EDITORIAL   AUSGABE 2/2013
hr

Herbert Fricke

Herbert Fricke · Ressortleiter HamburgMagazin

 

 

Kreuzfahrt-Kolonialismus?

Segen und Fluch der Karibik

 

Immer mehr internationale Kreuzfahrt-Konzerne gehen dazu über, in sonnigen Ländern eigene Claims abzustecken, so wie das einst die Siedler in Nordamerika taten. Sie reservieren ihren Passagieren die schönsten Strände oder auch ganze Inseln. Nur für sich. Kein Einheimischer, kein Außenstehender hat Zutritt zu diesen „zones of splendid isolation. Die Schifffahrtsgesellschaften kaufen solche Refugien, oder sie pachten sie vom jeweiligen Staat, um sie dann ihren Kreuzrittern, pardon: Kreuzfahrern für möglichst ungestörtes „Chillen zur Verfügung zu stellen. Sanfte Eroberung? Da ist nichts mehr mit „Land und Leute kennenlernen. Das ist kein „Abenteuer Kreuzfahrt mehr. Das ist die Konsequenz aus dem Sicherheitsbedürfnis (vor allem der Amerikaner) gegenüber potentiellen Taliban, die ja hinter jeder Palme lauern könnten.

Aber während ich das so ein bißchen spöttisch sage, sehe ich auch schon die andere Seite der Medaille. Irre Islamisten verüben ja tatsächlich überall ihre fiesen feigen Attentate, auch auf völlig unbeteiligte Touristen. Der folgenschwere Anschlag auf Bali – mitten im Urlaubsparadies – ist uns noch in unguter Erinnerung. Mehr als 200 Tote und Verletzte damals. Und die aktuellen Ereignisse, Überfälle auf Ausflugsbusse von Kreuzfahrtpassagieren in Mexiko und Ägypten, die erfahren wir ja fast tagtäglich. Es ist also das Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit, vor dem die Kreuzfahrt-Veranstalter stehen.

Allerdings stellt sich die Frage, wozu dann überhaupt noch eine Schiffsreise, auf der ich in den unterschiedlichen Reisegebieten neugierig und gespannt von Bord gehen und das Leben der anderen kennenlernen kann? Auf den Inseln der Karibik, im

Nahen und Mittleren Osten, in Südamerika oder Südostasien? Macht nicht genau das bisher den eigentlichen Reiz einer Kreuzfahrt aus? Spannend unterwegs zu sein und dabei das schwimmende Hotel immer dabei zu haben? Anstatt in einem abgegrenzten Refugium, langweilig aber sicher, den gleichen Softdrink zu schlürfen wie im Liegestuhl an Deck?

Auf den Riesenschiffen der neuesten Generation mag das anders empfunden werden. Viele der amerikanischen Kreuzfahrtgäste, die von Miami aus auf ihren Karibik-Shuttle gehen, verlassen ihr Schiff ja gar nicht mehr. Die wollen nur highlife und gambling; auf welcher Insel das Schiff gerade anlegt, ist ihnen völlig egal. Ob Aruba oder Antigua, ob Bermuda oder Barbados – völlig Banane. Nur auf Grand Cayman gehen manche von Bord, um dort ihr steuerfreies Konto aufzufüllen oder zumindest zu überprüfen. Denn dort haben sie alle ihre Oasen installiert, die Banken und Fondsverwalter, und auch den blauen schräg-nach-oben-Strich der Deutschen Bank sieht man an einer gelben Holzbaracke. „Geld ist wie ein flüchtiges Reh, sagt das kapitalistische Sprichwort, und meint vielleicht das Zillertal. Aber das Reh kann auch schwimmen und kommt bis Grand Cayman oder Singapur.

Ist die Landnahme der großen Reedereien Kreuzfahrt-Kolonialismus? Oder ist es ein Geschäftsmodell, das ja – über die Pacht oder den Kaufpreis – auch den betreffenden Ländern zugute kommt? Nehmen wir das Beispiel Haiti. Die 2010 vom Erdbeben verwüstete Inselrepublik gehört zu den ärmsten der Welt. Haiti bildet den westlichen Teil der Karibikinsel Hispaniola. Der östliche Teil ist die Dominikanische Republik. Auf Haiti, der ehemaligen französischen Kolonie, spricht man französisch.

Die nördliche Küste ist die schönste und wird von den Reedereien „Labadee genannt. Benannt nach dem französischen Entdecker Marquis de la Badie. Dort haben Disney Cruises, Celebrity Cruises und Azamara Club Cruises den romantischen Inselabschnitt Castaway Cay gepachtet. 1,1 Quadratkilometer. Nur für sich und ihre Passagiere. Insel-„Abschnitt also wörtlich! Kein Kontakt zur verarmten Inselbevölkerung. Keine Bettelei, keine dünnen braunen Kinder, keine „Sprachbarrieren. Alles abgeschottet und abgeschirmt. Aber sonnig, tropisch, schön. Bis zum Jahr  2050 gepachtet. 

Haiti bekommt einige Millionen Dollar im Lauf der Zeit. Die jeweiligen Machthaber freuen sich. Die Bevölkerung wird ausgesperrt. Darf ihren eigenen Strand nicht mehr betreten. Bis auf einige streng kontrollierte englisch-sprechende Hilfskräfte, die ihr Einkommen in der Enklave gefunden haben. Also wieder die beiden Seiten einer Medaille. Zum Beispiel legen die ALLURE OF THE SEAS und die OASIS OF THE SEAS mit jeweils 6.000 (!) Passagieren regelmäßig hier an. Die Amis haben eigens einen Anleger gebaut. In anderen reederei-eigenen Buchten müssen die Kreuzfahrer noch ausgebootet werden.

Disney Cruises haben sich also den Castaway Cay vor Haiti gesichert, Costa die zur Dominikanischen Republik gehörende Insel „Catalania Island. Royal Caribbean verfügt schon über die zum Seegebiet der Bahamas gehörende Insel „Little Stirrup Cay. Norwegian Cruises über die Nachbarinsel „Great Stirrup Cay. Disney Cruise Lines hat auch die Insel „Gord Cay in Besitz genommen. Holland America Lines verfügen über die Insel „Halfmoon Cay, 690 Hektar groß! Royal Caribbean Cruises auch über die 140 Hektar große Insel „Coco Cay.

Sorry, die Aufzählung kann nicht vollständig sein, weil gerade immer lebhafter verhandelt wird. Die Landnahme durch internationale Reedereien ist in vollem Gange. Besonders interessant die gegenwärtigen Verhandlungen mit den Fidel-Nachfolgern auf Cuba. Die – noch! – sozialistische Inselrepublik braucht dringend Devisen. Die Reedereien brauchen Sonnenstrände. Der „Kreuzfahrt-Kolonialismus ist in vollem Gange. Ich weiß, dass die Medaille zwei Seiten hat. Aber wie wäre es, wenn irgendeine große Reederei Hiddensee „besetzte? Meck-Pomm könnte das Geld gut gebrauchen. Aber an der Ostsee regnet es ja zu häufig ...

Ihnen allen fröhliche Ostern! Denken Sie mal über Kreuzfahrt-Eier nach! Fahren Sie los, bevor Ihr Geld gefressen wird. Sie wissen schon, was ich meine. Die Euro-Bonds lassen grüßen. Das tue ich auch.

Herzlich, Ihr Herbert Fricke

hr
Vorige Serite Inhalt Impressum Nächste Seite