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Der digitale Mensch am Wendepunkt

Der Mensch ist zur Glasfaser geworden. Schnelllebig, durchsichtig und allgegenwärtig – die totale Digitalisierung steht vor der Tür, nein, sie hat schon zugeschnappt. Die Leute reden nicht mehr miteinander, sie sitzen in Bus und Bahn und überall, wo Göttin W-Lan es erlaubt, sogar an Bord, im Flieger und auf Schiffen – und alle starren auf ihre smartphones und tablets. Kommunikation nicht mehr mit einem lebendigen Gegenüber, sondern mit absenten Lebewesen, Menschengruppen oder Gruppenmenschen, alle vereint in mystischen Info-Wolken. Kommunikation auf Schritt und Tritt. Jeder User wie ein Sandkorn in der Wüste, jeder einzelne viel weniger als ein Billionstel im internationalen Datenfluss, ein kleiner Fisch im großen Netz, ein Wasserfloh im weiten Meer der Träume.

Ist das etwa ein backlash des Individualisierungswahns im vorigen Jahrhundert? Das Gegenteil von dem, was Menschen damals wollten? Ich weiß noch, wie sich vor etwa 40 Jahren eine wahre Revolte auflehnte gegen die damalige Volkszählung. Protest, Verweigerung, Alarm! „Angriff auf die Privatsphäre! Schnüffelei von Staat und Wirtschaft”, tobten sie hinter ihren Barrikaden. Und hinter ihren schrillen Bannern. Heute streuen die gleichen Empörer von damals (samt ihrer Kinder und Enkel) alle ihre Daten freiwillig ins Netz. Und damit in die Fänge einer datengeilen globalen Produktionsmaschinerie. Heute sind alle damaligen Bedenken weggefegt, heute macht sich der Mensch, zumal der juvenale, zur Glasfaser – alles und jedes wird preisgegeben, sogar das Konto, sogar früher vertraulichste Gesundheitsdaten. Alles kommt in die „cloud”, wo sogar der liebe Gott seine Daten sammeln lässt. Sie erreichen ihn unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! – vermute ich.

Ich bin nicht grundsätzlich gegen technischen Fortschritt. Nur, wenn solcher Fortschritt zu gesellschaftlichem Rückschritt wird. Und vor allem: wenn dieser „Fortschritt” zu militärischem Wahnsinn werden kann. Es gibt inzwischen Waffensysteme, die unseren Globus in kurzer Zeit entvölkern können. Atomare und nichtatomare Systeme. Es gibt also auch Herrscher, gewählte und ungewählte, die per Knopfdruck Millionen Menschenleben auslöschen könnten. Die digitale Weltentwicklung liefert die neuen Möglichkeiten dazu. Wir sind schon jetzt abhängig von diesem Gefüge. Ohne uns dessen wirklich bewusst zu sein. Wenn es der einen Seite gelingt, ins Datennetz der anderen Seite einzudringen, ist diese schnell wehrlos wie ein Schaf unter Wölfen. Selbst wenn es hundert Millionen Schafe wären. Achten Sie mal auf die panischen Zustände, wenn nur mal für ein paar Stunden der Strom ausfällt, so wie neulich in Atlanta. Stellen Sie sich eine durchaus denkbare atomare oder chemische Verseuchung des Trinkwassers vor. Verursacht nur mit Hilfe digitaler Steuerungssysteme, ohne die ja keine öffentliche Versorgung mehr funktioniert. Weder die elektrische noch die Gas- oder Wasserversorgung.

Oder stellen Sie sich Drohnen vor, die  n i c h t  gegen irgendwelche Revoluzzer im Jemen oder Südsudan eingesetzt werden, sondern gegen RWE oder E.ON oder Vattenfall. Stellen Sie sich die elektronisch bedingte Höchstempfindlichkeit aller unserer untereinander vernetzten Lebensadern vor, ob Verkehr, Energie, Wasser, Krankenhäuser … Der Krieg der Zukunft findet nicht mehr auf irgendwelchen Schlachtfeldern statt, sondern im Wunderland Digitalien. Das ist das Thema, über das sich die Visionäre und Philosophen unserer Zeit Gedanken machen müssten. Vor allem auch unsere Politiker. Stattdessen werden Randprobleme hysterisch hochgejubelt und von allen Medien gleichgerichtet nachgedruckt und nachgeplappert. Über Feinstaub-Emissionen beispielsweise und ihre ach so verhängnisvolle Gefährlichkeit werden seitenlange Gesetzesnovellen ausgetüftelt. Dabei erzeugt ein einziger Kettenraucher mehr Feinstaub als hundert Autos. Das haben Münchner Wissenschaftler ermittelt.

Oder: Heerscharen von deutschen und Europa-Beamten haben sich jahrzehntelang mit dem angeblich so furchtbaren Waldsterben beschäftigt. Aber die Natur hat sich von ganz allein erholt. Unsere Wälder leben grüner als je zuvor. Aber in Indonesien, Brasilien und anderen Gegenden der Welt werden riesige Wälder abgeholzt, weil Platz für den Maisanbau geschaffen werden soll. Sprit aus Mais – diesen Umweltfrevel haben die Grünen mit zu verantworten. Der Zusatz „eco” beim Sprit zeigt nur, dass die Verdiener an diesem Umweltverbrechen die internationalen Maiskonzerne sind. Und die Politiker, die ihnen diese Wege ebnen!

So logisch funktioniert Politik. Früher hatten wir in der deutschen Politik Köpfe wie Marx und Engels, wie Bismarck und Bebel, wie Adenauer und Heuß, wie Kohl und Brandt, wie Scheel und Schröder, wie Schmidt und Schnauze. Was haben wir heute? Glauben Sie, dass sich in 50 Jahren irgendjemand auch nur an einen einzigen unserer heutigen Diätenerhöher/Innen erinnert? Oder glauben Sie, dass sich Namen wie Nahles oder Altmaier oder Lindner oder Göring-Eckardt einfräsen in irgendeine historische Erinnerung? So rangiert das gegenwärtige Neo-Berlin soziologisch weit unter dem Durchschnitt früherer Jahrzehnte. Auch wenn die Wirtschaft brummt, leben wir sozialpolitisch auf einem historischen „Niedriglevel”, wie Politologen sagen. Und nähern uns dem kreativen Nullpunkt. BER – der Berliner Flughafenbau ist nur ein Synonym dafür.

Die interessante Frage lautet ja: wirkt die moderne Kommunikation quasi wie ein postkommunistischer Gleichmacher? Ebnet die Digitalisierung bald alle ein? Programme, Staaten, Individuen? Nur – den Reichtum hat sie noch nicht eingeebnet: Immer noch gehören über 95 Prozent der Vermögen in der Welt nur 5 Prozent „Vermögenden”. Von Gleichheit also keine digitale Spur. Bei der Kohle hört die Glasfaser auf.

Kommen Sie gut durch den Winter! Ihr Herbert Fricke