtverwaltung inzwischen verzichtet. Das Problem mit den zahlungsunwilligen Tagestouristen aber ist geblieben. Immerhin in einem Lebensbereich können auch sie abgezockt werden: Die Benutzung einer öffentlichen Toilette in Venedig kostet 3 €.

Nach eingehender Bewunderung der Paläste und Kanäle Venedigs und der Rückfahrt mit dem Vaporetto nach La Vignole heißt es am folgenden Tag wieder „Leinen los. Jedenfalls einen Teil der anderen Inseln in der Lagune wollen wir auch noch sehen.

Die Insel San Servolo ist nach wie vor eine sagenumwitterte Insel. Im 8. Jahrhundert ließen sich auf dieser kleinen Insel vor Venedig Benediktinermönche nieder. Später wurde hier eine geschlossene Psychiatrie gebaut – die Venezianer waren schon immer recht einfallsreich, um „Problemfälle aus der Lagunenstadt auszugliedern.

So wurden auch alle Glasbläser auf die Insel Murano verbannt. Eine Glasbläser-Werkstatt ist auch für die benachbarten Gebäude gefährlich, weil die Glasbläser am offenen Feuer arbeiten. Also ist es wohl besser, dachten sich die Venezianer wohl, wenn ein derart gefährliches Handwerk auf einer eigenen Insel ausgeübt wird. Immerhin ist Murano heute sehr einladend für Besucher, was man von San Servolo auch jetzt noch keineswegs sagen kann.

Ebenfalls eine Insel für eine besondere Zielgruppe – aber dennoch für Besucher geöffnet – ist San Michele, die Friedhofsinsel.

Der Brentakanal war das letzte Ziel unserer Hausbootreise. Hier auf dem Festland – aber an einem Wasserweg, der nach Venedig führt – bauten einige reiche Venezianer sich einen Zweitwohnsitz. „Man gönnt sich ja sonst gar nichts, so hieß es wohl damals schon, anders kann man diese Villen nicht beschreiben.

Nach einer Woche werden wir Seefahrer wieder zu Landratten. Was bleibt, ist die Erinnerung an einen einzigartigen Urlaub auf eigenem Kiel. Le Boat

Foto: Dr. Dietrich Hub, Kernen Zwischen-Besuch in Chioggia.

Foto: Dr. Dietrich Hub, KernenAbendstimmung im Salon des Hausbootes.

 

Foto: Dr. Dietrich Hub, Kernen

Autor Dr. Dietrich Hub am oberen Steuerstand. Für die kleinen Passagiere gilt im Außenbereich des Hausbootes grundsätzlich Schwimmwestenpflicht.

Foto: Dr. Dietrich Hub, KernenUnterwegs entlang der Schauseite Venedigs.

 

Foto: Dr. Dietrich Hub, KernenKleine Matrosin – nach erfolgreicher Shoppingtour durch die Lagunenstadt.

Foto: Dr. Dietrich Hub, Kernen
Unterwegs auf dem Brentakanal, d.h. von der Lagune ins Landesinnere in Richtung Padua.
Foto: Dr. Dietrich Hub, Kernen
Auf dem Brentakanal müssen für Hausbootfahrer diverse Drehbrücken geöffnet werden.
Foto: Dr. Dietrich Hub, KernenAuch Ausflugsschiffe sind auf dem Brentakanal unterwegs.
Foto: Dr. Dietrich Hub, KernenDie Villen am Rand dieses Wasserweges machen den besonderen Reiz des Brentakanales aus.
Foto: Dr. Dietrich Hub, Kernen
Der Lido – der Küstenstreifen vor der Lagune – ist bekannt für seine langen Strände. Mit dem Leben innerhalb der Lagune ist dieser für Autos zugängliche Küstenstreifen aber nicht zu vergleichen.

Foto: Dr. Dietrich Hub, KernenDurch die geringe Höhe der Brücken können nur kleine Boote innerhalb der Stadt unterwegs sein.

 

Foto: Dr. Dietrich Hub, KernenEinzelhandel auf venezianisch. Durch den umständlichen Transport sind die Preise auch für alltägliche Produkte deutlich höher als auf dem Festland.

Foto: Dr. Dietrich Hub, KernenAuf dem Canal Grande dürfen nur solche Boote fahren, die in Venedig zugelassen sind. Im Hintergrund die Basilica San Giorgio Maggiore.
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