Historie 

 

Ausgabe 2-2014 

hr

Leif Erikson entdeckt Amerika – vermutlich landete er an der Nordspitze der Insel Neufundland – so sah es der norwegische Maler Christian Krohg (1852-1925).

Leif Erikson entdeckt Amerika – vermutlich landete er an der Nordspitze der Insel Neufundland – so sah es der norwegische Maler Christian Krohg (1852-1925).

 

Harald Krachler

Von Grönland aus setzten Wikinger ihren Fuß auf amerikanischen Boden

Sogenannte Sagas als Quelle der Berichte über Abenteuer der Wikinger

Grönland um etwa 1000 n. Chr.: Leif Erikson, der Sohn von Erik dem Roten, eine der schillerndsten Persönlichkeiten unter den nordischen Siedlern Grönlands, kehrte nach einjähriger Abwesenheit mit seinem Drachenboot nach Südgrönland zurück und erzählte, er habe ein Land gefunden, „in dem der Tau wie Honigwasser schmeckt, das Vieh im Winter im Freien nächtigen kann und unübersehbare Wälder Holz in Hülle und Fülle liefern”. Er habe es „Vinland” genannt, weil es dort auch Weinstöcke und Reben gebe. Soweit die „Grönlandsaga”, eine um 1200 entstandene Familienchronik über das rund 500 Jahre vor Kolumbus erfolgte erstmalige Betreten amerikanischen Bodens durch die Wikinger – die sich allerdings dieser Sternstunde der Geschichte der Menschheit nicht bewusst waren. Leif Erikson soll aber nicht der Erste Europäer in Amerika gewesen sein – diese Ehre soll derselben Saga zufolge einem gewissen Björn Herjolfson gebühren.

Ab Ende des 8. nachchristlichen Jahrhunderts waren die Wikinger aus ihrer skandinavischen Heimat in zwei Richtungen in die damalige Welt aufgebrochen: jene aus Schweden über die Ostsee, durch das heutige Polen und Russland, dann die nach Süden laufenden Flüsse stromabwärts in das Schwarze Meer und bis vor Konstantinopel – es waren teils Plünderungszüge, teils Handelsfahrten, es kam aber auch, wie der Fall des Wikingers Rurik zeigt, zu Staatsgründungen. Er begründete die bis 1589 herrschende Dynastie der Rurikiden in Russland.      

Die Wikinger aus Norwegen wandten sich zunächst mit Plünderungszügen in den Norden und Westen des Atlantik und den westeuropäischen Küsten zu, drangen über viele Flüsse landeinwärts vor, siedelten sich dann der Reihe nach auf den Orkney- und Shetland-Inseln, den Färöer-Inseln, in Britannien und Irland, sowie an der nordfranzösischen Küste (Normannenland – Normandie) an. Von letzterem Gebiet aus erfolgte eine neue Invasion in England (1066), sowie in das Mittelmeer, wo sie in Unteritalien und Sizilien hochentwickelte Staaten gründen sollten.

 

Ein OSEBERG-Wikingerschiff im Wikingerschiff-Museum in Oslo.

Ein OSEBERG-Wikingerschiff im Wikingerschiff-Museum in Oslo.

Foto: Hofi0006, GNU-Lizens für freie Dokumentation

Vordringen nach Island in den sogenannten Sagas aufgezeichnet

Die Wikinger kannten zwei Typen von Schiffen: Handelschiffe (Knerrir, Ez. Knörr), sowie Kriegsschiffe. Erstere waren breiter und tiefer als die Kriegsschiffe (ausgegrabene Exemplare, z.B. das berühmte OSEBERG-Schiff  waren zwischen 16 und 22 Meter lang und 24 bis 28 t schwer, doch dürften die über den Atlantik segelnden Schiffe noch größer gewesen sein. Bei den Handelsschiffen lag die Betonung mehr auf Fahrten unter Segel, sie hatten weniger Ruder, um in Häfen manövriert werden zu können. Umso mehr Ruder gab es bei Kriegsschiffen, um überall, auch bei Fahrten auf Flüssen in das Landesinnere, landen zu können. Die Segel hatten hier geringere Bedeutung. Die Durchschnittsgeschwindigkeit der Kerrir lag bei 4 bis 6 Knoten, sie konnten also pro Tag bei günstiger Wetterlage 180 bis 260 Kilometer zurücklegen. Bei besonders günstigem Wetter waren Spitzengeschwindigkeiten von 13 Knoten möglich.    

Ab 874 erlebte Island eine Einwanderungswelle aus Norwegen, zunächst an der Süd- und Westküste, später auch in seinem nördlichen Teil. Gegen 900 n. Chr. sollen bereits etwa 30.000 „Nordmänner” in Island gelebt haben. Um 930 erfolgte mit dem ersten Zusammentreten des Althing, einer Art Parlament, die Staatswerdung dieser Atlantikinsel – seitdem gilt Island als älteste Republik Europas. All dies geht aus dem berühmten „Landnamabok” (Landnahmebuch) und den isländischen Sagas hervor (Berichte, Erzählungen, Chroniken, nicht Sagen wie wir sie verstehen). Die etwa um 1050 bis 1100 als mündliche Erzähltradition entstandenen Sagas sind erst um etwa 1300 niedergeschrieben worden. Sie sind in altnordischer Sprache verfasst, die dem heutigen Isländisch so ähnlich ist, dass die Isländer die Sagas ohne Schwierigkeiten lesen können. Alle Sagas haben einen historischen Kern, sie sind aber immer mit etwas Vorsicht zu genießen, weil bei ihnen oft Dichtung und Wahrheit gemischt sind.

Geschichte Eriks des Roten und seiner Familie in der Grönländersaga 

Die Sagas, insbesondere die Graenlendigasaga (Grönländersaga) oder Erikssaga berichten auch über die Besiedelung Grönlands durch die Wikinger. Danach kam ein gewisser Erik Thorvaldson, genannt „Rauda” (der Rote) als junger Mann mit seinem Vater Thorvald, der wegen einiger Morde für „vogelfrei” oder „friedlos” erklärt wurde und deshalb Norwegen verlassen musste, nach Island, wo sie sich im Nordwesten der Insel niederließen.  Erik heiratete Thorshilda Jörundardottir, deren Vater ihnen ein Bauerngut am Rand seiner Besitztümer vermachte. Ähnlich wie sein Vater wurde auch Erik in Fehden verwickelt, es hieß, er habe einige Männer aus Rache für den Mord an einigen seiner Sklaven getötet. So wurde er auch „friedlos” und für drei Jahre aus Island verbannt.  

Als erster Europäer wandte er sich nach einem von einem gewissen Gumbjörn um 900 gesichteten, von Treibeis umgebenen Land mit schneebedeckten Bergen westlich von Island, von dem man in Island einiges wusste. Erik beschloss, sich dorthin zu wenden und nahm der Saga zufolge mit einigen Begleitern 982 oder 983 Kurs in Richtung Westen. Die Männer erreichten die Küste des geheimnisvollen Landes, die aber zunächst keine Landung erlaubte. So ließen sie sich zusammen mit Eismassen offensichtlich unter Ausnützung einer an der Ostküste Grönlands laufenden Meeresströmung (sie ist heute als Ostgrönland-Strom bekannt) in südlicher Richtung treiben. Um die Südspitze (dem heutigen Kap Farvel) herum gelangten sie zu einer Gegend, von der sich zahlreiche Fjorde in das Inland zogen, wo es grüne Täler und Wiesen, klimatisch bevorzugte Plätze und fischreiche Bäche und Gewässer gab. Die Küstengewässer waren dort von Robben und Walen bewohnt. Erik nannte das Land Grön- (Grün-)Land und war entschlossen, sobald er wieder nach Island zurückkehren könne, potentielle Siedler zu überreden, mit ihm nach Grönland zu fahren und sich in dem von ihm gesichteten Fjordgebiet dauernd niederzulassen.

Der Aufbruch aus Island erfolgte 985 der Saga zufolge mit 35 Schiffen, jedes von ihnen mit 20 Männern und Frauen an Bord, sowie Vieh, Hausrat und Fangnetzen. Nur 14 Schiffe sollen die Küste Ostgrönlands erreicht haben, die anderen  waren entweder umgekehrt oder untergegangen. Man darf nicht vergessen, dass sie eine Strecke von über 1000 Kilometer über offenes Meer zurücklegen mussten – durch die oft von schweren Stürmen heimgesuchte heutige Dänemark-Straße. Für die Navigation standen nur Erfahrungen und keine Instrumente zur Verfügung. Man orientierte sich damals nach der Sonne und bei Nacht nach Sternen, nach auffälligen Felsen und kleinen Felsinseln, den Schären. Auch Seevögel und die Meeresströmungen wurden damals zur Bestimmung von Position und Kurs herangezogen.    

Erik hatte jedem Mann einen eigenen Fjord versprochen, er selbst hatte schon bei seinem ersten erzwungenen Aufenthalt in Grönland seinen Platz ausgesucht – zu innerst des nach ihm benannten Fjordes (der später Skovfjorden hieß und heute in der Inuktitut-Sprache der Eingeborenen den Namen Tunulliarfik trägt. Dort gründete er sein Großgehöft Brattahlid („Steiler Hang”) – allerdings standen seine Häuser, wie die freigelegten Fundamentreste zeigen, vor einem Steilhang auf relativ ebenen Gelände in Ufernähe des Fjordes. Erik verteilte die Siedler in zwei Regionen: Vesterbygden in der Gegend der heutigen grönländischen Hauptstat Nuuk (Gothab) und Österbygden (die Region seines Gehöfts bis weiter südöstlich gegen Qaqortog (Julianehab, zu deren Häuptling er sich erhob).

Günstigere klimatische Verhältnisse in Grönland vor 1000 Jahren

Die Nordmänner hatten in der Gründungszeit Glück mit dem Klima, das damals ungefähr jenem von Norwegen entsprach – lange Schönwetterperioden im Sommer mit vorherrschenden Ostwinden und eher milde Winter. Man konnte also damals so leben, wie man es von seiner ehemaligen Heimat her gewohnt war. Jeden Sommer trafen Schiffe aus Norwegen ein, beladen mit den notwendigsten Gütern wie Getreide, Holz, Geräte, Werkzeuge und Waffen aus Metall. Als Gegenleistung lieferten die Nordmänner ihre Produkte – Felle und Pelze von Polartieren, Walross- und Narwalzähne, unter Umständen auch junge lebende Eisbären. Diese waren als Geschenke für Könige, höhere Würdenträger und Häuptlinge bestimmt.    

Die Siedlungsgebiete wurden in den folgenden Jahrzehnten vergrößert – bald zählte man  etwa 80 Gehöfte in Vesterbygden und cirka 250 in Österbygden. Obwohl die klimatischen Bedingungen in Grönland damals besser als heute waren, dürfte es für die Siedler doch ein hartes Leben gewesen sein, dessen Grundlagen Viehzucht, Jagd und Fischfang bildeten. Es gab keine geschlossenen Siedlungen, die einzelnen Gehöfte lagen weit voneinander. Angesichts der Auseinandersetzungen mit der Natur und den täglichen Sorgen konnten die Siedler auch keine künstlerische Kreativität entwickeln.

Niedergang der Siedlungstätigkeit ab etwa 1150

Etwa um 1000 n. Chr., zeitgleich mit der Bevölkerung Islands (dort durch Beschluss des Althing) erfolgte die Bekehrung der Siedler zum Christentum. So waren die Gattin Eriks des Roten, Thorshilda (oder Tjodhilda) und sein Sohn Leif bereits Christen (Das Denkmal Leif Eriksons in Islands Hauptstadt Reykjavik, ein Geschenk der USA aus dem Jahr 1930 aus Anlass des 1000-Jahr Jubiläums des Althing, zeigt Leif mit einem Kreuz in der Hand). Thorshilda ließ, von ihrem heidnisch gebliebenen Gatten toleriert, in Brattahlid die erste Kirche Grönlands erbauen, deren Fundamente noch heute vorhanden sind. 1070 erfolgte die Gründung des Bischofssitzes Gardar nicht weit von Brattahlid entfernt.

Die grönländischen Nordmänner hatten etwa bis 1150 ihre beste Zeit, dann bahnte sich ihr Niedergang an. Klimaverschlechterung und dadurch bedingte Änderung der Ernährungsgewohnheiten, das Vordringen der von den Wikingern „Skrälliger” genannten Inuit (Eskimos), die Unterbrechung der Schiffsverbindungen nach Norwegen und Island, aber auch Seuchen und körperliche Degeneration dürften dafür

verantwortlich sein, dass das Siedlungsgebiet Vesterbygden nur bis etwa 1350, Österbygden bis etwa 1500 bestand. Die Bewohner waren einfach weg, Anzeichen von Kämpfen oder Gewaltanwendung sind nie entdeckt worden. Die Verbindung Grönlands zu Europa riss bis 1721 ab, als der protestantische dänische Missionar Hans Egede nach Grönland kam.

Björn Herjolfson vermutlich erster Europäer auf amerikanischem Boden

Der Grönlandsaga zufolge erfuhr der junge, von einer Handelsmission aus Norwegen nach Island zurückgekehrte Björn Herjolfson, dass sein Vater Herjolf Bardarson zusammen mit Erik dem Roten nach Grönland emigriert sei. Er wollte ihm folgen. An der Südspitze Grönlands wurde aber sein Schiff durch Stürme vom Kurs abgebracht.

Nach mehreren Tagen Navigierens in Sturm und Nebel gerieten er und die Schiffsbesatzung an ein ebenes und bewaldetes Land und einige Inseln, das, weil es dort keine Gletscher gab, nicht Grönland sein konnte.

Man schlug daraufhin den Kurs in Richtung Nord und dann Richtung Ost ein, um Grönland zu erreichen, nach einigen Tagen hatte man Erfolg. Endlich auf dem neuen Grundbesitz seines Vaters gelangt, erzählte Björn von dem gesehenen Land, was den Eindruck auf die Zuhörer nicht verfehlte. Erik der Rote und sein Sohn Leif erfuhren von Björns Entdeckung bei seiner Irrfahrt und beschlossen, dies nachzuprüfen. Leif kaufte Björns Schiff, bemannte es mit 35 Leuten und verließ Grönland in nordwestlicher Richtung durch die heutige Davis-Straße wobei er offenbar die entlang der grönländischen Küste nordwärts sich bewegenden Meeresströmung, dem Irminger-Strom, ein Zweig des Golfstromes, nützte. Schließlich wandte er sich nach Westen und erreichte ein ödes Land aus Gestein und Gletschern, das Helluland (Steiniges Land) genannt wurde – vermutlich die heutige kanadische Insel Baffin-Land. Offenbar unter Ausnützung des hier aus dem Norden kommenden Labrador-Stromes gelangte man auf Südkurs an eine sandige Küste mit dahinter liegenden Wäldern, das die Ankömmlinge Markland (Waldland) nannten.

Schließlich erreichten Leif und seine Mannen ein Land mit den von Björn geschilderten Vorzügen. Es wurde beschlossen, dort Hütten zu errichten und den Winter zu verbringen. Das zuletzt entdeckte Land wurde von Leif, der nach seiner Rückkehr nach Grönland den Beinamen „hinn heppni” (der Glückliche) erhielt, Vinland (Weinland?) genannt. Man dürfte an der Nordspitze der Insel Neufundland gelandet sein. Auf ihrer cirka 1300 Seemeilen langen Reise mussten sich die Nordmänner auf Richtungsangaben und Land-Besonderheiten  verlassen, die von den ersten Reisenden gesehen worden waren.

Kolumbus’ Entdeckung Amerikas dürfte nur eine „Wiederentdeckung” gewesen sein

Die Saga berichtet von späteren weiteren Expeditionen von Angehörigen der Sippe Eriks nach Vinland und Auseinandersetzungen mit den dortigen Eingeborenen. Später ging die Kenntnis von dieser Entdeckung verloren. Es dürfte aber die „Entdeckung” Amerikas durch Kolumbus historisch streng genommen nur eine „Wiederentdeckung” gewesen sein. Kolumbus selbst bekam bekanntlich nicht mit, dass er eine neue Welt entdeckt habe. Bis zu seinem Tod im Jahr 1506 nahm er an, nach Indien gelangt zu sein.      

1992, zur 500-Jahr-Feier dieser „Wiederentdeckung” Amerikas gaben die Färöer-Inseln, Island und Grönland einen gemeinsamen Briefmarkenblock heraus, in dem im oberen Teil (mit abgebildetem Wikingerschiff) der Entdeckung Amerikas durch Leif Erikson um 1000 n. Chr., darunter jener von Kolumbus 1492 (mit abgebildetem Flaggschiff SANTA MARIA) gedacht wurde.

Wo lag „Vinland”?

Zum Namen Vinland stellte der norwegische Forscher Helge Ingstad die Theorie auf, dass „Vin” nicht nur Wein, sondern auch „Weide” für Vieh bedeuten konnte, das die Wikinger bei ihren Fahrten an Bord hatten. Deswegen könnte Vinland auch weiter nördlich gelegen sein, als die Wissenschaftler glaubten. Ingstad hielt Vinland identisch mit der kanadischen Insel Neufundland. Sollte der Ausdruck „Vin” sich tatsächlich von „Wein” ableiten (der altnordische Ausdruck für Traube heißt „Vinber”), könnte damit auch der Wilde Wein, Preiselbeeren oder Heidelbeeren gemeint sein, die in Neufundland und auch benachbarten Regionen zu finden seien. Die Nordmänner kannten alle diese Beeren von Norwegen her und wussten daraus eine Art Wein herzustellen. Für die genannten Beeren hatten sie aber eigene sprachliche.   

 

Eine Rekonstruktion eines Wikinger Langhauses in L' Anse aux Meadows auf Neufundland.Eine Rekonstruktion eines Wikinger Langhauses in L' Anse aux Meadows auf Neufundland. Foto: D. Gordon E. Robertson, GNU-Lizens für freie Dokumentation

Wurde L’ Anse aux Meadows von Leif Erikson gegründet?

An der Nordspitze von Neufundland waren kurz vor 1969 auf einem L’ Anse aux Meadows genannten Platz (der Name stammt vom gleichnamigen nächstgelegenen Dorf) Fundamentreste von neun in einzelne Räume unterteilte Häuser entdeckt und freigelegt worden. Spätere Grabungen, an denen sich Archäologen aus Island, Norwegen, Schweden, Kanada und den USA beteiligten, bei denen weitere Häuser-Fundamentreste und auch Kleinfunde entdeckt wurden, ließen keinen Zweifel daran, dass diese Siedlungsreste auf Wikinger aus der Zeit um 1000 n. Chr. zurückgingen.

Und alles spricht dafür, dass es sich um die von Leif Erikson angelegte Siedlung handelt. Sie dürfte in den Jahren ihrer Existenz knapp über 100 Einwohner gehabt haben. Die Bauweise (Wände und Dächer aus Grasziegeln) kann man heute noch gelegentlich in Island sehen. Vermutlich hat die Siedlung nur einige Jahre existiert und dürfte freiwillig aufgegeben worden sein. Sonst wären sicher im Nahbereich Reste einer Kirche oder ein Friedhof entdeckt worden. Wegen der Überzahl an Eingeborenen in der Gegend und der großen Entfernung von Grönland scheint sich die Siedlung „nicht rentiert” zu haben. Ihre Bewohner gingen der Jagd, der Fischerei und Sammeltätigkeit zur Versorgungszwecken (z.B. Beerenpflücken) nach.

Wenig Auswanderungslust von Grönland nach Vinland

Der Name L’ Anse aux Meadows  scheint eine Verballhornung von L’ Anse a la Meduse (Quallenbucht) zu sein. Die Namensgebung in der betreffenden Gegend scheint auf französische Ursprünge zurückzugehen. Erst ab etwa 1835 siedelten sich Engländer in der Gegend an, worauf eine „Anglisierung” geografischer Bezeichnungen im östlichen Kanada erfolgte.

Von L’ Anse dürften in den Jahren der Existenz der Siedlung Nordmänner kleine Expeditionen in andere Teile Vinlands unternommen haben. Vinland dürfte auch New Brunswick, Nova Scotia, die Prince Edward Island und den Golf, in den der St. Lorenz-Strom mündet, umfasst haben. Holz und Früchte dürften nach L’ Anse gebracht worden sein, um nach Grönland verschifft zu werden. Vinland muss zur Zeit der Anwesenheit der Nordmänner, besonders wo viele Wälder und üppiger Pflanzenwuchs war, relativ dicht bevölkert gewesen sein: im südlichen Teil lebten Algonkin-Indianerstämme, in Neufundland und im Süden Labradors Vorfahren der Beatbuk- und Innu-Eskimos, im Norden Labradors die Dorset-Eskimos. 

Eine „Auswanderungslust” aus Grönland nach Nordamerika bestand nicht, da hier reiche Weiden vorhanden waren und man die für das Alltagsleben notwendigen Dinge aus Europa beziehen konnte. Auch waren die Siedlungen in Grönland zu klein, um für weiter westliche Siedlungstätigkeit ausreichend für „menschlichen Nachschub” zu sorgen. Und so kam die nordische Expansion in westlicher Richtung allmählich zum Stehen.

L’ Anse aux Meadows ist heute Kanadisches Nationaldenkmal und UNESCO-Weltkulturerbe

Die Ortschaft L’ Anse aux Meadows, nach der die Ausgrabungsstätte benannt ist, wurde um 1835 gegründet, sie lebt von Fischfang und ein wenig Viehzucht und Holzfällerei. Einen Straßenanschluss gibt es erst seit 1966, vorher war die Stätte nur per Boot erreichbar. Zwei kleinere Dörfer befinden sich noch in der Nähe. Um die Ausgrabungsstätte hat Kanada einen etwa 80 Quadratkilometer großen Nationalpark geschaffen, die Stätte selbst ist für Kanada ein Nationaldenkmal und von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt. Das Hauptkontingent der Besucher sind Bürger der USA und Kanadas, aber immer mehr Besucher stellen sich auch aus Europa ein, da hier vor der Küste viele Kreuzfahrtschiffe auf dem Weg von Europa und Grönland nach Kanada und den USA – und umgekehrt – vor Anker gehen.

Unweit der Ausgrabungen, wo 1979 drei ehemalige Häuser mit Grasziegeln nachgebaut wurden, entstand ein Touristenzentrum mit einem kleinen Museum für Kleinfunde, das den Dörfern in der Umgebung, die längere Zeit unter Abwanderung litten, neue Jobs verschaffte. In einem der benachbarten Dörfer, Norstead, wurde ein Wikinger-Handelsplatz nachgebaut, in einem nachgebauten Bootshaus befindet sich das 12t schwere, nachgebaute Wikingerschiff SNORRI. Auch ein nachgebildeter Runenstein, wie sie vor allem in Schweden zu finden sind, ist dort zu sehen.

Brattahlid – ein bekanntes grönländisches Touristenzentrum

Im grönländischen Brattahlid, ebenfalls ein Nationaldenkmal, erinnern nur mehr vereinzelte freigelegte Haus- und Stallfundamente, sowie die Grundmauern zweier ehemaliger Kirchen an die Siedlungstätigkeit der Wikinger hier vor über 1000 Jahren. Erik dem Roten ist ein Denkmal gewidmet – in Form eines Metallreliefs, das ihn in einem Boot mit Dreizack zeigt. Das Bildnis erinnert fast an antike Darstellungen des Meeresgottes Neptun. An einer nahegelegenen Felswand hat ein dänischer Künstler aus Metallplatten gefertigte heidnische und christliche Symbole angebracht.

Brattahlid wird von Grönland-Touristen sehr häufig besucht, es ist auf zwei Wegen leicht erreichbar: von Narsarsuaq mit seinem Hotelkomplex und dem nahegelegenen Flughafen, der von vielen Maschinen aus Dänemark und Island angeflogen wird, genügt eine Fjordüberquerung mit dem Boot. Kreuzfahrtschiffe aus Europa und Island fahren über Qaqortoq (Julianehab) den einstigen Eriksfjord hinauf. Viele legen in der kleinen Stadt Narsaq an, wo man eine Fabrik zur Verpackung fertig panierter Fische besichtigen kann, und fahren dann nach Qassiarsuq weiter, wo die Überreste von Brattahlid in wenigen Minuten zu Fuß erreichbar sind.      

 

In hellblau die Reisewege der Wikinger, in hellgrün die Hauptsiedlungsgebiete im ersten JahrtausendIn hellblau die Reisewege der Wikinger, in hellgrün die Hauptsiedlungsgebiete im ersten Jahrtausend. Karte: Earth map by NASA, GNU-Lizens für freie Dokumentation

 Von einem dänischen Künstler stammende Metallkunstwerke im grönländischen Brattahlid mit christlichen und heidnischen Symbolen.

Von einem dänischen Künstler stammende Metallkunstwerke im grönländischen Brattahlid mit christlichen

und heidnischen Symbolen.

Denkmal für Erik den Roten in Brattahlid bei dem südgrönländischen Ort Qassiarsuk.

Denkmal für Erik den Roten in Brattahlid bei dem südgrönländischen Ort Qassiarsuk.

Briefmarke der färinger, grönländischen und isländischen PostVon den Färöer-Inseln, Island und Grönland herausgegebener Briefmarkenblock von 1992 anlässlich der 500-Jahr-Feier der Entdeckung der Neuen Welt durch Kolumbus. Erinnert wird im oberen Teil, dass schon Leif Erikson um 1000 n. Chr. die Neue Welt entdeckt hatte.

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