AUSGABE 2/2012
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Foto: Dr. Séverine Bär, Heidelberg Das Eiscamp besteht aus kleinen mit Holzöfen beheizten Hütten auf Schlitten, die in direkter Nähe der Mainas (der Eislöcher) stehen.

Auch eine Banya, die russische Sauna, steht zur freien Verfügung.

 

Dr. Severine Bär Eistauchen am weissen Meer 

Vorgestern waren wir noch daheim und der Frühling hatte uns endlich Temperaturen im zweistelligen Bereich über Null beschert. Jetzt, ein Flug nach Kuusamo (Finnland), sieben Stunden Autofahrt durch tief verschneite Wälder und eine erholsame Nacht später stehen wir bei Minus zwanzig Grad Celsius in Russland im Schnee und warten gespannt auf unsere Mitfahrgelegenheit zum Tauchplatz. Vor uns liegt eine Woche Eistauchen im Weißen Meer mit dem Arctic Circle Dive Center, einer Tauchbasis, die fast genau auf dem Polarkreis steht. Schon fahren auch die Motorschlitten vor. Die Tauchausrüstung wird in große Plastikwannen verstaut und die Taucher steigen in die hinter den Motorschlitten gespannten Holzschlitten. Dann fahren die Konvois los und gleiten über die zugefrorene, in der Sonne glitzernde See.

Schon seltsam ein Tauchurlaub am Meer zu verbringen, aber weit und breit kein offenes Wasser zu sehen. Nach einer viertel Stunde erreichen wir das Eiscamp. Dieses besteht aus kleinen mit Holzöfen beheizten Hütten auf Schlitten, die in direkter Nähe der Mainas (der Eislöcher) stehen. Die Taucher werden in Vierer-Gruppen eingeteilt und jeder bezieht die ihm zugewiesene Hütte. Auch Toilette, Wohnzimmer und Kompressor stehen auf Kufen und können, bevor das Eis Ende April schmilzt, wieder an Land gebracht werden. Nach dem Briefing schlüpfen die ersten Tauchteams im Schutz der Hütten in ihre Ausrüstung. Nur ein paar Schritte sind nötig, um den Einstieg zu erreichen, wo jedes Buddyteam angeleint wird. Dann gibt der Leinenführer das Zeichen und schon gleiten die Taucher ins Wasser.

Da die Ausrüstung nur kurz der kalten Luft ausgesetzt wird, funktioniert alles problemlos. Friert doch mal ein Regler oder Inflator ein, helfen große Thermoskannen mit warmem Wasser weiter. Auch der Taucher selber friert hier weniger als im Winter im Baggersee. In den warmen Hütten kommt man eher ins Schwitzen, draußen ist es windstill und sonnig und im Wasser hat es zwar eisige minus zwei Grad Celsius, aber diese sind für den vorgewärmten Taucher kein Problem.

Die Wassertemperatur ist sowieso vergessen, sobald man die faszinierende Unterwasserlandschaft aus Fels, Kelp und Eis zu sehen bekommt. Das Tageslicht scheint diffus durch die von Schnee bedeckte Eisdecke, durch das Maina strahlt die Sonne, wie ein Scheinwerfer im glasklaren Wasser bis zum Grund, eingesperrte Luftblasen glitzern geheimnisvoll. Anders als im See, ist die Eisdecke nicht glatt und einförmig, sondern nimmt bizarre Formen an. Die Bewegungen des Wassers, seien es Wellen oder Gezeiten, lassen das Eis immer wieder brechen und in einer anderen Stellung zusammenwachsen und auch so genannte „Lustra” sind zu sehen. Diese entstehen, wenn Süßwasser durch die salzige Eisdecke dringt, im kälteren Salzwasser wieder gefriert und wie ein seltsam geformtes Stalaktit von der Decke hängt.

Natürlich gibt es neben dem Eis in den Kelpwäldern und unter den Felsen, auch Lebe-

 

wesen zu sehen. Insbesondere Makrofotografen finden hier ihr Glück, da Fische im Winter eher selten sind, dafür aber auf wenigen Quadratmetern Dutzende von Nacktschnecken und viele Arten Garnelen gesichtet werden können. Auch eine wunderschöne Art sesshafter Qualle ist auf den Kelpblättern zu finden. Und schon kommt einem der dreißigminütige Tauchgang viel zu kurz vor. Zum Glück geht es nach einer Aufwärmpause bei Tee und Brötchen in der warmen Wohnzimmerhütte noch einmal ins Wasser.

Im Eiscamp gibt es fünf Mainas, über Tiefen zwischen vier und 27 Metern ausgesägt, die aber so nah beieinander liegen, dass man sich für jeden Tauchgang einen anderen aussuchen kann. Um es noch abwechslungsreicher zu gestalten, fahren wir an manchen Tagen mit drei Hütten und zwei Schlitten an andere Tauchplätze. Nachdem alle Teilnehmer den Tauchguides beim Ausschneiden der Löcher im 50 Zentimeter dicken Eis geholfen haben, darf jedes Buddy-Team zweimal ins Wasser, bevor alle zurück zum Eiscamp fahren. Nach den zwei täglichen Tauchgängen geht es dann wieder zur Tauchbasis und den Holzhütten, in denen die Taucher untergebracht sind. Nach dem späten Mittagessen können Ausflüge unternommen werden.

Unter anderem werden Eisfischen und Sonnenuntergang am Lagerfeuer angeboten. Auch das Banya, die russische Sauna, steht zur freien Verfügung. Ein besonderes Highlight ist jedoch, einen dritten Tauchgang mit den Belugas durchzuführen. Diese werden vom Arctic Circle Dive Center in einem aus Netzen bestehenden Gehege beherbergt. Die zwei jungen Beluga Weibchen, die aus Delfinarien stammen, sollen später ausgewildert werden. Die Wale werden zweimal am Tag von ihrem Pfleger gefüttert und zu dieser Zeit dürfen auch Schnorchler und Taucher ins Wasser.

Das Erlebnis ist einmalig, auch wenn es nicht mit der Begegnung wilder Belugas verglichen werden kann. Neugierig und an Menschen gewöhnt, kommen die Tiere zu den Tauchern, lassen sich streicheln und stupsen die Ausrüstung an. Wenn man ihnen die Hand entgegen streckt, wird man durch das Gehege gezogen bis die Belugas keine Lust mehr haben und sich doch lieber wieder bei ihrem Pfleger einen Fisch holen. Die Nähe zu den Tieren ist großartig und mit ihren drei Metern sind die jungen, noch leicht grauen Damen schon sehr eindrucksvoll.

Noch Stunden nach dem Tauchgang beim Abendessen erkennt man an den leuchtenden Augen, wer an diesem Tag bei den Belugas im Wasser war. Nach dem gemütlichen abendlichen Zusammensein geht jeder zu seinem Holzhäuschen zurück und fällt müde ins Bett. Auf den Weg dahin lohnt es sich noch mal kurz zum Himmel zu blicken, um die unzähligen kräftig leuchtenden Sterne zu bewundern und manchmal erscheinen, wie ein gutes Omen für den nächsten Tauchtag, in der Ferne grünlich schimmernde Polarlichter.

Foto: Dr. Séverine Bär, HeidelbergDie Wassertemperatur ist vergessen, sobald man die faszinierende Unterwasserlandschaft ...

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... aus Fels, Kelp und Eis zu sehen bekommt.

 

Foto: Dr. Séverine Bär, HeidelbergEin besonderes Highlight ist jedoch ...

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... einen dritten Tauchgang mit den Belugas durchzuführen.
Foto: Dr. Séverine Bär, Heidelberg
Abendstimmung beim Dorf Nil’mo Guba.
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Das Dorf Nil’mo Guba befindet sich am Weissen Meer. Es besteht nur aus wenigen Häusern, außerhalb vom Ort an der Küste ein paar, im Winter unbewohnten, Datchas und dem Arctic Circle Dive Center das (fast) ganzjährig tauchen im Weißen Meer anbietet. Das Weiße Meer ist ca 90.000 Quadratkilometer groß und relativ flach (maximale Tiefe 350 Meter, im Mittel 67 Meter). Es liegt im Norden des europäischen Teils Russlands und wird im Westen von Karelien und im Norden von der Halbinsel Kola begrenzt.

Im Winter ist es in der Region sehr kalt (bis -30°C), im Sommer steigt die Temperatur auf 15 bis 20°C, ausnahmsweise auch auf bis auf 30°C. Ab April/Mai ist das Meer eisfrei und die Wassertemperatur kann im Sommer 14 bis 15°C erreichen. Im Winter liegt die Wassertemperatur unterm Eis, bedingt durch den Salzgehalt, bei ca -2°C. Zum Eistauchen sollte man im März anreisen, da ist das Eis noch fest, die Tage aber schon länger und weniger kalt.

Erreichen kann man Nil’mo Guba, indem man von Deutschland aus mit Finnair nach Helsinki und weiter nach Kuusamo fliegt. Von dort aus geht es dann mit dem Auto weiter durch die verschneite Landschaft nach Russland. Die Fahrt dauert etwa 4 Stunden, allerdings sollte man (als Taucher), vor allem, wenn man kein Russisch spricht, etwas Zeit für die Grenzformalitäten mitbringen, da die Tauchausrüstung bei der Einreise detailliert beschrieben werden muss. Die letzten Kilometer werden auf einem nicht geräumten Waldweg mit dem Allradfahrzeug bewältigt. Vor Ort kann man sich nur zu Fuß fortbewegen. Im Dorf Nil’mo Guba gibt es einen kleinen Laden.

Ansonsten kann man sich die alten, bunten Holzhäuser anschauen oder über das zugefrorene Meer wandern und die bizarren Eisformationen bestaunen. Die Tauchbasis stellt Unterkunft und Verpflegung, so dass der Gast rundum versorgt ist. Gewohnt wird in Zweier-Zimmern in schönen, warmen Holzhäusern. Im Haupthaus gibt es neben der Rezeption das Wohn- und Esszimmer, in dem das Essen in Buffet-Form angeboten wird. Letzteres ist immer lecker mit, neben typisch russischen Gerichten, auch viel  

 

Obst und Gemüse. Tagsüber steht für den kleinen Hunger auch immer eine Schale Obst und ein paar Kekse auf dem Tisch. Der große Holzraum ist schön warm und lädt zum gemeinsamen Zusammensitzen ein.

Die Entfernung zwischen Schlaf- und Wohnhäusern beträgt nur ein paar Meter, sodass man selbst bei großer Kälte kurz ohne Jacke von einem zum anderen huschen kann. Direkt daneben befindet sich die Tauchbasis, an der man morgens mit dem Motorschlitten abgeholt wird, um zum Tauchpatz zu fahren und das Banja.

Diese russische Sauna ist, nach mehreren Stunden draußen auf dem Eis, eine willkommene abendliche Beschäftigung. Die Tauchplätze, sowie das Belugagehege werden durch eine kurze Motorschlittenfahrt über das gefrorenen Meer erreicht.

Kleine, auf Schlitten gebaute Hütten, die an den Eislöchern aufgestellt sind, erlauben ein zügiges Aufwärmen zwischen den Tauchgängen. Unter Wasser können, neben der eindrucksvollen, sich durch die Gezeiten immer verändernden Eisdecke, auch viele Kleinstlebewesen wie Nacktschnecken, Garnelen und Quallen bestaunt werden.

Neben dem Tauchen bietet das Arctic Circle Dive Center auch Ausflüge zu verschiedenen Schluchten, Schwimmen (oder Tauchen) mit den Belugas, Sonnenuntergangsschlittenfahrten, Wanderungen über das Eis und Eisangeln an.  

 

Praktische Infos

Im März Lufttemperatur -5 bis -20°C, Wassertemperatur -2°C. Sprachen: hauptsächlich russisch, Katja, vom Arctic Circle Dive Center spricht englisch. Währung: Rubel, 1 Euro = cirka 40 Rubel. Achtung, das Visum muss einige Wochen vor der Abreise beantragt werden, damit es auf jeden Fall rechtzeitig da ist.

Die Reise kann über Belugareisen gebucht werden: http://www.belugareisen.de/

Finnair: http://www.finnair.com/finnaircom/wps/portal/travel/de_DE 

Arctic Circle Dive Center (auf englisch): http://www.pkrug.ru/index/en.htm 

Insbesondere Makrofotografen finden hier ihr Glück, da Fische im Winter eher selten sind ...

Foto: Dr. Séverine Bär, Heidelberg

... doch wunderschöne Kleinstlebewesen ...

Foto: Dr. Séverine Bär, Heidelberg

... wie Garnelen oder Krill-Krebschen ...

 

Foto: Dr. Séverine Bär, Heidelberg

... oder Nacktschnecken ...

Foto: Dr. Séverine Bär, Heidelberg

... und merkwürdige Quallen können bestaunt werden.

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